Exklusiv: Interview mit einem Newbie am Autorenhimmel. Die Debütautorin Scarlett H Mirro erklärt

Ich hab es mir nicht nehmen lassen, wo ich schon mal so dicht an einer Autorin herankomme, mit Scarlett H Mirro ein Interview zu führen. Hier präsentiere ich es im klassischen Frage-Antwort-Format.

Hallo Scarlett H Mirro. Wir haben bereits berichtet, wie du zu deinem Künstlernamen gekommen bist. Wie siehst du das heute?

Viele machen mich darauf aufmerksam, dass hinter dem H doch wohl der Punkt fehle. Das Fehlen wird nicht als Besonderheit, sondern als Fehler wahrgenommen. Das hatte ich nicht bedacht.

Und hat das eine Konsequenz für dich?

Tatsächlich überlege ich, weil ich ja keinen „fehlerhaften“ Namen nutzen will, ob ich das ändere. Vielleicht.

Von deinem Künstlernamen abgesehen, ist ja auch der Titel eher ein Arbeitstitel, oder?

Eigentlich hatte ich den Titel für einen genialen Wurf gehalten. Kurz, eindeutig und vieldeutig, aber ich gebe heute zu, er geht doch wenig flüssig von den Lippen. Na, letztlich frag ich mich, ob man auch Grisham gefragt hat, wie er zu „Die Jury“ kam.

Ein Titel ist wie der Name eines Kindes. In vielen Augen eigenartig oder falsch oder deplatziert oder unpräzise, doch mit der Zeit gewöhnen sich auch die größten Kritikerinnen und Kritiker, bis es „normal“ ist, dass der Roman oder die Geschichte so heißt.

Dabei gibt es eine echte Erklärung für diesen Titel. Die Loge „Liliths Schwestern“ gibt fiktional betrachtet als Rahmenhandlung diese Teile als Hinterlassenschaft der letzten Männer heraus. Es sind alles Dokumente, die diese Loge archiviert und für die Nachwelt erhalten will, damit die Männer als Teil der Gesellschaft – wenn auch historisch geworden – nicht in Vergessenheit geraten. Diese ersten Dokumente oder Akten, hat die Gründerin Emma Seidensticker gesammelt, nämlich als Akte „Oben“ von der Impfstofffinderin Anna Kowalski und als Akte „Unten“ von ihrem Ehemann und ersten Überlebenden Jacek Kowalski. Sie hat die Akten nach dem Ort unterschieden, damit die Namen der Erzähler und der Erzählerin nicht öffentlich werden. Wenn man so will, sind „Oben“ und „Unten“ Codewörter.

Oh ja, das klingt auf jeden Fall nach Verschwörung und Geheimorganisation.

Ja, das ist ja verrückt. Mensch. Vielleicht klingt es so, weil das ja alles sogar drin ist! Verschwörungstheorien tauchen zahlreich auf. Eine hier und eine da. Es gibt einige ganz lustige Geschichten dazu, zum Beispiel …

Nicht spoilern. Stoppt. Davon lass uns später reden. Doch was uns außerdem brennend interessiert: Wie verlief die erste Lesung?

Die erste Lesung? Ja, schön, dass du mich darauf noch einmal ansprichst, aber das war nicht meine glanzvollste halbe Stunde. Ich war zwar vorbereitet, doch hab ich einen der Kardinalsfehler begangen. Wirklich niemals sollte man an einem Ort sprechen, ohne vorher eine Probe gemacht zu haben. Die Akustik war wirklich schlecht. Ganz selbstkritisch muss ich zugeben, dass ich selbst nicht deutlich genug in die Geschichte einführt habe. Ich wollte es richtig gut und richtig spannend machen und hab damit leider den Kern der Geschichte versäumt, darzulegen. Wirklich blöd gelaufen.

Anfängerfehler. Sowas kann doch passieren.

