Arbeitsprozesse – Schreiben

Schreiben. Seit der Mensch zum ersten Mal in Keilschrift erfasst hatte, was er auf Lager hat und was er dafür bezahlen musste, schreibt der Mensch. Wie viele Planeten könnten wir mit phantastischen Geschichten ausstatten!

Wieso also sollte ich dem noch etwas hinzufügen wollen?! Sicher ist alles mehr als einmal erzählt worden.


Steven King hat geschrieben, dass er seinen Millionen zum Trotz weiterschreibt, weil er es liebt zu schreiben. Er hat Lust zu schreiben. Lust am Schreiben? Schreiblust vielleicht?!

Diese Gefühl lässt sich nur verstehen, wenn man es kennt.

Meine jüngste Tochter hat schon mit Mammutprojekten für sich angefangen, als sie noch in der Grundschule war, gleichzeitig liebt sie das Zeichnen. Als sie zehn Jahre alt war, sagte sie zu mir, dass ich sie beim Schreiben immer kritisieren dürfte. Es wäre gut, wenn ich ihr sage, was sie besser machen kann. Beim Zeichnen kann sie das nicht ertragen, das wäre für sie zu wichtig. Wie klar sie hatte, was ihr so wichtig ist, dass sie es sich nicht zerstören lassen wollte. Noch heute denke ich daran, wenn sie mich um eine Beurteilung zu ihren Zeichnungen bittet.
Und sie sagte, dass sie dann die Welt um sich herum vergisst.

Meine große Tochter erklärte mir (sie war 13 oder 14 Jahre alt), dass sie sich selbst Geschichten erzählt und dann die Welt um sich herum vergisst.

ICH? Ich fühle mich wie Gott, wenn meine Figuren auf dem Papier für mich tanzen. Leider tun sie nicht immer genau das, was ich von ihnen erwarte, aber dann muss ich sie leider auch den Schriftstellertod erleiden lassen. Ich habe erst vor drei Tagen ein Liebespaar mit einer Hinrichtung dafür büßen lassen, dass sie nicht mehr machten, was ich wollte. Scherz beiseite: Mit dem Tod einer Figur zeigt man, dass die Lage ernst ist und steigert die Glaubwürdigkeit. Außerdem frisst die Figur dann kein Papier und keine Aufmerksamkeit mehr. Manchmal müssen nicht mehr gebrauchte Figuren weichen.

Es macht Spaß. Das Schreiben.

Ich schreibe nicht für Ruhm (ein bisschen wäre schön), nicht für Geld (eine Hure sind meine Produkte der Phantasie auch nicht) und nicht für Anerkennung (dann wäre ich besser nicht Lehrerin geworden).

Zu sagen, ich schreibe nur für mich, ist Quatsch, denn dann würde ich mir die Geschichte erzählen und fertig. Das stimmt so auch nicht ganz.

  • Ich möchte die Geschichte mit anderen teilen, weil ich sie spannend, witzig, unterhaltsam finde oder weil sie zum Nachdenken anregen könnten.
  • Ich möchte sie in Bildern vor mir sehen und als Bühnenbild oder Film ansehen können.
  • Ich möchte sie meinen mir liebsten Menschen zeigen
  • Ich möchte nach Worten ringen und sie zusammenklauben.

Wenn ich nur mir die Geschichte erzählen wollte, müsste ich gar nicht so genau wissen, welche Berufe die 32 Männer im Stollen haben, welche Hobbys und wann sie alle so geboren sind. Auf der anderen Seite hätte ich nicht so viel Spaß dabei, mir auszudenken, was sie bislang gemacht haben, wenn ich es nicht müsste, damit daraus deutlich umrissene Figuren auferstehen können. Gott, der Hundefrisör hat mir schon viel Spaß gemacht und der Englischlehrer und erst der Frisör. Mein Frisör heißt Elvis.

