Das seitenweise Runterschreiben gelingt mir nicht. Ich stelle fest, dass hier und da Recherche für den weiteren Verlauf wichtig und nötig ist. Oder ich spring zurück, weil ich an diversen anderen Tagen noch was einbauen muss. Einmal hab ich nur einen Handlungsstrang in den Rest integriert und durchgeplotet.
Zur Romanstruktur: Die Tage sind gezählt, die unsere Helden im Stollen verbringen (Unten) und was währenddessen in der Stadt passiert (Oben). Diese Tage dienen der linearen Orientierung. Damit ich die Orientierung nicht verliere und nicht so viel Zeit mit Suchen verbringen muss, wann was genau vorher oder nachher passiert ist, habe ich mir eine tabellarische Übersicht wie ein Kalenderblatt mit 90 Feldern (für drei Monate) aufgehängt. Damit ich also weiß, ab wann im Stollen von wem Brot gebacken wird, ist das an Tag 4 auf einem blauen Zettel (Farbe = Ort) vermerkt. Das erlaubt mir die Wochentag im Blick zu behalten, So kann ich sie abzählen. Das wiederum erlaubt mir, zyklische Abläufe zu koordinieren und damit kann ich zurückspringen und kleinere Handlungsstränge geschickt einflechten, ohne nochmals alles umzustricken zu müssen. Hier ein Beispiel:
Einer der Handlungsstränge, denn ich erst im Nachhinein untergebracht hatte, obwohl ich ihn schon ganz am Anfang im Kopf hatte, war die „Warten auf Godot„- Sequenz. Wenn wir einen Querschnitt an Menschen annehmen können, dann haben wir eine deutlich geringere aber doch vorhandene Zahl an Intellektuellen, denen das Theater fehlen wird, wenn es lange ausbleibt. Naheliegend ist, dass sie selbst ein Theaterstück inszenieren, wenn die Langeweile groß genug ist. Allerdings musste ich erstmal schauen, wann dieser Zeitpunkt denn kommt. Auch, wie lang die Handlung danach noch im Stollen stattfinden würde. Ich wollte, dass dieses Theaterstück den Höhepunkt des Wartens und der Langeweile von UNTEN markiert. Danach dreht die Handlung nämlich und wir haben eine große Beschleunigung bis zur Katastrophe und dem Ende. Als ich den Moment der Aufführung absehen konnte, konnte ich auch die Handlung dafür einführen. Aber auch die Vorbedingungen, die eine Inszenierung unter so vielen verschiedenen Menschen erstermöglicht.
Das Theaterstück von Beckett habe ich vorher nicht gesehen. Ich wusste davon nur, was allgemein über das absurde Theaterstück bekannt ist: Man wartet auf jemanden, der nicht kommt. Daher stammt die Redewendung, die ich gerne nutze, wenn das Warten sinnlos ist. Wenngleich Warten für die meisten Menschen die unangenehmste Beschäftigung in der Lebenszeit ist, so ist es eine, der wir nicht ausweichen können und die viel Raum einnimmt. Auf irgendwas warten wir immer: Auf Normalität, auf den Postboten, auf Nachrichten, auf das Ende, auf den Anfang, auf die Liebe, auf die Erfüllung, auf Ruhe, auf Aufregung. Immer zeichnet das Warten aus, dass wir nicht im Hier und Jetzt verweilen. Die Menschen im Stollen warten auch, mit Langeweile und sinnlosen Taten. Und das Warten dachte ich, könnte mit dem Theaterstück über das Warten ein Ende finden, wenn auch nicht das geplante Ende mit dem Erfolg, dass das, worauf alle gewartet haben, eintritt. In dem Zuge suchte ich passende Zitate und passende Handlungselemente aus dem Beckett-Text, mit dem ich mich vorher nicht befasst hatte. Dann folgt das Wunder, dass ich schon öfters erlebte: Meine Intuition (also dieses fragil vage Gefühl) hat mich an die klarste Wasserstelle geführt. Ich habe so sehr passende Zitate gefunden, dass man denken könnte, ich suchte eine passende Geschichte für die Zitate.
Das war nicht einmal das Beste. Das hebe ich mir auf. Dieses Wunder ist der Grund, dass mir das Schreiben so viel Spaß macht. Ich setze mich mit Dingen auseinander, wie ich es sonst nicht täte und es macht mich glücklich.
Die Handlungsstränge von UNTEN und OBEN unterscheiden sich, ebenso die Positionen der Protagonisten … Mein Leitgedanke auch bei den Figuren:
Schreiben. Seit der Mensch zum ersten Mal in Keilschrift erfasst hatte, was er auf Lager hat und was er dafür bezahlen musste, schreibt der Mensch. Wie viele Planeten könnten wir mit phantastischen Geschichten ausstatten!
Wieso also sollte ich dem noch etwas hinzufügen wollen?! Sicher ist alles mehr als einmal erzählt worden.
Steven King hat geschrieben, dass er seinen Millionen zum Trotz weiterschreibt, weil er es liebt zu schreiben. Er hat Lust zu schreiben. Lust am Schreiben? Schreiblust vielleicht?!
Diese Gefühl lässt sich nur verstehen, wenn man es kennt.
Meine jüngste Tochter hat schon mit Mammutprojekten für sich angefangen, als sie noch in der Grundschule war, gleichzeitig liebt sie das Zeichnen. Als sie zehn Jahre alt war, sagte sie zu mir, dass ich sie beim Schreiben immer kritisieren dürfte. Es wäre gut, wenn ich ihr sage, was sie besser machen kann. Beim Zeichnen kann sie das nicht ertragen, das wäre für sie zu wichtig. Wie klar sie hatte, was ihr so wichtig ist, dass sie es sich nicht zerstören lassen wollte. Noch heute denke ich daran, wenn sie mich um eine Beurteilung zu ihren Zeichnungen bittet. Und sie sagte, dass sie dann die Welt um sich herum vergisst.
Meine große Tochter erklärte mir (sie war 13 oder 14 Jahre alt), dass sie sich selbst Geschichten erzählt und dann die Welt um sich herum vergisst.
ICH? Ich fühle mich wie Gott, wenn meine Figuren auf dem Papier für mich tanzen. Leider tun sie nicht immer genau das, was ich von ihnen erwarte, aber dann muss ich sie leider auch den Schriftstellertod erleiden lassen. Ich habe erst vor drei Tagen ein Liebespaar mit einer Hinrichtung dafür büßen lassen, dass sie nicht mehr machten, was ich wollte. Scherz beiseite: Mit dem Tod einer Figur zeigt man, dass die Lage ernst ist und steigert die Glaubwürdigkeit. Außerdem frisst die Figur dann kein Papier und keine Aufmerksamkeit mehr. Manchmal müssen nicht mehr gebrauchte Figuren weichen.
Es macht Spaß. Das Schreiben.
Ich schreibe nicht für Ruhm (ein bisschen wäre schön), nicht für Geld (eine Hure sind meine Produkte der Phantasie auch nicht) und nicht für Anerkennung (dann wäre ich besser nicht Lehrerin geworden).
Zu sagen, ich schreibe nur für mich, ist Quatsch, denn dann würde ich mir die Geschichte erzählen und fertig. Das stimmt so auch nicht ganz.
Ich möchte die Geschichte mit anderen teilen, weil ich sie spannend, witzig, unterhaltsam finde oder weil sie zum Nachdenken anregen könnten.
Ich möchte sie in Bildern vor mir sehen und als Bühnenbild oder Film ansehen können.
Ich möchte sie meinen mir liebsten Menschen zeigen
Ich möchte nach Worten ringen und sie zusammenklauben.
Wenn ich nur mir die Geschichte erzählen wollte, müsste ich gar nicht so genau wissen, welche Berufe die 32 Männer im Stollen haben, welche Hobbys und wann sie alle so geboren sind. Auf der anderen Seite hätte ich nicht so viel Spaß dabei, mir auszudenken, was sie bislang gemacht haben, wenn ich es nicht müsste, damit daraus deutlich umrissene Figuren auferstehen können. Gott, der Hundefrisör hat mir schon viel Spaß gemacht und der Englischlehrer und erst der Frisör. Mein Frisör heißt Elvis.
Welche Eltern können ihr Kind so hassen, dass sie diesen Namen für einen Sohn auswählen? Nicht falsch verstehen, ich mag den Sänger Elvis. Dieser Name ist jedoch so stark besetzt von Elvis, dass es gemein ist, seinen Sohn diesem Gespött auszusetzen. Und nicht jeder, der es in der Schule schwer hatte, wird deswegen berühmt und erfolgreich.
Für den Verlauf meiner Story brauche ich die Berufe meiner Figuren kaum zu kennen, denn durch die Katastrophe (ich sag mal dazu nichts weiter) hat sich gesellschaftlich so viel verändert, dass die meisten Berufe gar nicht mehr gebraucht werden – zumindest nicht für den Lohnerwerb. Natürlich brauchen sie das Gelernte irgendwie zum Überleben. Die Männer hatten zwar alle möglichen interessanten und auch witzigen Berufe, doch ist das für die Situation, in der sie jetzt stecken, ziemlich nutzlos und wenig hilfreich. Bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht zeigt das – das ist mein Spaß -, dass wir uns so hübsch spezialisiert haben und so schön die Aufgaben verteilen können (der Hundefrisör ist da sicher der Gipfel, ja und mein Besamer, nicht zu vergessen den Sozialwissenschafts- und Englischlehrer), dass wir im Falle einer realen lebensbedrohlichen Krise, die uns aus dem zivilisierten übertechnisierten Alltag zurückwirft auf die uns von Natur aus gegebenen Überlebensstrategien, erstmal da stehen, wie der Ochs vorm Berge. Wir würden überleben, wir fänden Strategien. Klar, das zeichnet den Menschen aus. [Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit] Doch wir hätten stark mit unserem Wunsch nach „Normalität“ zu kämpfen – wie die C-Krise (die für uns Deutsche doch harmlos verläuft) zeigt. Wir sind natürlich bereit, erstmal zu akzeptieren, dass es kurzfristig eine Veränderung gibt, aber in Wirklichkeit liegen wir wie Gregor Samsa auf dem Rücken und wollen die Augen vor dem verschließen, was unsere Normalität irritiert. [Die Verwandlung, Kafka] Das führt zu weiteren menschlichen Krisen wie Depressionen, aggressivem Verhalten, Apathie und Ähnlichem mehr.
Ich will sagen, es macht mir Spaß, mir all das auszudenken und zu überlegen, was der Leser dazu sagen wird. Und da denke ich auch an meinen Idealen Leser – wie Stephen King sagte. Bei ihm ist es seine Frau. Bei mir mein Partner. Zumindest wünsche ich mir das.
Als ich in seinem Buch „Das Schreiben und das Lesen“ las, dass er meinte, dass er bestimmt vor Carrie (sein Durchbruchsroman) aufgehört hätte zu schreiben, wenn seine Frau ihn nicht immer wieder ermuntert hätte, weiterzumachen, dachte ich an meinen Ex-Mann, an einige Ex-Beziehungspartner und dachte, dass mir die das Weiterschreiben nicht leicht gemacht hatten. Ich hätte für meinen Ex-Mann gar nichts schreiben können; es hätte ihn schlicht nicht interessiert. Ein Jugendfreund sagte mal, dass er es gerne schauen würde, wenn es verfilmt worden sei. Und jetzt meinte mein Partner – wir sind noch nicht so lange zusammen -, dass er sich freut, wenn er es lesen kann. Das ist Premiere – fast. Während des Schreibens denke ich oft: Was wird er wohl sagen, wenn er das liest?
Was nehme ich an wichtigen Botschaften von King mit:
10 Prozent müssen beim ersten Redigieren raus.
Prüfe dein Leitmotiv und die Symbolebene – findet sich da was?
Schreib erstmal – Hauptsache die Seiten füllen sich.
Stilfragen kommen in die zweite oder dritte Runde – halte dich nicht mit einzelnen Wörtern zu lange auf.
Kill die Adverben [er tritt sie tot] und schreib nicht so viel Redundanzen (ellenlange Beschreibungen in allen Richtungen). Und ich würde hinzufügen: Tot allen Füllwörtern: auch, eigentlich, mal, überhaupt, schon, aber, ja, nur, noch, doch, wieder, vielleicht, eventuell, dann. Das sind von allen die schlimmsten, denn dieses Unkraut wuchert unansehnlich auf der Wiese und macht Ärger. Ein Satz ohne diese angeblichen Verstärker wirkt um ein Vielfaches dichter, klarer und eindeutiger. Die Klarheit der Einfachheit.
