Roman – Frauenthema und Männerdiskriminierung, Nachrichten über Massenvergewaltigung

In welcher Welt wollen wir leben? In dieser aktuell doch sicher nicht. Auf einer Buchvorstellung wurde mein Roman direkt kritisiert, weil die Männer sterben, übrigens sehr human, gar nicht durch Folter, Vergewaltigung oder Hunger, also absolut unmännlich. Mir liegt böse in den Fingern zu schreiben, dass human vermutlich eine weibliche Eigenschaft ist, während Gewalt, Brutalität männlich sein muss. Genetisch? Vielleicht genetisch.

Ich muss zugeben, dass die aktuellen Nachrichten über den in Frankreich zu ende gegangenen Prozess Pelicot und der über Telegram organisierte Austausch darüber, wie Mann am besten eine Frau betäubt und anschließend vergewaltigt in mir eine Sintflut an Emotionen austreibt und nebenbei auch eine Sinnflut antreibt. Welchem Mann kann man eigentlich trauen? Mir sitzen mein Tanzpartner, den ich Freund nennen würde, und seine Lebensgefährtin gegenüber und ich frage mich, was weiß ich nicht, muss ich vor ihm Angst haben? Auch vor ihm? Muss ich nicht nach all dem vor jedem Mann Angst haben?

Ich erinnere mich erneut an meine Romanvorstellung und daran, dass ich kritisiert wurde, dass ich den Mann an sich angreife, weil ich mir eine Welt vorstelle, in der der Mann nicht mehr solche Macht hat. Eine Traumphantasie von einem Paradies für Frauen! Ich kann verstehen, warum in Essen der Beginenhof nur Frauen aufnehmen. Nein, eine Welt ohne Männer mag ich mir wirklich nicht vorstellen. Also gut, habe ich streng genommen, aber ich würde dort nicht leben wollen. Ich dachte aber auch immer, dass nicht alle Männer so sind, dass sie Frauen Gewalt antun und dass ich bestimmt am Verhalten des Mannes mitbekommen kann, ob er mir Gewalt antun will oder nicht. Doch wenn es genetisch ist, ich nicht mitbekomme, wie mein Gegenüber mich gerade entmenschlicht, um mit und an mir seine Gewaltphantasien auszuleben, wo bin ich dann sicher? Wann bin ich dann sicher?

G. Pelicot hat bestimmt ihre üblichen Differenzen mit dem Ehemann gehabt, sie wird vermutlich mit gestritten haben über die Kindererziehung, über das Geld, über Anschaffungen und über Freiräume. Sie werden gute Tage gehabt haben, vergnügliche und sie werden ein ganz normales Eheleben geführt haben. Wie also geht das? Wie fängt das an? Hat er sich über sie geärgert, weil sie ihm seine Lieblingswurst nicht eingekauft hat und weil sie die nie kauft, hat er sich mit der ersten Betäubung an ihr gerächt und sie mal dafür „bluten“ lassen? Dann hat er sich gedacht, dass das gar nicht so schlimm war und hat es noch einmal gemacht? Und dann hat er daraus ein Experiment gemacht und fand es sexuell immer erregender? Wie oder wo beginnt so ein Trip? Und was bedeutet das dann letztlich, wenn man mit 72 Jahren auf ein Eheleben zurückblicken muss, dass durchfärbt ist von einer gewaltigen Lüge und von massiver Gewalt und von so einem Missbrauch an Vertrauen und dergleichen. Das ist der Mann, den man bekocht hat, mit dem Mann Kinder hat, mit dem man sein Leben geteilt hat, an dessen Schulter man geweint hat, den man in Krankheit gepflegt hat.

Wie sollen wir Frauen überhaupt noch Vertrauen für irgendeinen Mann haben? Für die meisten Männer, mit denen ich zusammen war oder mit dem ich aktuell zusammen bin, würde ich meine Hand ins Feuer gelegt haben, dass ich da sicher bin – wie „in Adams Schoß“. Aber heute? In Adams Schoss ist eine Frau nicht sicher.