Welche Eltern können ihr Kind so hassen, dass sie diesen Namen für einen Sohn auswählen? Nicht falsch verstehen, ich mag den Sänger Elvis. Dieser Name ist jedoch so stark besetzt von Elvis, dass es gemein ist, seinen Sohn diesem Gespött auszusetzen. Und nicht jeder, der es in der Schule schwer hatte, wird deswegen berühmt und erfolgreich.

Für den Verlauf meiner Story brauche ich die Berufe meiner Figuren kaum zu kennen, denn durch die Katastrophe (ich sag mal dazu nichts weiter) hat sich gesellschaftlich so viel verändert, dass die meisten Berufe gar nicht mehr gebraucht werden – zumindest nicht für den Lohnerwerb. Natürlich brauchen sie das Gelernte irgendwie zum Überleben. Die Männer hatten zwar alle möglichen interessanten und auch witzigen Berufe, doch ist das für die Situation, in der sie jetzt stecken, ziemlich nutzlos und wenig hilfreich. Bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht zeigt das – das ist mein Spaß -, dass wir uns so hübsch spezialisiert haben und so schön die Aufgaben verteilen können (der Hundefrisör ist da sicher der Gipfel, ja und mein Besamer, nicht zu vergessen den Sozialwissenschafts- und Englischlehrer), dass wir im Falle einer realen lebensbedrohlichen Krise, die uns aus dem zivilisierten übertechnisierten Alltag zurückwirft auf die uns von Natur aus gegebenen Überlebensstrategien, erstmal da stehen, wie der Ochs vorm Berge. Wir würden überleben, wir fänden Strategien. Klar, das zeichnet den Menschen aus. [Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit] Doch wir hätten stark mit unserem Wunsch nach „Normalität“ zu kämpfen – wie die C-Krise (die für uns Deutsche doch harmlos verläuft) zeigt. Wir sind natürlich bereit, erstmal zu akzeptieren, dass es kurzfristig eine Veränderung gibt, aber in Wirklichkeit liegen wir wie Gregor Samsa auf dem Rücken und wollen die Augen vor dem verschließen, was unsere Normalität irritiert. [Die Verwandlung, Kafka] Das führt zu weiteren menschlichen Krisen wie Depressionen, aggressivem Verhalten, Apathie und Ähnlichem mehr.

Ich will sagen, es macht mir Spaß, mir all das auszudenken und zu überlegen, was der Leser dazu sagen wird. Und da denke ich auch an meinen Idealen Leser – wie Stephen King sagte. Bei ihm ist es seine Frau. Bei mir mein Partner. Zumindest wünsche ich mir das.

Als ich in seinem Buch „Das Schreiben und das Lesen“ las, dass er meinte, dass er bestimmt vor Carrie (sein Durchbruchsroman) aufgehört hätte zu schreiben, wenn seine Frau ihn nicht immer wieder ermuntert hätte, weiterzumachen, dachte ich an meinen Ex-Mann, an einige Ex-Beziehungspartner und dachte, dass mir die das Weiterschreiben nicht leicht gemacht hatten. Ich hätte für meinen Ex-Mann gar nichts schreiben können; es hätte ihn schlicht nicht interessiert. Ein Jugendfreund sagte mal, dass er es gerne schauen würde, wenn es verfilmt worden sei. Und jetzt meinte mein Partner – wir sind noch nicht so lange zusammen -, dass er sich freut, wenn er es lesen kann. Das ist Premiere – fast. Während des Schreibens denke ich oft: Was wird er wohl sagen, wenn er das liest?