Lass dem Leser Lücken zum Füllen – er hat ja auch Phantasie dabei.
Tür zu: Du und der Text/ Tür auf: der Text und die Welt.
Kill your darlings – nicht dass ich es nicht schon wusste, aber es tut trotzdem weh.
Er hat natürlich viel viel mehr gesagt, aber das war es, was ich als wichtig erachten würde. Er hat auch gesagt, dass Lesen und Schreiben das Schreiben schulen würde, dass man nicht genug Romane lesen kann, dass Recherche natürlich auch wichtig ist (wenn das Buch geschrieben ist.), dass man einen Werkzeugkasten braucht und einen schönen Arbeitsplatz und eine konkrete Arbeitszeit … Jaja. Das kennt man alles.
Übrigens lässt sich das Buch richtig schön wegschnabulieren. Ich kann es empfehlen.
Ein Begriff lässt sich fassen, wenn wir seine Umrisse konturieren. Um den Begriff Bildung zu bestimmen, beginnen wir mit dem Wortstamm: Bild. Ein Bild ist eine Anordnung von kompositorischen Elementen, denen ich einen Sinn entnehmen will. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt von einem unendlichen Raum zu einer beliebigen Zeit. Für das Erfassen benötige ich eine Begrenzung. Das Bild wird als Ausschnitt begrenzt und erhält durch die Definition von Umgrenzung eine Bedeutung. Auf dieser Bildebene verwendet es seine eigene Sprache, die ich als Betrachtende deute. Ich setze das Bild in einen für mich verständlichen Kontext. Ohne alle Bilder dieser Welt zu kennen, erfasse ich, dass etwas diesem Muster entspricht, wenn mir ein unbekanntes Objekt dieser Art vorgelegt wird.
Mit dieser simplen Formel zeigt sich schnell, dass Bildung nicht die Ansammlung von Wissen sein kann, denn Wissen allein ist unverwertete Information wie der offene Raum zu einem beliebigen Zeitpunkt. Der Begriff „Bildung“ hat jene Unschärfe, wie sie Wittgenstein bereits in seinem Tractatus Philosophicus beschrieben hat, denn was genau diesen Begriff auszeichnet, definiert jede Institution, jeder Philosoph oder jedes Individuum für sich – zumindest könnte man das meinen.
Von diesen zu verwertenden Informationen wird eine Summe mit Bedeutung gebildet, damit wird etwas, was vorher unspezifisch vorhanden war, angeordnet bzw. zusammengefasst. Wenn ich wie im Beispiel des Bildes davon ausgehe, dass Wissen nicht beliebig angehäuft wird oder dass Erfahrungen sinnhaft erfolgen, dann muss ich weiter davon ausgehen, dass Bildung von Etwas ebenfalls dem Gesetz des sinnstiftenden Zusammenhangs folgt.
Spreche ich von einem gebildeten Menschen, meine ich nicht ausschließlich einen intelligenten Menschen oder einen wissenden Menschen, sondern einen Menschen, der sich auf eine spezifische Weise anderen Menschen sowie seiner Welt gegenüber verhält. Zumeist ist das eine Ehrbekundung, wenn ein Mensch als gebildet bezeichnet wird.
Gebildete Menschen sind zugleich bescheiden oder zumindest wenig eitel, so wie Sokrates als gebildeter Mensch weit über seine Lebenszeit hinaus bekannt ist. Er soll einmal gesagt haben, dass er nur wisse, dass er nichts wisse. Ein dummer Mensch würde an der Stelle sagen: „Hä, weiß er jetzt was oder weiß er nichts?“ Ein kluger Mensch schweigt und denkt über diese Aussage nach. Ein gebildeter Mensch hingegen nickt und sagt, dass das der Bedeutung des Begriffs „Halbwissen“ von Adorno wohl am nächsten käme.
Adorno meint, dass Bildung erst dann erfolge, wenn ein Individuum sich selbst bilde und selbst bestimmt, mit welchen Inhalten dies geschehen könne. (Theorie des Halbwissens, Theodor Adorno) Woran ich als Individuum reifen kann, wie ich meine Umwelt begreife, dass entscheide ich als Individuum selbst. In diesem Sinne gibt es nach Ansicht Adornos keinen gebildeten Menschen, da doch jede Bildung scheitern muss, weil sie stets von außen an das Individuum getragen würde, bevor dieses selbst erkennen kann, dass es sich in einem Bereich bilden will?
Bei der Beobachtung von Kindern in den ersten sechs Lebensjahren, also bevor sie in die Schule und damit in die Bildungsanstalten kamen, zeigte mir, dass der Mensch lernen will, weil er seine Umwelt begreifen will. Diese Beobachtung deckt sich mit denen von Montessori und Piaget, die dafür bekannt wurden, weil sie den Lerndrang von Kindern beschrieben. Piagets Definition des Lernens mit diesem Bildungsgedanken zu verknüpfen, ist sicherlich bereits geschehen, denn die Ideale der Bildung hochzuhalten, geht immer einher mit dem Lernen an sich.
Die Anlage zum Lernen muss bereits vorhanden sein, denn der Mensch wird wie kein anderes Tier unfertig geboren und besitzt keine Verteidigungswerkzeuge von Natur aus (Krallen, Schnelligkeit, Hauer, Hörner, etc.). Die Fähigkeit, die der Mensch hat, ist ein Gesellschaftswesen zu sein und von anderen Menschen, die er in der Gruppe immer schon vorfindet, zu lernen. Wir werden in eine bestehende Welt hineingeboren und versuchen diese zu begreifen, Schritt für Schritt. Die Komplexität der Welt bringt es mit sich, dass diese Auseinandersetzung mit der Welt ein nicht-endender Prozess ist. So wie ich nicht anders kann, als all das, was mir begegnet, nach meinem Verständnis zu interpretieren und zu verankern, so kann ich nicht aufhören, Wissen zu sammeln und Zusammenhänge zu ziehen. Doch scheinbar gibt es dennoch etwas, was wir dann als Unbildung oder Missbildung im Gegensatz zur Bildung verstehen.
Nicht jeden Menschen eines bestimmten Alters bezeichnen wir als gebildeten Menschen, obwohl doch alle alten Menschen viel gesehen und erlebt haben. Es gibt Menschen, die sind wissenshungrig, gehen Risiken ein und setzen sich auf besondere Weise mit ihrer Welt auseinander. Mit einem Bild von Rainer Schröder aus seinem Roman Das Geheimnis des Kartenmachers gesprochen: Die meisten Menschen sind Maulwürfe, manche Adler.
Auch wenn man wie Peter Bieri in Wie wäre es, gebildet zu sein? die verschiedenen Facetten von Bildung skizziert, so bleibt bestehen, dass diesen Begriff eine Unschärfe umgibt, der sich erst je nach Kontext und Gebrauch konturiert. Doch genau durch diese vielfältige Verwendung bleibt dieser Begriff in sich unspezifisch genug, dass er sich wie ein Chamäleon anpasst. Unschärfe gehört zu seinem Fachgebiet.
Seit ich damals den Roman „Report der Magd“ von Magret Atwood gelesen und auch die Serie aktuell verfolgt habe, drängt sich einmal mehr wieder die Frage auf, was passiert mit uns Frauen, wenn alles wieder auf Null gesetzt wird?!
Dystopie an die Frau – Report der Magd
Diese Geschichte beginnt damit, dass ganz harmlos alle Konten der Frauen eingefroren werden, dass sie ihre Geld für ihre Arbeit über ihren Mann oder ihren Vater ausgezahlt bekommen. Der zweite Schritt ist die berufliche Freisetzung der Frauen. Wie kocht man einen Frosch? Man setzt ihn ins Wasser und erhitzt langsam das Wasser, er merkt überhaupt nicht, wenn es zu spät ist. Und so perplex reagieren die Frauen auch. Missverständnis! Das kommt alles wieder in Ordnung. Wie sagt Hermine zu Harry im 5. Teil von „Harry Potter“: „Guck mal, die Sache ist ganz einfach …“ Harry unterbricht sie: „Hier ist gar nichts einfach, Hermine.“ Die Story setzt also in unser aufgeklärten Zeit ein. Frauen arbeiten in allen Berufen, verbinden Beruf und Kinderwunsch (mehr oder weniger gut) und leben in offenen Verbindungen mit Männern. Wie ein böser Traum (von ein paar faschistischen radikalen Christen) bricht die Veränderung über Nacht herein und entmündigt die Frauen und damit beendet sie den Wimpernschlag des feministischen Aufbegehrens gegen die jahrtausendalte Unterdrückung der Frau. Sherlock muss erst Watson in der „Braut des Grauens“ erklären, dass die eine Hälfte der Menschen die andere Hälfte der Menschen unterdrückt und versklavt und dass er damit die Frauen meint, die gegen Männer Krieg führen sollten. Wenn wir ganz ganz ehrlich sind, dann leben wir immer noch sehr ungleich! Männer arbeiten und haben abends eine Familie, Frauen haben Beruf und Kinder zu vereinen, kümmern sich um die Betreuung, huschen zwischen Arbeit und Kind hin und her. O-Ton Ex: „Du wolltest doch die Kinder!“ Männer wollen in der Regel ja keine Kinder, sie wollen nur Sex. Wenn wir noch ein bisschen ehrlicher sind, dann ist die Kleinfamilienregelung für die Frau ein 12-Jahre-K.O.-Vertag: Wohnung in Ordnung halten, Kind versorgen (oft mit schlechtem Gewissen) und Beruf. Bitte noch mit Karriere.
Harari – historischer Hintergrund
Yuval Noah Harari legt in seiner „kurzen Geschichte der Menschheit“ die These nahe, dass es zu unserem genetischen Konzept gehört, als Frau unterdrückt zu werden. Er behauptet, dass so einhellig und durchgängig in allen Gesellschaften und Kulturen unterschiedlichste Epochen Frauen eben zweitrangig behandelt wurden, dass scheinbar ein Konzept dahinter steckt. Das Patriachat sei ein sehr beständiges Konzept und die derzeitige Gleichberechtigung eine Ausnahmeerscheinung. Ich befürchte, dass er Recht hat. Aber wieso ist das so? Und daraus resultiert die nächste Frage: Wie lässt sich das verhindern? Mal davon abgesehen, dass heutige junge Frauen die Feministinnen als Emanzen verschreien, weiterhin viel mehr Wert auf ihr Styling legen, als darauf, ihre Rechte zu erhalten. Vom Balzverhalten her scheint es so, als müssten die Weibchen des Homosapiens das tun, was gemeinhin dem Männchen unterstellt wird, nämlich die BALZ übernehmen. Frau wirft sich in Schale, tut alles, um attaktiv zu sein. Natürlich für sich. Was aber völliger Quatsch ist. Sie will schöner sein als ihre Konkurrentinnen. Bestes Kleid, beste Maniküre, beste Schuhe, beste Manieren. Männer machen sich nur im Notfall Gedanken, ob sie gut ankommen, stellen das aber offensichtlich nicht so in Frage wie Frauen. Frauen beschäftigt eine Frage wie: Ob er meine Bessenreißer bemerkt hat, oder meine neue Frisur oder mein neues Make-up ode mein neues Deo? Männer beschäftigt das sicher wenige. Mir hat noch nie ein Mann gesagt, dass ich zu schlecht rassiert sei unter den Achseln. Frauen allerdings fanden das sehr notwendig, mich als Stinktier zu bezeichnen, weil meine Achselhaare zu lange waren. (Der Kontex Haarlänge gleich Gestank ist mi übrigens noch immer ein Rätsel.)
Außerdem sind Männer vor allem bequem und warten scheinbar lieber, während Frauen irgendwie auffällig aktiver sind. Das führt dazu, dass auch beim Flirten das Weibchen den dominaten oder aktiven Teil einnimmt. Dass der Geschlechterdisput nicht auf die unterschiedlichen Geschlechtsorgane ganz biologisch zu reduzieren ist, erklärt Harari auch. Die Natur von Mann und Frau ist nicht so unterschiedlich. Da brauch ich auch nicht weit nachdenken, schon unsere Sprache – das Hauptwerkzeug unserer Kultur – ist männlich geprägt. Es ist selbstverständlich Änderungen unterworfen, doch wie schwer es ist, eine nicht gewalttätige Sprache zu führen, dazu hat Marshal Rosenberg lang uns häufig unterrichtet und daraus sein Lebenswerk gemacht.