Vielleicht. Vielleicht einer Person, die sich nicht mit Bühnenauftritte auskennt, die kein Theater macht. Aber mir? Mir hätte das nicht passieren dürfen. Ich versuche mir das zu verzeihen, um es beim nächsten Mal besser zu machen!

Und wie geht es aktuell für dich weiter? Was ist der nächste Schritt?

Wie du weißt, habe ich mit einem Partner den Verlag Wortfuge gegründet, den gilt es nun auch zu füttern. Dafür braucht es wirklich meinen Einsatz, vor allem zeitlich. In den Weihnachtsferien werde ich Lese-Videos aufnehmen, die ich nach und nach in den Äther der sozialen Medien sende, damit ich meinen Roman vor allem an eine mir unbekannte Leserschaft bringe. Im Moment ist es noch so, dass jeden einzelnen Leser und jede einzelne Leserin mir bekannt ist. Das ist schon wirklich spannend, zu wissen, dass mein Roman bei Freunden auf dem Nachttisch liegt. Doch was ist, wenn ich den Leser oder die Leserin nicht mehr kenne und sie eines Tages einen Leserbrief oder eine Nachricht in einer Cloud schreiben und meinen Roman erwähnen, mir oder anderen berichten, was sie denken, wegen dieser Geschichte? Das ist wirklich aufregend.

Hast du denn schon Kommentare zu deinem Roman gehört?

Bislang sind das natürlich die üblichen Floskeln: Spannend. Gefällt mir. Ist ganz gut. Interessant. Sowas eben. Ich höre auch: Ich komm nicht dazu, zu lesen. Ich lese ja nicht so viel oder erstmal lese ich was anderes.

Und das ist nicht, was du hören willst?

Es ist natürlich nett, wenn mir jemand sagt, dass ihm oder ihr mein Buch gefällt. Was mich wirklich interessiert, sind jedoch weiterführende Gedanken, die sich die Lesenden machen: Was ist deine Lieblingsfigur und warum? Was denkst du zu dieser Art Zukunft? Wozu regt dich die Geschichte an? Welche Fragen stellst du dir? Was findest/fandest du witzig? Wann hast du gelacht? Womit hast du nicht gerechnet?
Letztlich ist eine Geschichte auch Geschmacksache. Eine Spielfreundin erklärte mir, dass diese Art Geschichten nicht so ihre wäre. Nicht jeden Geschmack kann ich treffen. Auch wenn sich meine Eitelkeit angekratzt fühlt. Die eine findet vielleicht diese ganzen ausgeloteten Philosophien unerträglich zäh. Der nächste jedoch mag die Vielfalt der Perspektiven. Ein weiterer wünscht sich eine Liste mit einer Personenübersicht, weil es davon so zahlreiche gibt. Eine andere findet genau das überflüssig, weil man sich das doch merken kann und seine eigene Phantasie nutzen will.

Ja, es sind aber auch wirklich mächtig viele Figuren, die du da am Start hast.

Das stimmt. Ich hab selbst ne Liste gebraucht. Vielleicht sollte ich sie wirklich der Leserschaft bereitstellen. Wie genau ich das mache, weiß ich noch nicht. Vielleicht wäre eine Ehrentafel auf der Seite der Schwesternschaft eine gute Idee. Darüber mache ich mir noch Gedanken.

Das Buch ist ja fertig, also damit ist doch die Bahn frei für den kreativen Ausschuss für den zweiten Teil. Wie steht es damit?