Was nehme ich an wichtigen Botschaften von King mit:

  1. 10 Prozent müssen beim ersten Redigieren raus.
  2. Prüfe dein Leitmotiv und die Symbolebene – findet sich da was?
  3. Schreib erstmal – Hauptsache die Seiten füllen sich.
  4. Stilfragen kommen in die zweite oder dritte Runde – halte dich nicht mit einzelnen Wörtern zu lange auf.
  5. Kill die Adverben [er tritt sie tot] und schreib nicht so viel Redundanzen (ellenlange Beschreibungen in allen Richtungen). Und ich würde hinzufügen: Tot allen Füllwörtern: auch, eigentlich, mal, überhaupt, schon, aber, ja, nur, noch, doch, wieder, vielleicht, eventuell, dann. Das sind von allen die schlimmsten, denn dieses Unkraut wuchert unansehnlich auf der Wiese und macht Ärger. Ein Satz ohne diese angeblichen Verstärker wirkt um ein Vielfaches dichter, klarer und eindeutiger. Die Klarheit der Einfachheit.
  6. Lass dem Leser Lücken zum Füllen – er hat ja auch Phantasie dabei.
  7. Tür zu: Du und der Text/ Tür auf: der Text und die Welt.
  8. Kill your darlings – nicht dass ich es nicht schon wusste, aber es tut trotzdem weh.

Er hat natürlich viel viel mehr gesagt, aber das war es, was ich als wichtig erachten würde. Er hat auch gesagt, dass Lesen und Schreiben das Schreiben schulen würde, dass man nicht genug Romane lesen kann, dass Recherche natürlich auch wichtig ist (wenn das Buch geschrieben ist.), dass man einen Werkzeugkasten braucht und einen schönen Arbeitsplatz und eine konkrete Arbeitszeit … Jaja. Das kennt man alles.

Übrigens lässt sich das Buch richtig schön wegschnabulieren. Ich kann es empfehlen.

Die Unschärfe des Begriffs Bildung

Ein Gebilde der Kunst




Ein Begriff lässt sich fassen, wenn wir seine Umrisse konturieren. Um den Begriff Bildung zu bestimmen, beginnen wir mit dem Wortstamm: Bild. Ein Bild ist eine Anordnung von kompositorischen Elementen, denen ich einen Sinn entnehmen will. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt von einem unendlichen Raum zu einer beliebigen Zeit. Für das Erfassen benötige ich eine Begrenzung. Das Bild wird als Ausschnitt begrenzt und erhält durch die Definition von Umgrenzung eine Bedeutung. Auf dieser Bildebene verwendet es seine eigene Sprache, die ich als Betrachtende deute. Ich setze das Bild in einen für mich verständlichen Kontext. Ohne alle Bilder dieser Welt zu kennen, erfasse ich, dass etwas diesem Muster entspricht, wenn mir ein unbekanntes Objekt dieser Art vorgelegt wird. 

Mit dieser simplen Formel zeigt sich schnell, dass Bildung nicht die Ansammlung von Wissen sein kann, denn Wissen allein ist unverwertete Information wie der offene Raum zu einem beliebigen Zeitpunkt. Der Begriff „Bildung“ hat jene Unschärfe, wie sie Wittgenstein bereits in seinem Tractatus Philosophicus beschrieben hat, denn was genau diesen Begriff auszeichnet, definiert jede Institution, jeder Philosoph oder jedes Individuum für sich – zumindest könnte man das meinen. 

Von diesen zu verwertenden Informationen wird eine Summe mit Bedeutung gebildet, damit wird etwas, was vorher unspezifisch vorhanden war, angeordnet bzw. zusammengefasst. Wenn ich wie im Beispiel des Bildes davon ausgehe, dass Wissen nicht beliebig angehäuft wird oder dass Erfahrungen sinnhaft erfolgen, dann muss ich weiter davon ausgehen, dass Bildung von Etwas ebenfalls dem Gesetz des sinnstiftenden Zusammenhangs folgt.

Spreche ich von einem gebildeten Menschen, meine ich nicht ausschließlich einen intelligenten Menschen oder einen wissenden Menschen, sondern einen Menschen, der sich auf eine spezifische Weise anderen Menschen sowie seiner Welt gegenüber verhält. Zumeist ist das eine Ehrbekundung, wenn ein Mensch als gebildet bezeichnet wird. 