Allerdings will ich glauben, dass es auch mit der Biologie zu tun hat. Als ich meine drei Kinder bekam, merkte ich, wie sehr sich alles in mir nach Schutz ausrichtete und ich Dinge zu akzeptieren begann, die ich in meinem vorherigen Leben nicht toleriert hatte.
Den Mann nervende Weiblichkeit
Beispiel TANGO: Im Tango führt der Mann. Im Tango fordert der Mann die Frauen auf. Im Tango zeigt der Mann Profil in jeder Hinsicht. Real besehen tanzen Männer lieber mit den Frauen, die sie schon kennen (aus dem Tanzkurs, wo die Leitung übernimmt, dass regelmäßig getauscht wird) oder die sie kennengelernt haben. Sie sagen nicht nein, wenn eine Frau sie auffordert, aber es wird nicht so gern gesehen. Frauen sitzen wie auf einer Stange und warten auf die Aufforderung und animieren mit Blicken und Kommentaren, versuchen das Eis zu brechen. Das ist nur ein Symbol dafür, was überall sonst auch passiert. Im Swingerclub warten Männer vor den Räumen, ob eine Frau reingeht, aber sie flirten nicht und sie werden nicht aktiv.
Zwei Vermutungen legt das nahe: 1. Männer waren noch nie der Teil, der sich um die Balz kümmern mussten, weil sie wählen konnten. 2. Das entspricht unserem Zeitgeist, dass die Männer eher passiv sind. Früher war das anders.
Ich denke, dass die erste Annahme vernünftig ist, da sich Männer im Zweifelsfall mit Gewalt nehmen konnten, was sie wollten, ohne das es zu Problemen führte bzw. in vielen Teilen der Erde führt. Außerdem sind die Rituale, die wir historisch überlebt haben (Taschentuchaufheben, Verlobungszeit, Werbephase, Achtung vor den Eltern, Mitgift), sicherlich eingeführt worden, weil Männer eben eher passiv sind. Mich erinnert das an eine meiner Lieblingsserien, nämlich an „Outlander“.
Outlander ist eine US-amerikanische Science-Fiction-Fantasy-Fernsehserie von Ronald D. Moore. Sie basiert auf der im Original gleichnamigen Romanserie von Diana Gabaldon. Die Serie startete in den USA am 9. Wikipedia
Jamie Fraser – der Hauptcharakter – ist ein ganz ungewöhnlicher Mann, weil er eben für seine Frau einsteht und um sie kämpft. Er begreift das als selbstverständlich. Auch ihre Ehre wieder herzustellen, ist für ihn selbstverständlich. Insgesamt ist er der Inbegriff dessen, was sich eine Frau an ihrer Seite wünscht. Nicht optisch, nichts unbedingt als dieser Mann, sondern eher die Art und Weise, sein Vorgehen, seine Selbstverständlichkeit, seine Eindeutigkeit und seine Akzeptanz. Ich bin immer wieder beeindruckt und denke, gibt es solche Männer in der Realität?! Ich weiß natürlich, dass diese fiktive Figur eine Phantasie einer Frau ist. Konventionen der gegengeschlechtlichen Annäherung fehlen auf jeden Fall. Gleichzeitig ist die Frau in der Lage, dieses Defizit auszugleichen und hat die Balz übernommen. Die Kleidung zeigt das. Dennoch ist die Frau nicht befreit, der Mann auch nicht.
Wenn nun wir mal diskriminieren?
In sozialen Medien wie Twitter lässt sich verfolgen, dass das Thema Gleichbehandlung oder Gleichberechtigung nicht erreicht ist. Manche Frauen müssen sehr hartnäckig verteidigen, dass Männer noch immer gewalttätig sind, dass noch immer nicht die gleichen Rechte für Mann und Frau gelten, dass immer noch nicht beide Geschlechter gleich behandelt werden. Meinen Unterricht – Philosophie sei dank – nutze ich gerne für Experimente. Es gibt Jungen, die würden vermutlich ohne Zögern erklären, dass ich männerfeindlich bin. Bin ich sicher nicht, denn ich mag Männer, meistens. Doch wenn ich in der Presse oder bei Twitter lese, was Frauen passiert, was sie erleben mit Männern, dann erinnert mich das an eigene Erfahrungen, an unschöne Begegnungen mit Männern. Umgekehrt hab ich davon noch nie Männer sprechen hören.
Mein Unterrichtexperiment: Ich erkläre den Jungen, dass Männer aufgrund ihrer Hirnaktivität eigentlich nicht so erfolgreich sind wie Frauen, weil die nun mal ein größeres Hirn haben und sowieso viel sozialer ausgerichtet sind. Ich lass das wie eine Pointe am Anfang klingen, sage den Mädchen, dass sie einfach nachsichtiger sein sollten. Die Jungs lachen in der Regel tatsächlich über diesen Witz. Ich frage sie, wieso sie das nicht als Diskriminierung wahrnehmen?! Meistens bleiben sie auf der Sacheebene, nämlich dass dafür die wissenschaftliche Forschung fehle. Ich konfrontiere sie damit, dass ich sie gerade diskriminiert habe. Reaktion: Sie empfinden das nicht als Diskriminierung. Meine Vermutung: Wir Frauen sind diskriminierungsempfindlicher als Männer, weil wir eine Historie der Unterdrückung und der Gewalt in unserem Bewußtsein veranktert haben. Sklavenmoral á la Nietzsche. Sprich: Der Sklave nimmt sein Sklave-Sein an und verhält sich sklavisch, wodurch der Herr sich als über ihn stehend erlebt und darin bestätigt fühlt. Der Kreislauf erhält sich selbst. Der Sklave ist dem Herrn dankbar, wenn er ihn in die Freiheit entlässt. Real gab es nie diesen Unterschied, es war immer eine kulturell entwickelte Trennlinie. Übersetzung: Wenn der Mann uns als gleichberechtigt akzeptiert, sind wir ihm für diese Handlung dankbar. Er selbst erfreut sich daran, dass er so nett ist. Damit wird die Ungleichbehandlung eigentlich bestätigt.
Wieder Beispiel Tango: Grundsätzlich geht es beim Tango darum, dass der Mann die Frau führt, er mit seiner Führung deutlich macht, was Frau zu tun hat. Sollte die FOLGENDE den FÜHRENDEN nicht verstehen, funktioniert an der Stelle das Zusammenspiel von beiden Akteuren nicht. Anders als bei anderen Tanzformen lernt man beim Tango mögliche Muster und mögliche Reaktionen, nicht ganze Schrittfolgen auswendig. Anders als bei anderen Tänzen wechseln die Tanzpartner häufig und viel. Frauen neigen bei Tanzveranstaltungen eher dazu, sich zu entschuldigen, wenn sie den Mann nicht richtig verstanden haben. Anfangs versuchen sie irgendwas zu tanzen, damit sie dem anderen das Gefühl geben, ihn verstanden zu haben. Damit überspielen sie die eigene Unsicherheit und auch die Pause beim Tanz, falls unklar, ist was nun der nächste Schritt ist. Zwei Muster sind bei Frauen besonders deutlich: Angst, dass Falsche zu machen und dem Mann entgegenkommen zu wollen. Beides bedient das obige Muster, dass der Mann richtig ist und die Frau falsch. Ich habe aufgehört, mich für Missverständnisse zu entschuldigen und höre nun häufiger, dass der Mann meint, er habe falsch geführt. Außerdem bleibe ich stehen, wenn ich nicht verstehe, was der andere will. Und siehe da, der Mann bewegt sich. Fazit: Soll der Mann sein Verhalten verändern, dann muss ich es auch. Er wird aktiv, wenn ich Raum dafür schaffe … Also ist das historisch determiniert oder nicht?!
Wenn Männer aus ihrer Herrenrolle heraus mit uns noch immer „ungleich“ verfahren bzw. kein Bewußtsein dafür haben, wie empfindlich dieses neue Konstrukt ist, was können wir dann jetzt tut, damit es so bleibt bzw. sich in ein freudliches nicht-kriegerisches Milleau hin bewegt? Und da scheint das Problem eben auch bei uns Frauen zu liegen, denn Frauen verhalten sich auch untereinander in ihrer Rolle annehmend. Wie eben beim Tango. Außerdem: Ich lerne Männer kennen, die im Prinzip den gesamten Diskussionen wegen Fraufeindlichkeit oder Diskriminieruung oder Gewalt gegen Frauen sehr ratlos gegenüberstehen und die Diskussion ablehnen. Sie verhalten sich so, wie beim Tango, wenn Frauen sich für ihr Fehlverhalten entschuldigen. Manchmal denke ich, wir Frauen führen die Gespräche gegen Windmühlen, die ebenfalls nur von uns gehört werden. Allerdings sind wir zueinander dabei wenig kooperativ. Ich glaube, dass Männer sich mehr in Ruhe lassen und auch in Ruhe gelassen werden wollen und sie deswegen den ganzen Zauber/Hassel rund um diese Debatte nicht mitführen wollen.
Da ich ja kommende Generationen vorbereite, also auch kommende Frauen in ihren Rollen, muss auch da ein Ansatz her. Und da bin ich unschlüssig, wie man einem Frosch beibringt, dass er doch reagieren muss, wenn man ihn auch nur langsam erhitzen will.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich denke, der Ansatz muss sein, dass wir Frauen uns kooperativer verhalten und aus unser Opferrolle austreten, weniger lamentieren, weniger diskutieren und mehr bestimmen, mehr fordern ohne Diskussion. Kurz und knapp.
Wie gut mir das gelingt, hab ich gerade bewiesen … 🙂
Gleich mit dem Start der Sommerferien NRW eröffnete das Filmfestival NaturVision in Ludwigsburg. Für dieses Festival schnitt und vertonte Sabine Willmann als Produzentin und Regisseurin den Film „Konsum“ bis kurz vor der Premiere beim Open Air Festival. Das Bild oben zeigt zum Beispiel das Gespräch mit der Crew und Sabine Willmann nach dem Präsentieren ihres Films „Konsum“. Ich bin der Einladung von Sabine gefolgt und habe vier sehr interessante und aufschlussreiche Tage erlebt, als ich sie auf ihrem Weg durch die Festivaltage begleitete. Sabine war nicht nur als Filmemacherin unterwegs und gab Interviews, sie zeigte sich als Fachfrau bei einer Tagung und leitete ein Seminar, weiter übernahm sie organisatorische Aufgaben als ehrenamtliches Mitglied der Festivalveranstalter.
Filme für Schulklassen und mehr
Doch der Reihe nach:
Mittwoch (18.7) kam ich in Stuttgart an. Dort hat mir Sabine beim Indischen Filmfestival eine Karte hinterlegt, denn sie war sich sicher, dass sie das zum Film pünktlich nicht schaffen würde. Ich war pünktlich da, doch der Film Kuchh Bheege Alfaaz [Rain Soaked Words] (Eröffnungsfilm) von Onir hat mich nicht so sehr begeistert. Vielleicht fehlt mir auch das indische Gen dazu. Die Geschichte war mir zu durchsichtig, zu flach gefilmt und das Poetische ist mir durch die Sprache abhanden gekommen. Nachdem ich mich vor dem Filmende rausgedrückt hatte, kam doch noch Sabine und begrüßte einhundert Hände.
Am Donnerstag holte sie mich bereits um kurz vor 9 Uhr bei ihrer Freundin ab, bei der ich dankenswerterweise übernachten durfte. Auf dem Tagesprogramm standen Filme mit Schulklassen und anschließenden Gesprächen mit dem Regisseur oder einem Schauspieler des Films.
Ich habe den Film „Ridoy – Kinderarbeit für Fußballschuhe“ von Irja von Bernstorff mit einem 12-jährigen Jungen gesehen, der in seinem Land Felle gegerbt hat, damit seine Familie überlebt. Dazu haben wir dann mit der Regisseurin via Skype gesprochen.
Außerordentlich interessant war die Frage, was weiter mit dem Jungen geschehen war, als die Lederfabrik schließen musste, denn das verriet der Film nicht. Dieser Film wurde später auch mit einem Preisgeld in der Rubrik „Kinderfilmpreis“ gekürt. Ein Film, der sehr nachdenklich macht – Jugendliche wie Erwachsene.
Einen Film sah ich über Naturhelden, einen über das Erzgebirge, einen über Foodsharing und Unverpackt-Läden und einen über die Alm und Ochsenzucht. Die Gespräche wechselten mit dem Publikum. Sabine war sehr geduldig mit den Schüler*innen und hielt das Gespräch noch lange im Gange, obwohl die Kinder bereits unruhig waren. Ich hätte längst vorher abgebrochen und doch, war ihre Taktik die passendere.