Es ist der Puls der Zeit. Meine Romanidee ist älter, doch nun ist die Zeit offensichtlich reif für dieses Thema. Und die Reaktion im Buchladen zeigt, es ist aller höchste Eisenbahn, dass wir Frauen uns ermächtigen, nicht mehr wie ein Kaninchen vor der Schlange zu erstarren, nicht mehr zu dulden, wenn Männer über Grenzen treten, nicht mehr zu schweigen. Meine Tochter erzählte heute von einer Übergriffigkeit während der Arbeitszeit durch einen Kunden und erklärte, wie sie ihn bestimmt und klar und gar nicht lächelnd und freundlich in die Schranken gewiesen hat und ich wünschte mir, mir würde dies auch so gut gelingen. Wir hören uns blöde Witzen an, dumme Sprüche, ertragen Hände auf Oberschenkeln, im Nacken oder um die Hüfte gelegt und schweigen. Das muss aufhören. Ebenso wie das Ammenmärchen, dass die wahre Gefahr für die Frauen im dunklen Wald in der Nacht läge und nicht direkt im Bett nebenan. Wir müssen aufhören, unseren Töchtern vom gefährlichen fremden Mann nachts um zwei zu erzählen. Wir müssen damit beginnen, dass wir ihnen Handlungsweisen beibringen, wenn Papa, Bruder, Freund und Onkel zudringlich werden. Wir müssen diese Dinge beim Namen nennen und nicht nur in Frauenrunden. Lassen wir den Männern das Manspreading oder das Mansplaining. Kleinigkeiten. Aber wirklich wichtig ist, dass wir Frauen uns ermächtigen, Empowerment ist das Stichwort. Dafür brauchen wir kein Organ wie in „the Power“ von Naomi Alderman.

Ist es eine unerfüllbare also utopische Wunschvorstellung, dass Männer und Frauen in einer Welt gemeinsam leben könnten, ohne gegenseitig sich unterdrücken zu müssen, sobald es zum Machtausgleich käme? Gibt es keine Möglichkeit der Gleichberechtigung im Miteinander? Muss A immer B dominieren, unterwerfen und unterdrücken? Können wir über unsere genetische Anlage nicht hinaus? Warum sind wir keine Bonobos …?

Ehrlich, ich mag Sex, ich mag Männer, ich mag Menschen und doch schäme ich mich, ein Mensch zu sein.

Und ich frage mich, wie werde ich diese hoffnungslosen Bilder wieder los: Männer, die ihren Schwanz in irgendein Loch in der Mauer, der Wand oder ein Astloch stecken, um sich zu befriedigen. Männer, die irgendeine Frau bewusstlos ficken. Männer, die einer Frau ihren Schwanz in den Mund stecken, obwohl sie vielleicht daran erstickt, die in Truthennen ihre Schwanz treiben, ob diese tot oder lebendig sind, die Orang-Utan-Weibchen zu Frauen verkleiden und ficken, die sogar ihren Schwanz in einen Staubsauger einführen. No capisco. Und würde ich all das tun, wenn ich auf der anderen Seite der Macht stünde? Gibt es irgendwas Vergleichbares in mir, irgendeine Phantasie, die mich verstehen lässt? Ehrlich, ich suche und suche und suche. Ich will kein Kind ficken, weil es so schön kindlich ist. Ich will mich nicht an einem Baum reiben oder an einem Bein oder mir nicht in einer vollen U-Bahn zwischen die Beine greifen und mich selbst befriedigen oder irgendeinem fremden Mann die Hose runterziehen, ihm zwischen die Beine greifen. Wieso habe ich nicht eine kleine miniperverse Phantasie, die mich verstehen lassen könnte, dass all das „menschlich“ ist. Wieso fühlt es sich so an, als sei ich von einem anderen Stern?

Allmählich verstehe ich, dass ich diese Romanserie schreiben will, weil ich begreifen möchte, was es heißt, solchen Zwängen unterworfen zu sein. Nur, wie werde ich diese Bilder wieder los?