Gebildete Menschen sind zugleich bescheiden oder zumindest wenig eitel, so wie Sokrates als gebildeter Mensch weit über seine Lebenszeit hinaus bekannt ist. Er soll einmal gesagt haben, dass er nur wisse, dass er nichts wisse. Ein dummer Mensch würde an der Stelle sagen: „Hä, weiß er jetzt was oder weiß er nichts?“ Ein kluger Mensch schweigt und denkt über diese Aussage nach. Ein gebildeter Mensch hingegen nickt und sagt, dass das der Bedeutung des Begriffs „Halbwissen“ von Adorno wohl am nächsten käme.

Adorno meint, dass Bildung erst dann erfolge, wenn ein Individuum sich selbst bilde und selbst bestimmt, mit welchen Inhalten dies geschehen könne. (Theorie des Halbwissens, Theodor Adorno) Woran ich als Individuum reifen kann, wie ich meine Umwelt begreife, dass entscheide ich als Individuum selbst. In diesem Sinne gibt es nach Ansicht Adornos keinen gebildeten Menschen, da doch jede Bildung scheitern muss, weil sie stets von außen an das Individuum getragen würde, bevor dieses selbst erkennen kann, dass es sich in einem Bereich bilden will?

Bei der Beobachtung von Kindern in den ersten sechs Lebensjahren, also bevor sie in die Schule und damit in die Bildungsanstalten kamen, zeigte mir, dass der Mensch lernen will, weil er seine Umwelt begreifen will. Diese Beobachtung deckt sich mit denen von Montessori und Piaget, die dafür bekannt wurden, weil sie den Lerndrang von Kindern beschrieben. Piagets Definition des Lernens mit diesem Bildungsgedanken zu verknüpfen, ist sicherlich bereits geschehen, denn die Ideale der Bildung hochzuhalten, geht immer einher mit dem Lernen an sich.

Die Anlage zum Lernen muss bereits vorhanden sein, denn der Mensch wird wie kein anderes Tier unfertig geboren und besitzt keine Verteidigungswerkzeuge von Natur aus (Krallen, Schnelligkeit, Hauer, Hörner, etc.). Die Fähigkeit, die der Mensch hat, ist ein Gesellschaftswesen zu sein und von anderen Menschen, die er in der Gruppe immer schon vorfindet, zu lernen. Wir werden in eine bestehende Welt hineingeboren und versuchen diese zu begreifen, Schritt für Schritt. Die Komplexität der Welt bringt es mit sich, dass diese Auseinandersetzung mit der Welt ein nicht-endender Prozess ist. So wie ich nicht anders kann, als all das, was mir begegnet, nach meinem Verständnis zu interpretieren und zu verankern, so kann ich nicht aufhören, Wissen zu sammeln und Zusammenhänge zu ziehen. Doch scheinbar gibt es dennoch etwas, was wir dann als Unbildung oder Missbildung im Gegensatz zur Bildung verstehen. 

Nicht jeden Menschen eines bestimmten Alters bezeichnen wir als gebildeten Menschen, obwohl doch alle alten Menschen viel gesehen und erlebt haben. Es gibt Menschen, die sind wissenshungrig, gehen Risiken ein und setzen sich auf  besondere Weise mit ihrer Welt auseinander. Mit einem Bild von Rainer Schröder aus seinem Roman Das Geheimnis des Kartenmachers gesprochen: Die meisten Menschen sind Maulwürfe, manche Adler.

Auch wenn man wie Peter Bieri in Wie wäre es, gebildet zu sein? die verschiedenen Facetten von Bildung skizziert, so bleibt bestehen, dass diesen Begriff eine Unschärfe umgibt, der sich erst je nach Kontext und Gebrauch konturiert. Doch genau durch diese vielfältige Verwendung bleibt dieser Begriff in sich unspezifisch genug, dass er sich wie ein Chamäleon anpasst. Unschärfe gehört zu seinem Fachgebiet.