Für die lange langatmige Eröffnung wurden wir mit dem Eröffnungsfilm am Freitag belohnt: Sex, Lies and Butterflies – Wunderwesen Schmetterling von Ann Johnson Prum. Ein so poetischer und schöner Tierfilm ist mir selten vor die Linse gekommen. Ja, ich bin gar kein Doku-Fan; Tierfilme habe ich als Familienfilme mit meiner Mutter in Erinnerung: Die Wüste lebt.
3712 Stimmen wurden am letzten Wochenende beim NaturVision Filmfestival im Central Filmtheater im Wettbewerb um den LKZ-Publikumspreis abgegeben. Den ersten Platz machte die Dokumentation „Sex, Lies and Butterflies – Wunderwesen Schmetterling“ von Ann Johnson Prum.
Mit Recht – würde ich sagen, denn der Film fängt nicht nur schöne Bilder ein, sondern erzählt die wundersame Entwicklung und Reise des Distelfalters, wie er von einem blauen Ei zu einem Schmetterling entwickelt und wie er in der Wüste startet, seine Eier ablegt und Richtung Norden aufbricht; wie dann Generation für Generation weiter Richtung Norden wandert, bis die letzte im Spätsommer in den skandinavischen Ländern landet. Und dann verschwindet der Falter? Nein! Die letzte Generation des Sommers fliegt hoch in der Luft zurück in die Sahara, von wo aus die erste Generation gestartet war. Und der Kreislauf wiederholt sich. Faszinierend schöner Film, der keine Minute langweilig ist, denn es wird von allen möglichen Schmetterlingsarten erzählt.
Freitag und Samstag und Sonntag noch mehr Filme – meine Highlights
Der Film „Wunder von Mals“ von Alexander Schiebel erzählt von einer kleinen Stadt, die sich nachdrücklich und unaufhaltsam gegen Apfelplantagenkonzerne und ihre Pestizide gegen die Insekten wehren, weil sie sich vergiftet fühlen.
Mich beeindruckte die nicht-wertfreie Darstellung und die freundliche Hoffnung der Malser, einem kleinen Städtchen in der Schweiz. Ich merkte, wie ich während des Schauens immer wütender wurde, weil diese Geschichte zeigte, wie die Demokratie von einflussreicher Firmenpolitik mit Dreck beworfen wird – oder mit Gift vergast. Irgendwo tief in mir glaube ich auch an die Demokratielüge, ich will sie glauben. Da fand ich es gerade sehr spannend, dass sich die Malser nicht entmutigen ließen und auch nicht aggressiv wurden, dass ihre Ideen innovativ und juristisch sowie moralisch richtig waren. Ich habe mir den Film angesehen, weil ich wissen wollte, wie man sich denn gegen die finanzielle Übermacht wehren kann. Wie kann das gelingen!?
Zum Filmischen kann ich sagen, dass ich hier gerade die Frauenpower mochte, ebenso das episodische Erzählen, und die Verquickung, die sich erst durch das Gesamtbild ergab. Es bleiben am Schluss Fragen offen, wie die Prozesse seitens der Großkonzerne ausgehen, wie es dem Bioapfelbauer nach der versauten Ernte ergeht und ob sie letztlich den Kampf gewinnen. Durch das Nachgespräch klärte sich die Fragen dann noch. Der Regisseur räumte auch ein, dass er letztlich parteiisch gedreht habe, dass er die Antworten der Goßkonzerne und Landespolitiker nicht abgefragt habe, weil er auch eine Haltung habe. Diese Haltung habe er mit dem Film gezeigt. Wer weitere Infos dazu sehen will: http://wundervonmals.com/ Hier findet ihr auch Hintergrundinformationen und viele kleine Videoclips.
Manche Filme – nicht nur Spielfilme – gehen mir nahe, weil ich doch sehr nah am Wasser gebaut bin. Dazu gehört der Film „system error“ von Florian Opitz. Der Spiegel erklärt zu dem Film:
Antikapitalismus-Film „System Error“Besuch bei den Wachstumsjüngern
Vom argentinischen Sojabauern bis zum Trump-Berater: Manager und Politiker setzen auf ewiges Wirtschaftswachstum. Der Dokumentarfilm „System Error“ erforscht ihren Glauben, ganz erklären kann er ihn nicht.
Dieser Film machte mir körperlich Schmerzen, als ich sah, wie die Rinder in Amazonas gehalten werden, manchmal sind Bilder schlimmer als die Phantasie es vermag. Nicht, dass ich das nicht irgendwie weiß, wenn ich darüber nachdenke, doch manche Dinge haben kein Bild, wenn es ein abstrakter Begriff ist, und wenn sich dann die Bilder aufdrängen – was ja beim Film sozusagen symptomatisch ist -, dann werde ich sie nicht mehr los. Als ich diesen Film sah, mit Tränen in den Augen dachte ich, dass damit auch meine Schüler*innen erkennen, dass es keine heile Welt in der Finanzwirtschaft geben kann, dass das Geld sich nicht selbst vermehrt und dass sicher nicht alle reich sein können. Diesen Kontext konnte und musste der Zuschauer selbst erschließen. So geschickt waren die Bilder und die Marx-Zitate verwoben worden.
Im Gespräch erklärte Florian Opitz, weshalb er sich entschieden hatte, den Film so abzudrehen, obwohl keine Frau in seinem Film zu sehen ist. Auf der NaturVision wurde immer wieder deutlich, dass sich Regisseur*innen ständig auch mit der Gender-Frage, der Quotenregelung und mit dem Bild der Frau auseinandersetzen müssen. In diesem Film habe sich keine Frau vor der Kamera darstellen wollen, zumal es ohnehin in diesen Segmenten wenige Frauen gäbe.
Außer Filme?
Neben den Filmen gab es noch viel mehr Programm: Markt von Übermorgen; Science Slam; Workshop zum Thema „Nachhaltigkeit beim Dreh“; Preisverleihung, Get together, etc.
Der Science Slam am Freitagabend war sehr beeindruckend. Fünf unterschiedliche Wissen-schaftler traten gegenein-ander an, darunter eine Frau – wo schon so viel wert auf Gender gelegt wurde. Wissen witzig und unter-haltsam zu verpacken war nicht so leicht, wie es sich anhörte. Wir hörten vom Schlaf der Schnecken (die letztlich gewannen), von einer alten Liebe zum Auto und dem Recycling-Konzept, von Fischen, die so tun, als wollten sie eine ganz andere Fischdame für sich gewinnen und zwei weiteren Inhalten, die ich vergessen habe. Wie erstaundlich, dass eine war so lehrerlike aufgezogen, dass ich gedacht habe, dass ich mir das für immer merken müsste.
5. NaturVision Science Slam
Freitag, 20. Juli 2018, 19 Uhr
Albrecht Vorster von der Uni Tübingen ist der Sieger des 5. NaturVision Science Slams. Er erforscht an Schnecken den Einfluss des Schlafes auf Lernverhalten und Gedächtnis. Und am Ende des Abends war allen klar, welchen Hintergrund Omas Schlafprobleme haben. Wir gratulieren Albrecht und danken allen Slamern für den grandios witzigen und lehrreichen Abend, Philipp Schroegel für seine tolle Moderation und dem Institut Dr. Lörcher für die Unterstützung des Slams.
Schließlich wäre noch das Get together zu erwähnen. Ich sass zusammen mit Sigrid aus Münster, die ich auf anhieb sympathisch fand, und dem großen Wolfsfreund Andreas Hoppe, den irgendwie alle aus irgendwelchen Tatorten kennen – nur ich nicht. Sehr angenehmer Mensch mit diesem winzigen Hund, den er bei sich hatte.
Am Ende bei der Preisverleihung wurden viele Filme gekürt, die ich dann nicht gesehen hatte. Der kurze Einblick nach der Verleihung rührte mein Bedauern dabei häufig an. Allerdings bin ich froh, dass ich „das System Milch“ von Andreas Pichler nicht zufällig als Film erwischt hatte, schon der Ausschnitt verleitete mich dazu, einmal mehr meinen Milchkonsum in Zweifel zu ziehen.
Ausblick 2019
Nächstes Jahr fällt der Start des Festivals noch in unsere letzte Schulwoche vor den großen Ferien.
Termin für das NaturVision Filmfestival 2019
Das nächste NaturVision Filmfestival findet vom 11. bis 14. Juli 2019 im Central Filmtheater Ludwigsburg statt. Die Einreichfrist für den Internationalen Wettbewerb wird der 25. Februar 2019 sein.
Dennoch hab ich mir schon gedacht, dass ich gerne wieder hinfahre. Allerdinds wird Sabine nicht dasein, sie wandert mit ihrem Mann in Amerika herum. Schade.
Danke dir, liebe Sabine! Hab so viel hinter die Kulissen geschaut, bin mit etlichen Menschen in Kontakt gekommen und durfte ganz der Laie bei allem dabei sein. Es war so spannend und aufregend und umfassend für mich, vielen DANK.
Nähte sind an Kleidung, weil die Stoffstücke irgendwo verbunden werden müssen, oder?
Es gibt nicht so vieles, was mich nachhaltig so beeindruckt, dass es tatsächlich meinen Horizont für den alltäglichen Gebrauch erweitert. Dieser Workshop hat diese Kraft. Wenn ich heute eine Hose anprobiere oder ein Shirt oder einen Rock, dann schau ich mir die Nähte an, betrachte den Sitz der Abnäher, achte auf meine Schulter, auf den Stoffwurf, die Falten – sowohl die absichtlichen als auch die unbeabsichtigten – und entscheide heute völlig neu, ob ich dieses Kleidungsstück mit nach Hause nehme.
Als ich bei Michael M. meinen Kostümkurs antrat, wußte ich nicht, was mich letztlich erwartet, allerdings hatte ich die Erwartung, dass ich das Erlernte im Unterricht anwenden kann. Das kann ich – und mehr. Am Ende ging es nicht nur um Kostüme, es ging darum, Kleidung zu verstehen. „Betucht sein“ ist eben mehr als Stoff(e) tragen.
Mit den Kostümen schlüpft man eben in eine andere Haut, eine andere Zeit und in in all das, was damit zusammenhängt. Kleidung, das will Status, Kultur und Know-How vereinen. Was tun, wenn man keine Nähmaschine hat oder eine Nadel?
Wir haben:
Knöpfe
Reißverschlüße
Klebe
Nähmaschinen
Nylonfäden
biegsames und leichtes Plastik
und dann noch die wissenschaftlichen Erkenntnisse
Eine Woche intensiver Workshop:
Baustein 1: Aus einem engen Abnehmen des Oberkörpers lässt sich eine Menge machen hinsichtlich Panzer, Rüstung, fester Korpus, Anziehpuppe, etc. Ein bisschen Tesa … nein eine Rolle Tesa und schon hat man einen abgezeichneten Oberkörper aus Plastik oder Papier.
Baustein 2: Mit einem Plastiktütenkostüm haben wir erarbeitet, dass Kostüme eine Linie haben sollten. Das habe ich in meinem derzeitigen Theaterkostüm übernommen, indem alle als Basis den Maleranzug hatten, davon abstrahierte ich dann zwei Gruppen, die ich entsprechend unterschiedlich ausstaffierte. Wir hatten wenig Zeit und hatten strenge Vorgaben. Die Ergebnisse waren verblüffend.
Baustein 3: Ein Kasten Nesselstoff für ein angepasstes Schnittmuster vom Oberkörper. Wohin gehören die Abnäher? Wie rechne ich dann alles um? Wohin kommen die ordentlichen und begradigten Abnäher? Wie stecke ich das ab? Wie fertigt man vom Stoff dann Papiervorlagen für ein Etuikleid (z.B.) an?
Baustein 4: Einen Klassensatz Kostüme mit sehr engen Vorgaben führt zu einem einheitlichen Kostümbild mit hoher Wirkung. Wahnsinnige Produktivität auf allen Seiten mit viel Erfindergeist. Ganz nach dem Sinne: Hindernisse machen kreativ.
Baustein 5: Keine Zeit, lang zu diskutieren. Aus allen Materialien in kurzer Zeit etwas Geknotetes schaffen. In Schichten auch noch an die Zeit denken, aus der das Kostüm als sein Rest stammen sollte. Auch spannend. Es passte irgendwie zusammen.
Das Programm ist raus und nun geht’s los. Das Programm … das Programm … Jeeppiiieee.
KAST?
Was ist das denn?