Mal langsam. Wir haben festgestellt, dass die Vermarktung und der Vertrieb dieses ersten Teils schon noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen wird. Auch wenn der zweite Teil schon seit drei Jahre unvollendet auf meinem Rechner hängt, nützt mir wenig, dass er bereits halb abgeschlossen ist. Ich habe bei diesem ersten gemerkt, dass es mehr Zeit abverlangt, als ich erwartet habe, die Korrektur zu machen. Allerdings hab ich das auch nicht so schlau angefasst und irgendwie versucht, wie eine Anfängerin irgendwie hinzubekommen, statt mir die Hilfe zu holen, die nahe liegt. Überhaupt, gerade in diesem ersten Teil liegt viel Lehrgeld. Aber das war zumindest schon einkalkuliert. Zu der Frage, was jetzt ansteht, lautet meine Antwort: Aktuell muss ich für mich prüfen, wie sehr ich schreiben und Verlagsarbeit machen will. Komme ich nicht raus aus meinem Schuldienst, muss ich diese Pille schlucken, dann geht das nur, wenn ich meine Stundenzahl reduzieren kann, denn sonst blute ich aus. Ich brauche einen alternativen Job, damit meine kreative Kraft nicht so abgesaugt wird. Wie aber alle Menschen um mich herum, setzt sich meine Lebenswelt aus vielen Aufgaben zusammen. Ich bin schon froh, dass gerade das Musical zu einem Ende kommt, so dass damit wieder Kräfte frei werden. Andererseits hat sich schon ein neues Theaterprojekt angekündigt. Und wenn ich das ernstnehme, bindet das natürlich auch wieder Ressourcen.

Stimmt, du bist nebenher auch als Lehrerin und als Theaterpädagogin tätig. Was heißt das denn genau?

Aktuell arbeite ich noch an meiner Musicalproduktion. Ich habe die Textfassung dazu geschrieben und mit einem Musikkollegen zusammen die Stücke ausgewählt und die Gruppe gecoacht und Regie geführt. Die gesamte Organisation hing an uns, dafür haben wir einige Lehrkräfte aktiviert, die unser Projekt unterstützt haben. Jetzt sind noch zwei Wochen Zeit, bis es zur Premiere kommt. Wir zeigen das Stück zwei Mal. Ein wahnsinnig tolles Bühnenbild ist in der Kooperation mit einer Kunstlehrerin entstanden und ein Teil des Kollegiums singt auf der Bühne mit. Insgesamt ein großes Ding. Die Handlung ist entsprechend der Gestaltung von Musicals einfach, mit Gesang, Tanz und Musik. Ein Paar aus den 80ern, er Rocker und sie eine Weltverbesserin, sie kommen zusammen, sie will was bewegen, er will seine Ruhe. Ihr zum Gefallen sprayt er ein Graffiti an die Wand und wird erwischt. Doch es geht alles gut aus. Nach den Sommerferien haben wir das Stück noch einmal scharf eingedampft, damit wir es aufführen können. Jetzt wird es richtig gut. Außerdem hab ich von einem Kollegen den Literaturkurs übernommen: Der zerbrochene Krug. Ich mag das Stück vom Kleist, gleichzeitig wohnt in mir dieser kleine Schalk, der ja nichts einfach genauso aufführen kann, wie es geschrieben steht. Andererseits ist eine ernsthafte Aufführung zu machen, auch eine wirkliche Herausforderung für mich.

Moment, da würde ich doch gern mal nachhaken, was meinst du damit, dass du kein Stück so aufführst, wie es geschrieben steht? Du hast „Kabale und Liebe“, „Iphigenie auf Tauris“, den „Zauberlehrling“ doch schon mal auf deinem Plan gehabt. Hast du die nicht ernsthaft aufgeführt?

Fangen wir hinten an: Den Zauberlehrling hab ich verändert, damit er als Stück funktionierte. War eine Schwarzlichtinszenierung. Darunter hab ich die andere berühmte Ballade von Goethe gemischt: „Erlenkönig“. Schiller und Goethe hatte ich damals sehr verknappt zusammengesetzt, die Rahmenhandlung war dann ein kollegiales Miteinander zwischen Schiller und Goethe, die sich Auszüge aus ihren aktuellen Theaterproduktionen zeigen, um darüber fachmännisch zu diskutieren. Ich fand zum Beispiel die „Iphigenie“ immer sehr langweilig, zu redelastig und habe eine Kampfszene eingebaut, die es in Goethes Textfassung nicht gibt. Schiller gefällt die Szene so nicht, er kritisiert also den ehrwürdigen Goethe und bietet ihm mehrere Alternativen an. Goethe ist so verärgert, dass er erklärt, die Szene aus seinem Stück einfach ganz zu streichen. Das genau mein ich mit Schalk. Ich kann es nicht lassen, etwas Vorgefundenes neu zu gestalten, neu anzuordnen. Bei Stücken wie „Woyzeck“ ist das natürlich gar kein Problem. Da ist ein experimentelles Herangehen nahezu vorgeschrieben. Aber sonst gelingt mir das einfach nicht.