Also die KAST ist vor allem zunächst ein VEREIN von Theaterverrückten Menschen aus ganz Deutschland. Der Verein besteht seit mehr als 60 Jahren und organisiert ein Mal im Jahr ein Forumstreffenan verschiedenen Standorten in Deutschland, bei dem sich die Teilnehmer*innen zu unterschiedlichen Themenfeldern und Theaterbereichen weiterbilden können:
Bühnenkampf … Theater mit Jugendlichen … Improvisationstheater … Kabarett … Clownerie … Erzählen … Theatermachen … Regie … Sprechtechnik … Theater mit Kindern … Frauentheater … Bewegungstheater … Figurentheater … Pantomime … Tanztheater … Schminken … Zirkus … Straßentheater … Spiel mit Masken … Schwarzlichttheater … Percussion … und noch mehr
Dieses Forum ist dann für alle Interessierten offen, das heißt, man kann sich für die Workshopwoche mit Vollpension anmelden. Da es jedoch viel mehr ist als nur so eine Fortbildungswoche, hole ich hier ein bisschen aus.
FORUM – kreative Arbeitskreise für Spiel und Theater
für Menschen von 7 bis 97 Jahren
für Menschen unter 7 Jahren: qualifiziertes Angebot der Kinderbetreuung
einmal im Jahr, in der Woche nach Ostern
Das FORUM – intensiv und kreativ!
Für alle, die im Bereich der Kultur, Jugend-, Bildungs- und Sozialarbeit tätig sind oder allgemein Interesse an Theaterarbeit haben und neue Impulse suchen, veranstaltet die KAST jährlich die Theater-Werkwoche „FORUM“.
FORUM 2018 vom 3. – 8. April 2018 in Wiesbaden – Wilhelm-Kempf-Haus
Das Programm Ostern 2018
Dieses Jahr werden (wieder) acht Arbeitskreise angeboten, wobei zwei für Kinder und Jugendliche sind. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre noch ein Jugendlicher, denn die Angebote sind oft sehr reizvoll. Im einzelnen bietet das Forum von KAST dieses Jahr:
Chanson und Stimme (Etwas für die Stimme gibt es immer, denn das ist auch was für die ältesten Seminarteilnehmer.)
Commedia dell’Arte (Richtige Theaterarbeit an der Maske: Wie entwerfe/entwickle ich einen Charakter ohne Worte und doch mit Handlung?)
Pantomime (Körpersprache, Körperarbeit. Mit Bewegung gibt es immer was, für alle, die sonst auf dem Stuhl gefesselt sind.)
Kostüme (Der Handwerkskurs, auch solch einen gibt es in jedem Jahr)
Bühnenpräsenz (Arbeit auf der Bühne, Grundlagentraining. Das kann doch eigentlich jeder, oder?)
Stand-up-Comedy (Etwas ganz Kurzweiliges für den Spaßfaktor gibt es eigentlich auch jedes Jahr. Witzig ist ja nicht unbedingt einfach oder flach. Selber Schreiben – das gibt’s auch einmal pro Jahr.)
Das war es für die Erwachsenen – natürlich können auch die Jugendlichen schon mal an dem einen oder anderen Kurs teilnehmen, hängt aber von der Kursleitung ab. Und wenn ihr jetzt denkt, dass ihr doch lieber alle Kurse besuchen wollt, dann geht es euch so wie mir. Bedauerlich ist allein, dass es nur eine Woche dauert.
Die letzten zwei AK’s:
AK7 Impro für Jugendliche (ab so ca. 12/13 Jahren)
AK8 Für Kinder – Ton ab! Bühne frei. (ab 7 Jahren)
Sechs Tage im Kreativen Feuer
Immer findet das FORUM direkt nach Ostermontag für sechs Tage statt, damit möglichst viele Bundesländer zur gleichen Zeit frei haben. Natürlich wohnen wir im Bildungshaus. Das Interesse ist es, dort die Bildungsstätte unter Alleinherrschaft zu führen, äh … eben allein zu sein. Wir beziehen Zimmer, manche mit und manche ohne Luxus/ Dusche. Es gibt Vollpension: Frühstück, Mittagsbuffet, Kaffee und Kuchen, Abendbuffet. Die Qualtität variiert je nach Gasthaus:
Rastatt war von der Essensqualität sehr gut, dafür die Räume nicht ganz so passend für die Seminare, eine gute Bühne und die Umgebung ist stadtnah und natürlich zugleich, also sehr abwechslungsreich
Wiesbaden hat gutes Essen, interessante Raumgestaltung, eine schöne Bühne und eine Umgebung im Grünen
Altenberg hat billiges Essen, zu spartanische Schlafräume und leider keine wirkliche Bühne, dafür eine herrliche landschaftliche Umgebung.
Wenn es darum ginge, welcher Standort am besten ist, dann würden wir vermutlich Jahr für Jahr nach Wiesbaden oder Rastatt fahren. Das Interesse ist es jedoch, möglichst unterschiedliche Bereiche Deutschlands anzusteuern, damit es mal die einen und mal die anderen nah oder fern haben. Die Bezahlbarkeit muss gewährleistet sein, denn die Preise für die Woche sind seit einigen Jahren konstant (ich kenne nur den aktuellen Preis). Günstig vom Ort her ist Altenberg für uns, doch ich bin bereit, lieber nach Wiesbaden zu fahren. Hattingen wäre auch so ein schöner Ort, lecker Essen und so, doch bislang konnte ich dafür niemanden wirklich begeistern – tatsächlich fehlt eine gute Bühne. Welcher Ort auch immer, wir nehmen Unannehmlichkeiten beim Essen oder bei den Räumen in Kauf, denn letztlich sind wir in erster Linie für das Arbeiten und Spielen und uns Begegnen da.
Die sechs Tage verlaufen nach dem gleichen Rhythmus:
Dienstag bis 14 Uhr gemeinsam Kaffee-Kuchen-Zeit. Ab 14 Uhr sitzen wir im großen Stuhlkreis für wichtige Neuigkeiten, erste Instruktionen, Danksagungen und Hinweise. Um 15 Uhr pünktlich starten die AKs. Abends gibt es einen buntes Kennenlernspiel, das eine Theaterspielaufgabe enthält und dazu einlädt, schnell spontan kreativ zu sein. Organisiert wird es durch den Vorstand und durchgeführt wird es jährlich von anderen Leuten. Danach sitzt man gesellig bei Wein und Bier und Chips zusammen, wobei man mit den alten Bekannten und den neuen Gesichtern ins Gespräch kommt. Die Jugendlichen verabschieden sich und spielen Spiele wie Werwölfe.
Mittwoch: Tagsüber finden die obligatorischen Kurszeiten statt. Abends wird eine Theateraufführung oder Performance oder Musikstück von aktuellen oder ehemaligen Forums-Teilnehmern präsentiert. Ein Infoboard berichtet darüber. Die Jugendlichen sind weiterhin die Jugendlichen.
Donnerstag haben alle ihre Kurse, und entwerfen in der Regel ihr 10-minütiges Bühnenprogramm. Am Abend findet die offene Bühne statt, zu der sich jeder mit eigenen Programmpunkten melden kann. Es werden Auszüge aus eigenen Theaterproduktionen, Sketche, Witze, Gesang, etc. gezeigt. Alles ist möglich. Die Jugendlichen spielen vermutlich wieder Werwölfe.
Freitag sind alle zu beschäftigt für die Bühne, denn es wird hier noch geprobt, dort noch was einstudiert, zum Schluss noch was getackert oder geklebt. Alle AK’s schleichen sich für Generalproben auf die Bühne, wo zwei Fachmänner für Licht, Ton und Kamera bereitstehen und Feedback geben. Man trifft sich in der Bar und schnackt zusammen – irgendwann gegen 22 Uhr, falls man Ruhe bekommt. Also die Jugendlichen …
Samstag ist der Aufführungstag. Es gibt natürlich noch eine Probenzeit vorher. Es beginnt mit den Kleinen um 16 Uhr. Außenstehende Menschen dürfen eingeladen und verköstigt werden. Das Programm wird vom Abendbuffet unterbrochen. Es läuft bist 22 Uhr. Anschließend verabschieden sich i.d.R. die Gäste, wenn auch sie bleiben dürften. Partyzeit. Es wird gefeiert bis morgens in die Frühe. Übrigens, die Jugendlichen feiern mit.
Sonntag ist der Abschiedstag. Spätes Frühstück, letzte Abschiedsrunde in den Gruppen, kleine Präsente für die Leiter und schließlich der große tränenreiche Abschied um 14 Uhr in der Aula. Und da sind alle pünktlich.
Meine Kinder sehe ich kaum, vielleicht für ein Gelegenheitsküsschen. Ich schreibe ihnen auch nicht vor, wann sie ins Bett müssen. Bleimüde schleichen sie irgendwann gegen 3 Uhr oder so in die Betten. Morgens hüpfen sie raus und sind nachts wieder bis in die Puppen auf. Ich auch. Die Gespräche am Abend, die Arbeit am Tag und alles dazwischen ist einfach dieser Raubbau wert.
Ein Rückblick persönlich
Inzwischen war ich vier Mal mit meinen Kindern beim FORUM und ich habe bislang ausschließlich Gutes zu berichten, sieht man von Unterkunft und Essen im Vergleich ab. Einziger Nachteil: es findet nur einmal im Jahr für 6 Tage statt.
AK Stimme und Gesang – das erste Mal dabei 2014 bei Andrea Haupt
Mit der Stimme einen Krimi produzieren, ein Hörspiel. Alle Geräusche wurden mit Stimme oder Körper erzählt: die Kuckucksuhr, dat Mofa, die Waldgeräusche … Hinter einem Vorhang haben wir unser Hörspiel am Samstag abgehalten.
AK Film und Regie – bei Sabine Willmann 2015
Wie viel Film kann man schaffen? Wir haben zwei Filme produziert: einen Lehrfilm über gutes Sprechen und Zuhören; einen Märchenfilm von 8 Minuten Spielzeit, all in mit Storyboard, Drehbuch und Skript. Das war eine sehr stramme Leistung – im Sinne des Wortes. Kurz vor der Vorführung, war der erste Cut überhaupt fertig. Mein Lieblingsmoment: der Stop-Trick.
AK Zeitgenössischer Tanz – bei Bettina Forkel 2016
Ein Mann verloren in einem Frauenspiel. Bettina hat ein umfangreiches Choreografieset im Gepäck und zieht es durch: was Improvisiertes, was Durchgetaktetes, was Erzählerisches. Wir sind richtig beschäftigt und haben Donnerstag einen traumhaften Muskelkater.
AK Bühnenbild – bei Siegfried Albrecht 2017
Klein aber fein: Bühnenmodelle mit Figuren im Maßstab 1:20. Ein Mensch ist acht Köpfe hoch und zwei Köpfe breit – im Idealfall. Das Spiel mit den Farben und dem Licht in der kleinen Modellbühne. Dreidimensionaler Raum, zweidimensionales Bild: ein bisschen Architektur, ein bisschen Kunstgeschichte und dazwischen Patex. Bilder von Treppen, Türen und drehbaren Bühnen entstehen im dreidimensionalen Raum. Mir eröffnete sich eine neue Welt.
So grundsätzlich verschiedene Sachen habe ich dort gemacht und gelernt, dass jedes Seminar für mich ein Lernzuwachs war – trotz meiner theaterpädagogischen Ausbildung. Selbst das Sprechseminar bei Andrea Haupt, bei dem ich anfangs dachte, dass ich in dem Bereich schon sehr gut ausgebildet sei. Dabei begegne ich jährlich denselben Menschen, Sabine zum Beispiel, oder Birgit und Ulla und Claudia, und ganz neuen fremden Gesichtern. Ein tolles Konzept. Und ich bin wieder dabei!
Begegnungen mit sehr freundlichen Menschen, bereichernde Seminare, kurzweiliges Programm und dazwischen Essen und wenig Schlaf. Ich freue mich schon …
Und was mach ich dieses Jahr? Vermutlich Pantomime oder Commedia dell’Arte oder Kostüme … also eines von den Dreien.
WOrk-LIfe-BAlance. Stefanie hat’s so oft in den Raum geworfen, dass ich dachte, damit kann man arbeiten. Endlich ein WORT, ein nach Sinn klingendes Akronym, das auch noch einen schönen Klang hat. Woliba erinnert so ein bisserl an Kuscheltier oder an eine Wohlfühlbar.
Wenn ich von WOLIBA träume, also von dem Gemeinschaftshaus, dann träume ich von Menschen, denen ich ohne Zeitdruck begegne. Ich mag nicht mehr, mit dem Auto Distanzen überwinden, damit ich jemanden treffen kann, der mir am Herzen liegt. Und doch ist genau so mein Leben zurzeit. Jeden kann ich nur dann sehen, wenn ich größere zeitliche und räumliche Distanzen überwinde.
Ein Haus wie ein Baum, tief verwurzelt und weit verzweigt, mit Lebensräume für unterschiedliche Kulturtiere und Platz für Sonderbarkeiten; Schatten vor der Hektik soll er spenden und Kraft und Energie schenken, wenn man sich bei ihm aufhält. Wie ich im Spätsommer unter einer Hainbuche ruhte und es genoss, wie die Früchte durch den Baum rieselten, sobald eine Elster landete oder wegflog. Für mich ist das das Bild entspannten Genusses und ich wünsche mir das für die Gäste/Kunden/Suchenden in dem Haus, in dem ich mit anderen zusammen lebe.
Neulich sass ich – mal wieder auf dem langen Weg zur Arbeit – im Auto und träumte. In dem Traum hatten wir einen passend hergerichteten Raum für „Mordshunger“:
So ein bisschen wie Escaperoom funktionierte er auch und ich unterhielt mich gerade mit einer Kollegin darüber, dass Gäste alles abschrauben und versuchen, dahinter ein Rätsel zu lösen. Sie lachte und meinte: „Wir stellen ihnen keine Schraubendreher zur Verfügung. Wie sollten sie dann auf die Idee kommen, die Abdeckung abzuschrauben?“
„Multitool oder Schweizer Taschenmesser haben viel der Männer dabei in der Tasche. Gäste gucken auch in Badezimmerschränke und öffnen Türen. Sie suchen nach Geheimnissen. Und hier wollen wir das schließlich!“ Die menschliche Natur der Neugier eben. Eine Abdeckung wollte ich wegen dieser Erfahrung mit Gästen vernieten lassen.
In dem Gespräch checkten wir den Raum auf Spuren solcher Entdeckerfreude. Inventarliste. Obwohl durch die Anwesenheit einer Supportkraft von uns sicher wenig mitgenommen wird, fehlen immer wieder mal Kleinigkeiten. Schon mit den Anfängen war klar, dass die Gäste gerne Erinnerungssouvenirs von dem Abend haben und wir ihnen kleine Geschenke machten, damit sie Gläser, Tassen, Teller und Deko zurückließen.
Der Kalender war auf Wochen an den Wochenenden ausgebucht. Inzwischen setzten wir Angebote fest und warteten nicht mehr darauf, was die Kunden sich wünschten. Samstag und Sonntag boten wir zwei Termine an. Entweder ab 11 Uhr mit Krimibrunch bis max. 17 Uhr oder abends ab 18.30 Uhr bis max. 0.30 Uhr. Dazwischen brauchten wir die Zeit, alle Spuren zu beseitigen, aufzuräumen, für die nächsten Gäste das Wunschprogramm vorzubereiten, denn schließlich hatten wir unterschiedliche Programme und das Material, der Raum und die Deko war jeweils angepasst.
Ein Traum. Ein Traum? Die Bewirtung in Massen? Eigentlich nicht mein Ziel, ich will das auch nicht alles selbst supporten, nur organisieren, ausdenken, planen. Spielen kann ich es selbst ja auch nicht mehr. Begeistert sich der Zauberer für seine Tricks? Oder freut er sich nicht nur darüber, dass er die anderen begeistern kann?
So ähnlich verlaufen meine Tagträumereien immer wieder. Einmal ist es eine Truppe für Bühnenkampf, die für großes Shows trainiert und formvollendet Preise kassiert. Ein anderes Mal ist es ein Tangoabend im Hof mit Livemusik, was Publikum anzieht und mir die Möglichkeit zum Tanz lässt. Spieleabende … Workshops … Improtheatergruppe … all diese Ideen hängen wie bunten Luftballons im Garten meiner Träume.
Wo sind die Menschen, die mit mir „Woliba“ verwirklichen wollen?
Plötzlich ist es soweit. Rückenschmerzen, hochgelagerte Beine und kaum beweglich. Das ist ein guter Start. Gut, ich fliege trotzdem. Meine WetterApp sagt mir, dass ich lieber für warme Sachen sorgen sollte. Im Anfall von Sparwahn hatte ich auch noch ein vier-Mann-Zimmer gebucht. Das soll sich ja ändern lassen, prophezeie ich mir möglichst gelassen. Bis dahin dachte ich mehr an die möglichen Nachtattacken durch betrunkene Polen als an deren Geruchsentwicklung.
TAG 1: Samstag 21-10-2017
Am Flughafen begegne ich Rolf und Guido, die mit mir im gleichen Flieger nach Polen sitzen. Sie hatten Priority gebucht und können schneller durch die Bordingkontrolle. Bereits am Flughafen in Krakau sorgt Rolf dafür, dass wir zwei weitere deutsche Gäste im Taxi mitnehmen, die uns später auf einer Milonga wiederbegegnen werden. Mit dem Sammeltaxi geht es dann ins jüdische Viertel. Ein Termin ist bereits für alle Frühankommer in der ZARA-Bar gesetzt. Nachdem ich das Momotown-Hostel im Hinterhof fand, scheitert der Versuch einer Umbuchung und ich stelle fest, dass ich mit drei Männern ein Zimmer für die Nacht zu teilen habe. Der Gedanke beschäftigt mich überraschend intensiv, obwohl Scott – der Amerikaner – einen sehr freundlichen Eindruck macht. jetzt aber doch was essen. An einem Platz stehen einige Imbisswagen, dazwischen Stühle und Tische. Hatte ich nicht eine Falaffeltasche bestellt? Aber was ich esse, ist eine sehr polnische XXL-Version mit vielen Essiggurken. Sehr lecker, aber verdammt viel. Und Roy ist gar nicht da.
Dank Google finde ich mich echt schnell in dem Viertel zurecht. Ein paar Eckdaten und schon findet Googlemaps die richtige Adresse. In der ersten Bar gilt es sich zu sammeln, später werden hier die kommenden Übungsstunden stattfinden. Überraschend viele sind vorzeitig gelandet. Wiebke, Peter und Jürgen hatten bereits eine Milonga ausgekundschaftet, zu der wir nach einem ersten Bier aufbrechen. Guido und Rolf setzen sich ab und wollen erst einmal speisen gehen. Nach ausgiebiger Suche und einem ersten Eindruck der Stadt, landen wir gar nicht mehr auf einem Tanzabend sondern in den Katakomben einer Kellerbar. Lecker Bier gibt es hier und mächtiges Ambiente.
Uneingeschränkt kann ich zugeben, dass mir ein bisserl bang wegen der Nacht mit den drei fremden Männern ist. Bis auf den sympathischen Scott (62 Jahre) sind die anderen dieser und zwei weiteren Nächten stumme oder schnarchende Gesellen ohne kommunikativen Grundfertigkeiten. Ich klettere also in mein Hochbett und schlafe trotz Lärm und Gesäge ziemlich fix ein.
TAG 2: Sonntag 22-10-17
Nach einer mutigen Nacht stelle ich meinen Mut auf eine weitere Probe und besuche den Frühstücksraum. Breakfast auf Papptellern mit Plastikgeschirr. Ich trinke dann mal Tee. Ich versuche einen Toast und gebe mir eine Schale Cornflakes als Start in den Tag. Nach so viel Tapferkeit suche ich das Jüdisches Viertel bei Tag auf und wandere Richtung Marktplatz und Trompeterkirche.
Dabei geniesse ich die freie Zeit bis zur ersten Unterrichtseinheit, obwohl das Wetter verregnet ist. Vorher denke ich daran, meinen Rücken zu schonen, lege mich vorsichtshalber in das 4-Mann-Zimmer und spreche noch ein wenig mit Scott aus den USA, der mich mit dem deutschen „Jawohl, Fräulein!“ erheitern will.
Roy bucht einen Flug nach Krakau und kommt nach. Da wäre eine Umbuchung in ein Doppelzimmer von Vorteil. Ich leite alles in die Wege und tatsächlich: ab Dienstag nur noch ein Mann im Raum.
Sonntag gibt es noch kein Training, so kann ich wirklich ein paar Stunden schlafen, bis wir uns zum ersten gemeinsamen Essen in einer Bar treffen. Nach und nach tröpfeln alle ein, zwei sind noch nicht gelandet. Das Essen ist nicht das beste, es erinnert an Kneipen-Fast-Food. Ich bin ein wenig enttäuscht, dass es nicht mal ein gutes Dessert gibt – das hätte mich entschädigt. Anschließend ziehen wir noch durch die Bars, die wir in der Ecke so finden und von denen Rolf und Guido denken, dass sie für die Masse an Leuten genug Raum böten. Rolf zeigt sich als Eisbrecher, der ständig neue Leute anspricht und interessante Gespräche eröffnet. Auch in dieser Nacht klettere ich nicht früh und nicht nüchtern ins Bett – und es gilt diese Leiter nach oben zu überwinden.
TAG 3: Montag 23-10-17
Direkt ins Café, Toasts mit Ei und Marmelade am verregneten Tag zum Frühstück. Nicht rumlaufen. Schreiben. Kaffee trinken, Tee trinken und später im Zimmer ausruhen vor den Tangostunden. Was für schöne Cafés in dem jüdischen Viertel zu finden sind, was für tolle Bars. Kein Ort der Welt beherbergt mehr Cafés, Restaurants und Bars.
Dann kommen wir zum Tango zusammen. Peter macht das Aufwärmtraining mit uns, dann Piroetten drehen und an der Technik feilen. Den ersten Teil der Figur gibt es als erstes Technikübungsfeld: der Mann führt eine Moulinette. Daran feilen, feilen, feilen wir ohne zu bemerken, dass 2,5 Stunden verflogen sind – ganz ohne Pause.
Anschließend gehen Elke, Rolf, Guido und ich Essen vom Feinsten. Zwar wollten wir in das Restaurant, von dem Rolf und Guido so schwärmen, doch da bekommen wir keinen Tisch. Direkt nebenan gibt es dafür noch etwas Platz und wir essen ganz fürstlich mit einem auf den Punkt gebratenem Fleisch, leckerer Beilage und einem unglaublich leckerem Dessert.
Für die erste Milonga in Krakau machen wir uns dann alle wieder frisch und sorgen uns mit selbstkritischen Gedanken, ob wir denn wenigstens zum Tanzen kämen. Spät am Abend tanze ich dann mit einem Kursfremden – einem Ungarn.
Ein letztes Mal klettere ich – diesmal mit Fußschmerzen – in mein Hochbett.
TAG 4: Dienstag 24-10-17
Ich nehme Abschied von Scott und wechsle gleich auch das Gebäude. Roy beantworte ich dann mit Fotos alle Fragen zur Raumausstattung und kaufe sogar für gemeinsame Frühstücke ein – ich bin guter Hoffnung, das alles zu verzehren.
Anschließend fahren wir mit dem Touristenwägelchen durch das jüdische Viertel bis zum Juden-Getto der Nazizeit. Rolf hat das bereits klargemacht, als ich zur Gruppe dazustoße. Ich steige hinten auf und quatsche munter mit Elke, weil wir kaum was verstehen. Guido fragt uns anschließend ab, ob wir überhaupt etwas mitbekommen haben.
Nach den Tangostunden habe ich etwas Zeit, bis Roy eintrifft und wir Essen gehen. In dem kleinen Resstaurant, welches Rolf und Guido ausgeguckt haben, tauchen mit Abschluss unseres Desserts nach und nach immer mehr Leute unserer Tangotruppe auf. Da an dem Abend keine Milonga stattfindet, gehen wir statt dessen von Bar zu Bar.
TAG 5: Mittwoch 25-10-2017
Frisch ans Werk wechseln wir die Uferseite und begeben uns in gewachsener Runde (Rolf, Elke, Guido, Roy, Volker, Petra und ich) zum Schindler-Museum nahe dem ehemaligen Getto. Der didaktische Ansatz des Museums verfehlt durch die Gestaltung von Raum und Ton nicht die intendierte Wirkung. Mich macht all der Tod von den Soldaten und den Juden gleichermaßen betroffen, die Gewalt und vor allem das Mechanisierte daran wirken bedrückend. Mir kommen die Tränen, als ich denke, dass das nie aufhören wird, so lange Männer in führenden Positionen sind – außerhalb vom Tango natürlich. Lustig ist das keineswegs, eher traurig, dass wir nach so vielen Jahrtausenden nicht weiter sind und uns noch immer für ein Stück Land oder einen Liter Wasser oder ein Laib Brot bereit sind zu erschlagen, statt zu teilen. Daran gibt es auch nichts zu beschönigen, letztlich sind es diese Dinge – für Gott zu töten ist in der Sache selbst absurd.
Nach den Tangolektionen folgt das Essen, wonach die Milonga folgt…
Zum Tango lässt sich sagen, dass das Feilen an den kleinen technischen Details wirklich sehr gut war. Rolf und ich entspannten uns zusammen immer mehr. Vor allem als ich Roy versorgt und konzentriert sah, ging es mir auch besser. An dem Nachmittag hatte ich jedoch Probleme mich zu fangen – mir ging der Museumsbesuch doch noch recht nahe.
Essen: so billig und so lecker haben wir selten gegessen. Mehr als genug Essen war es und so lecker – die Kohlrouladen und auch das Boef Stroganof. So gut und viel. Nach so viel Essen tat Bewegung gut, deswegen gingen wir noch zur Milonga – wenigstens gucken. Ein Foto vielleicht.
Getanzt hab ich nicht, bin doch sehr angeschlagen inzwischen und schone mich für den Folgetag. Der Ort der Milonga ist jedoch besonders. Es war die Bar, in der wir schon am ersten Abend in den Katakomben gestrandet und getrunken hatten. Das Ambiente ist großartig.
TAG 6: Donnerstag 26-10-2017
Hätten wir gedacht, dass wir so müde sind? Sicher nicht, denn wir hatten ja Pläne. So haben wir es gerade mal so geschafft, pünktlich zum Ausgangspunkt des Tanzspaziergangs zu kommen. 13 Uhr, Treffpunkt „Kopf“. Ein Kaffee hat vorher noch geklappt. Hier die Route zu unserem Spaziergang: Karte zu unserem Tangospaziergang
Wir starten mit vier oder fünf Tänzen auf der „Kopf“-Seite bei den Tuchhallen. Im Hintergrund rauschten die Straßenarbeitermaschinen. Jacken in der Mitte, drumherum die Tanzfläche, Jürgens leise Musikbox lag irgendwo dazwischen. Wir ahnen die Musik mehr, als dass wir sie hören. Roy filmt.
Vor der St. Peter und Pauls Kirche halten wir uns strikt an drei Tänze – also nur eine Tanda – , auch, damit es nicht zum Ärger kommt. Für den Waveler Schlossplatz haben wir dank Perin die Erlaubnis erhalten, dort zu tanzen. Perin singt zu ihrer Guitarre, Peter teilt ein Duett mit ihr. Die Stunde ist günstig mit Sonnenlicht erhellt. Passanten bleiben stehen, manche gesellen sich zu uns und tanzen mit. Nach einem kurzen Kaffee mit einem Stück Kremowska eilen wir zur nächsten Tangoeinheit. Roy bemüht sich wiederholt sehr, alle Anweisungen von Jürgen, von Wiebke und Peter umzusetzen und übt sich im Gehen. Wir versuchen uns an dem letzten Teil unserer Figur – einen Wickelgancho. Zu gern würde ich ein Video davon zeigen, denn es sieht – bei Wiebke und Peter – sehr elegant aus, aber das Videoformat ist hier nicht zulässig.
Roy bekundet danach, dass er noch gar nicht genug hungrig sei, da er noch vom VORabend gesättigt sei. Wir haben für 19 Uhr einen Tisch reserviert. Die Gruppe ist gewachsen und zählt nun zehn Personen, als wir alle in der Bonbonierka sitzen. (Wiebke, Peter, Jürgen, Perin, Guido, Elke, Roy, Pierre und Rolf) Das Essen – so versicherten Dagmar und Carsten – lohne sich. Wir warten und warten, eine Stunde lang, bis endlich das Essen serviert wird. Roy bekundet, dass er nun doch hungrig sei. Anschließend geht’s zur – letzten – Milonga im 2. Stock. Jürgen eilt schon vorzeitig und unruhig davon, denn er will noch „mit dem Essigläppchen durch den Schritt“. Wiebke und Peter rennen ebenfalls schnell noch nach Hause, um sich umzuziehen und letztlich verfolgen Roy und ich Perin durch das vernieselte Krakau, denn sie marschiert schnellen Schrittes voran. Auf der Milonga bleibt Roy nur kurz und verschwindet, als ich auf einen Mojito warte, den ich fast selber machen will, damit es voran geht.
Aufgebaut ist die Lokalität wie eine Wohnung: die Bar in der Küche, im Essraum der Sammelplatz für alle, im Wohnraum das Tanzen, im Vorraumbereich die Toiletta. Nach und nach versammelen sich auch alle aus unserem Kurs dort, so dass wir zumindest unter uns tanzen können. An diesem Abend tanze ich dann auch mal mit Polen. Ein Erfolg, so denke ich – doch unsere Kursleute können mehr.
TAG 7: Freitag 27-10-2017
Eigentlich wollen Roy und ich blau machen. Ja, so richtig faul sein. So viel Bewegung trotz Rückenschmerzen. Und dann noch so abwechslungsreich. Jetzt ist eine Pause dran – eigentlich. Vor allem Tango hat heute eine halbe Stunde Verlängerung bekommen. Als wir aber nachrechnen, dass wir sonst für das Mittelalter-Marktplatz-Museum unter Tage keine Zeit mehr hätten, da nehmen wir es, wie es sein muss und stiegen in die Bahn. Mich hat nachhaltig am meisten die Geschwindigkeit, mit der dieses Museum erschaffen wurde, beeindruckt. 2005 begannen die Ausgrabungen vor den Tuchhallen im großen Stil. Dann haben sie alles ausgewertet und pädagogisch-didaktisch so aufbereitet, wie die Dokumentation es heute zeigt. Das ging sehr schnell. Am Schluss noch nen Kaffee und ein Croissant und dann ist es schon wieder Zeit, zum Unterricht zu kommen.
Heute ab 15 Uhr wird alles wiederholt. Danach tanzen wir einen Durchgang mit jedem ähnlich der Berliner Runde, auch Roy muss durch alle Damenhände. Kleine Stärkung mit Torte und Kaffee zwischendrin. Und dann ist plötzlich und auch erfreulicherweise 18 Uhr. Die letzte Runde bedurfte viel Konzentration, denn so 10 Tänzen hintereinander immer eine neue Führung ist anstrengend.
Anschließend durchgeschwitzt und hungrig geht es zum Abschlussessen in das jüdisches Restaurant HAMSA für alle, einmal die Straße kreuzen. Logistisch hinterher die Rechnung für jeden wohlgefällig zu trennen, ist eine Meisterleistung von Elke im Team mit Roy, denn in Polen geht ja alles auf eine Rechnung. Anschließend ohne Milonga finden wir uns in einer Rockerbar wieder, in der Karaokeabend ist und ein Irish Pub sein will. Anfangs singt Perin mit ihrer Giutarre, zwischendurch von Peter begleitet, später machen sich auch andere schöne Stimmen auf und singen bunt gemischt ein lustiges Repertoire. Wir haben alle viel Spaß daran, singen feuchtfröhlich mit. Eine runde Sache, solch eine schöne Woche zu beenden. Manche nämlich fliegen bereits Samstag zurück.
TAG 8: Samstag 28-10-2017
Wieder kaum Kraft für ein frühes Aufstehen. Also dann nur im Camelot-Café zum Frühstück, bevor wir zum Treffpunkt um 14.30 Uhr für die Fahrt zur Salzmine eilen. Die letzten sind wir nicht, doch Perin verpasst dann leider den Ausflug gänzlich. Die Salzmine hält zunächste einmal freundliches Treppenabsteigen für uns bereit, der Rückweg erfolgt zu aller Erleichterung mit dem Aufzug.
Ein Ausflug, der sich lohnt, auch wenn die Gruppenleiterin viel zu leise sprach, so sind manche Dinge auch ohne Worte beeindruckend, wie diese Abendmahlkopie von Da Vinci aus Salz.
Zurück bin ich schon wieder müde, hungrig und will keinen langen Abend. Also gehen wir zusammen mit Elke und Rolf Essen. Jeder schlägt die erste Wahl der anderen aus und so platzieren wir uns in ein Restaurant mit Livemusik im Wohnzimmerstil.
Und obwohl ich müde bin, kann ich das ein Vivaldi-KOnzert in der St. Peter und Pauls Kirche dennoch als schönen Abschluss nicht ausschlagen. Wir beeilen uns und kommen doch zu spät. Dadurch erhalten wir einen Nachlass von 20%. Wir setzen uns leise in die Kirche dazu und lauschen der Musik, in der mir dünkt, auch Bach und Mozart zu entdecken.
TAG 9: Sonntag 29-10-2017
Wecker um vier – Regen. Schlüssel abgeben – zum Taxi eilen – Flughafen – Regen – letzten Mücken äh Sloti an den Taxifahrer abtreten und einchecken. Am Flufghafen fliegen wir mit Wiebke, Peter, Jürgen, Rolf und Guido zurück. Guido sieht nicht so gut aus, übersteht zu meiner Überraschung den Flug. Dann trennen wir uns.
Wer kennt den Kinderklassiker von Kurt Held noch nicht?
Als Kind habe ich selbst die Fernsehserie in den 70ern gesehen, doch erinnern konnte ich mich nur an die wilde Zora und an die Dame, in die sich der Branco verliebt hatte. Gelesen hab ich es nie, denn die Geschichte von einer Mädchenbande hat mich nur wenig interessiert. Mich hatte Zoras Bemühen um Brankos Zuneigung und ihre Eifersucht eher neugierig gemacht, weil ich mich fragte, wieso ein so lebendiges Mädchen sich anmalt, teure Klamotten trägt und sich unbequeme Schuhe anzieht, nur um einen dummen/blinden Jungen zu beeindrucken.
Und dann spielt meine Jüngste in der einen Aufführung den Gorian. Wer ist Gorian?
Gorian ist der alte Fischer, der seine Fangrechte an „die Gesellschaft“ (Fangereigesellschaft ohne Namen) nicht abtreten will und deswegen allmählich verarmt. Da er nicht mehr so jung ist, durchschaut er verschiedene Manipulationen und Ungerechtigkeiten. Aus diesem Grund unterstützt er später die Bande.
In der anderen Aufführung ist sie KATA:
KATA wird als Hexe bezeichnet und ist Brancos Großmutter. Sie weiß allerhand über die Bewohner des Ortes, weil sie von ihr Mittelchen, Salben und Rat einkaufen. Sie verspricht die Zukunft zu kennen. Alle haben vor ihrer scharfen Zunge Angst, weswegen sie allein und abseits von den anderen mit einem Papageien lebt.
Die Geschichte beginnt mit dem plötzlich verwaisten Branco, um den sich niemand so recht kümmern kann und will. Als er vom Betteln und von Abfällen leben muss, wird er durch falsche Anschuldigungen des Kaufmanns Karamann verhaftet. Zora befreit ihn und nimmt ihn in ihrer Bande auf. So einfach ist es allerdings nicht, nun vielleicht davon leben zu müssen, andere zu bestehlen. Als es den „Vater Gorian“ trifft, den die Bande um ein Huhn betrügt, will er das nicht mitmachen. Zwischen der Bande und Gorian kommt es zu Freundschaften, denn Gorian findet in den Mitgliedern Helfer beim Fang, während die Kinder in ihm eine Helfer in der Not sehen. Gorian ist jene Figur, die die größeren Zusammenhänge zwischen Armut und Reichtum schafft, indem er die manipulativen Machenschaften Karamanns zum einen und das Wegschauen der Dorfgemeinschaft angesichts des Elends der Bande von Zora andererseits aufdeckt und tatsächlich Lösungen findet.
Lucy sah in der Figur jemanden, der eigentlich zu gut für die Welt war, weswegen ihm Unrecht geschieht durch die Gesellschaft und durch Karamann. Dass jedoch er es letztlich ist, der die Kinder vor der Verfolgung schützt, indem er sich für sie einsetzt, führt zur letztlichen Identifikation mit der Figur.
Proben zu dem Stück und Lucys Rollen
Bereits vor den Sommerferien begannen die ersten Arbeiten zu diese Achter-Projekt mit Vorarbeiten, Stückeauswahl und Rollenverteilung. Erstaunlich und auch befremdlich war mir, dass die Projektleiterin das Stück auf zwei Stunden ansetzte und dass sie zudem noch eine doppelte Besetzung einstudieren wollte. Das erschien mir nach meinen Erfahrungen gewagt, ich allerdings habe keine achtwöchigen Projektphasen sondern im Moment zwei Stunden Literaturkurs wöchentlich ohne Sonderproben während der Unterrichtszeit. Ich fragte mich nach dieser Eröffnung, wie das für die Spieler zu bewerkstelligen sein mag. Wieso tun es nicht 75 Minuten, wenn eine Pause für die Geldeinnahmen so wichtig ist (45 Minuten Spiel – Pause – 30 Minuten Spiel)? Können die Kinder diese Konzentration halten, die für Erwachene ebenso schwer ist? Werfen die Spieler nicht die Textpassagen durcheinander, wenn sie zwei verschiedene Rollen im gleichen Stück haben? Keine Frage, es gibt Stücke mit Rollenwechsel innerhalb einer Inszenierung, doch 2x die gleiche Inszenierung mit anderer Besetzung, in der jeder auch dann jemand anderen spielt und dann die Inszenierungen im Wechsel? Das nenn ich mal ein großes Vorhaben. Das birgt Probleme mit der Rollenindentifikation.
Wie dieser exemplarische Probenplan zeigt, hat die Theaterpädagogin von Anfang an die planerischen Aspekte voll unter Kontrolle. Beide Inszenierungen haben vom Umfang ähnlich viel Probenzeit eingeräumt bekommen. Sichere Planung ist die halbe Miete. Für den Bühnenaufbau hat sie darum bereits vor den Ferien vorgearbeitet. Da sie genau wußte, was sie wollte, lief auch der Bühnenaufbau glatt.
Lucy bekommt zunehmend häufiger Anfälle, weil niemand seinen Text kann, keiner richtig zuhört und sowieso niemand spielt, sondern nur seinen Text herunterleiert. Ich sage ihr, dass sie den anderen Spielern Zeit lassen solle. Schließlich hat sie einen enormen Vorsprung mit all ihren Theaterspielen. Außerdem wolle sich niemand auf der Bühne blamieren, weswegen bei der Aufführung alles klappen würde. Sie würden sich erinnern, was die Lehrerin alles gesagt hatte und dann läuft das Stück. Lucy bleibt während der Probezeiten skeptisch und versichert, dass sie lieber bei (der) KAST oder irgendwo privat Theater spielt, aber Schultheater sei furchtbar.
Andererseits ist alles sehr professionell aufgezogen: Die Maskenbildnerin hat falsche Bärte angeklebt, Haare gefärbt und frisiert sowie Schminke aufgelegt. Die Kostüme waren ebenfalls angepasst, gefühlt 150 Jahre alt, dörfisch und südländisch. Die Eltern hatten bei all dem mitgewirkt, Requisiten zusammengetragen, Ausbesserungen von Kostümen und Bühnenarbeiten vorgenommen und nach Anweisung das Bühnenbild aufgebaut oder später die Kinder geschminkt. Aus meiner Sicht unterstützt dieses Rahmenprogram die Spieler darin, leichter in die Rolle zu finden.
DIE Hauptprobe mit Kritik an der Inszenierung
Dann sind die Haupt- und Generalproben öffentlich. Lucy sieht sich betrogen, fühlt sich ausgenutzt für den Tag der offenen Tür und möchte eine ehrliche Hauptprobe. Da ich anwesend war, kann ich das gut nachvollziehen. Die Spieler waren sehr verunsichert, weil Publikum kam und ging und vom Flur immer wieder ein Lärmrauschen durch die Aula drang.
Im Aufbau der Story waren für mich einige Szenen vom Sinn her unklar. Als Zuschauer fragte ich mich, wozu die Fremdgehszene nützt; wieso wir so wenig von der Zora erfahren; was die KATA-Szene 2 bewirken soll, was nicht auch durch eine Mauerschau repräsentiert werden hätte können; wieso nicht auf die Ungerechtigkeit von Fischerei-Gesellschaft und Fischer sowie Ungerechtigkeit arme mittellose Kinder und Karamanns Machenschaften als Schwerpunkt wählen und das nutzen? Ich habe in meiner Ausbildung gelernt (als Schriftstellerin und als Theaterpädagoge), dass es auf meine Prämisse und meine ERZÄHLABSICHT ankommt.
Eine Prämisse soll also aufzeigen, wie der Hauptkonflikt für den/die Protagonisten endet. Das heißt, es geht um die Hauptfigur, den zentralen Konflikt der Geschichte und das Endergebnis dieses Konflikts. Pro und Contra zu PRÄMISSE
Bei einem Roman, bei einer Fernsehserie kann ich ausschweifendes Erzählen und Nebenhandlungen als Rezipient verstehen, auf der Bühne ist das schwer, weswegen Aristoteles bereits vor 2000 Jahren nützliche Regeln einführte, die für das klassische Inszenieren noch immer Geltung besitzen: kurzer Erzählrahmen (ca. 24 Stunden), wenig wechselnde Ort (am besten nur einen), wenig Hauptpersonen (einen Hauptakteur + die Gegenfigur + einen Buddy + eine Liebesgeschichte); einen Erzählstrang. Zumindest das Fremdgehereignis zwischen Bäckerinehefrau und Polizist auszublenden, wäre sinnvoll gewesen, denn die Jugendlichen haben zu dieser Art Erwachsenenliebe noch keinen Zugang.
Der „Bühnenkampf“ war grotesk, zum Himmel schreiend laienhaft. Ein Bühnengeschubse trifft es am eheseten. Da ich gerne Bühnenkampf als Möglichkeit nutze, Bewegung auf die Bühne zu bekommen und damit viele Darsteller in eine Choreografie zu bringen, war ich sehr angegruselt. Mir ist klar, wie viel reale Zeit vom Probenkontingent verschwindet, wenn man einen Bühnenkampf richtig in Szene setzt:
Regeln aufstellen (mit 8ern die Hölle)
Vorübungen wie Folgen und Führen, Impulse setzen, Vertrauensübungen
mit einem festen Partner eine zum Stück passende Schlagabfolge festlegen in Reihenfolge und Form
das dann schön zusammen auf die Bühne stellen (wer kämpft wo, wie wirkt das von außen, Aufgänge, Abgänge, Auslöser für die Schlägerei und Übergänge?)
Musik unterlegen
Das Irgendwie-Geschubse fand ich zu laienhaft oder zu sehr Mädchen? Zur Bühnenkampfszene muss ich mich auch trauen, als Darsteller ebenso wie als Regisseur. Ich empfehle hier mal einen Kurs bei Ekki am Grend in Essen. Im Moment ist das leider die einzige Möglichkeit, aber ich arbeite dran. Auf jeden Fall entspannt der Kurs und ist sehr witzig und schweißtreibend.
Am Beispiel der Aprikosenszene möchte ich einmal darstellen, wie ich es gemacht hätte:
Beispiel: Eine Geschichte betrifft die Gymnasiasten, die die Aprikosen herumwerfen. Das hätten sie viel deutlicher als Streich, den sie gerade erst aushecken entwickeln können. Einer langweilt sich, interessiert sich nicht für die Briefmarken, jongliert die Früchte, als er sie entdeckt (Achtung Zirkusprojektverknüpfung) und ein zweiter will auch mal und dann kommt das Ganze in Fahrt. Der daraus resultierende Kampf mit den Bandenmitgliedern hätte mit dem Reißen vom Korb stattfinden können. Mitten drin, wenn schon Spieler am Boden bearbeitet werden, hätte ich Karamann auftauchen lassen, der sofort die Bande beschuldigt, die flieht (hätte mehr Drive und lässt sie ObstfplückereivomBürgermeisterobstbaum als unnötig löschen). Außerdem kann Karamann dann direkt nach der Schlägerei die Gymnnasiasten befragen, wer das mit SEINEN Früchten war. Die beschuldigen natürlich die Bande, was vielleicht der Bäcker später richtigstellt, indem er ihnen ein Alibi verschafft. Dann hätte ich Karamann seine Magd rufen lassen und vor den Zeugen Wirtin, Bäcker, Gymnasiasten und vielleicht noch Gorian abgestraft. Weniger Klamauk sicherlich, aber mehr Profilschärfe bei den Figuren, höhere Motivationen für die Figurenentwicklung.
Die Fischwerfszene habe ich auch nicht als komisch sondern als lächerlich empfunden, sicher waren die Kindergartenkinder von dem Klamauk begeistert. Für mich war es zu wenig ernstlich motiviert. Verstanden hätte ich, wenn irgendwann – beim Erlass vielleicht – alle die Polizisten mit den Fischen beworfen hätten, das wäre passend gewesen.
Das waren meine Hauptkritikpunkte, denn insgesamt gab es ebenso viele gelungene Momente. Das Uskokenlied war mir anschließend als Ohrwurm angehaftet. Ich war beeindruckt, die der Spieler Branko die erste Strophe allein intonierte, wie danach ebenfalls allein Zora die zweite Strophe sang. Als dann alle einstimmen und beide Strophen nochmals singen, ist das sehr berührend.
Aufführung 1…2… drei?
Mit der Premiere platzt dann auch der Knoten und die Klasse spielt als Gruppe zusammen. Lucy ist beruhigt und gibt zu, dass es jetzt doch auch Spaß macht mit dieser Klasse zu spielen. Das Publikum ist freundlich und so kommt es zu einem großen Erfolg. Erst die letzten beiden Shows sind öffentlich und somit für die Eltern zu sehen. Hier ist das Publikum besonders geneigt und geht sehr stark mit, wenn alle auf der Bühne singen. Es gibt häufig Zwischenapplaus und Lacher an den gewünschten Stellen. Nichts desto trotz sind es dann die kleinen Dinge, die mich als Theaterpädagoge bei der dritten und vierten Schau begeistern. Zum Beispiel rettete einer der Jungen die Zora, als sie vor lauter Lachen nicht mehr in ihren Text findet, indem er sagt: „Was Zora eigentlich damit sagen will, Vater Gorian …“ Hinter der Bühne erinnern sich die Jugendlichen an Einsätze, an Requisiten und an Ruhe. Auf der Bühne überspielen sie Wartesituationen, verpatzte Einsätze oder unruhige Momente; so erinnerte einer im Freeze einen anderen an Freeze.
Lucy hat natürlich sehr laut gesprochen, denn sie hat eine tolle Theaterstimme, doch auch die anderen haben das weiter entwickeln können seit der zu leisen Hauptprobe. Kritik habe ich vor allem am überintonierten Theatersprechen. Ich halte es lieber möglichst natürlich, damit die Spieler vielleicht schneller an ihre eigenen Gefühle kommen, wenn sie sich mit der Handlung ihrer Figur identifizieren. Den Bedeutungsheber an die Intonierung zu legen, scheint mir ebenso wie eine übergroße Gestik weniger förderlich, damit die Spieler ins Spiel finden.
Gab es bei der Hauptprobe noch die Schwäche, dass Gefühle nicht gespielt wurden, hier traf es nicht mehr in dem Maße zu: Zoras Eifersucht konnten beide Zoras wunderbar darstelllen, beide Gorians waren als Mittler und selber in Not Geratene überzeugend. Lea als Kata war sehr gut und sicher in ihrer Rolle, ebenso wie Lucy am folgenden Tag. Ich fand auf ihre unterschiedlichen Arten waren beide Karamanns deutlich als harte Kaufmänner erkennbar, doch sie hatten jeweils eine persönliche Note, die der Charakter der Spieler mitbrachte. Gleiches gilt für das Fräulein Slata (in welches sich Branko verliebt), für Branko und für den Bürgermeister, für die Wirtin, den Bäcker und die Gesellschafterin. Einzig die Gymnasiasten blieben außer als kleine arrogante Bösewichter etwas farblos zurück.
Wunderbar fand ich die musikalische Unterstützung live am Klavier, die so wenig aufdringlich und so passend wirkte. Dass Toni dann das Klavierspiel noch mit einem Geigenspiel (Slata auf dem Balkon mit Geige) unterstütze, war wirklich ausgesprochen schön. Die Spielerin tat in beiden Fällen nur so, als würde sie spielen. Beide Spielerinnen machten das jedoch sehr gut.
Trotz all meiner Kritik ziehe ich am Schluss das Fazit, dass ich mich diese Art der Umsetzung aus zeitlichen Gründen nicht getraut hätte – zu Unrecht, wie diese Inszenierung zeigte. Die Zeit hat für das wirklich sehr umfangreiche Programm ausgereicht. Dass nach allem, was man getan hat, noch immer nochmals und nochmals und nochmals einzelne Passagen perfektionieren kann, weiß jeder Regisseur nur zu gut. Und wo würden wir landen, wenn wir uns nicht mehr verbessern könnten? Auch ich – und sei es nur durch zuschauen – kann immer noch was lernen. Nächstes Projekt: Doppelbesetzung.