Wie du das so beschreibst, brennst du jedoch für die Theaterarbeit und es scheint so, als würde dir etwas fehlen, wenn du kein Theater mehr machen darfst.

Das hast du richtig erkannt. Ja, mir würde etwas fehlen. Ich mache sehr gerne Theater. Schon das der Grund, weshalb ich nun die Ausbildung zum BUT bei Sandra Anklam abschließe. Vielleicht kann ich mir doch einen der wenigen Jobs angeln, bei denen man fest angestellt ist, dann würde ich dafür den Schuldienst sofort quittieren. Naja, im Grunde mach ich zu wenig Theaterprojekte, um trotz all der Jahre so viel Erfahrung damit zu haben, wie zum Beispiel Sandra Anklam, die in einer Woche einen Kurs leitet, eine andere Woche ein neues Theaterprojekt anfängt und so mehrere Spielbälle in der Luft hält. So ein Job wäre ideal.

Vorhin hast du aber gesagt, dass das deine Kreativität dann abzieht.

Richtig. Die Schule tut das mit ihren Stressoren, dem Termindruck, den Klausuren, den Korrekturen. Ich weiß nicht, ob das bei einem Beruf, wie ihn Sandra Anklam ausübt, auch der Fall wäre.

Das kannst du ja nicht ausprobieren. Doch wenn du irgendwo angestellt bist, wo du bleiben magst, wirst du dich nicht lösen und durch die Welt fahren, damit du schreiben kannst. Richtig?

Richtig. Vielleicht fehlt mir doch der Mut und ich bin nur eine dieser Maulheldinnen.

Am Ende machst du es wie Karl May und schreibst nur über deine Sehnsüchte.

Vielleicht. Am Ende.

Zwei oder drei Jobs – wer zählt da schon so genau?

Als ich junge Mutter im Referendariat war – mit drei kleinen Kindern an und zwischen den Beinen und Armen – da dachte ich oft, es müsse einen Ort geben, wo man Luft bekommt, wo die Uhren langsamer tickten und wo das Leben entspannter sein könnte. Die drei Kinder wurden größer, die Ansprüche und Probleme mit und ich arbeitete mehr. Haushalt nebenher (wieso sollte ich eine gute Hausfrau sein wollen?), und schreiben ging gar nicht. Und überhaupt, wie schafften andere das? Noch irgendwie gut aussehen, Gäste empfangen und Freundschaften pflegen und Hobbys ausbauen? Sport und Gesundheit nicht zu vergessen … Ich managte es immer besser und gleichzeitig wuchsen die Herausforderungen.

Meine Ersttätigkeit „Lehrerin“ beschäftigt mich kognitiv und sozial und emotional so sehr, dass das mit dem Schreiben, den kreativen Tätigkeiten im Allgemeinen immer nur bis zu einem gewissen Grad im neuen Schuljahr klappte. Spätestens wenn das Feld „Gesundheit“ und „Bewegungsmangel“ drückt, wird es eng. Diese verschiedenen Felder, die ich wie im Tanzrausch besuchen muss, die lassen einen kaum zu atmen kommen.

Mein Zweitjob „Kinderpflege und -Versorgung“ hab ich stark reduzieren können, läuft langsam auch ein Nullsummenspiel hinaus. Ich glaube ja, eine gute Mutter zu sein, die ihren Kindern Entwicklungsfreiräume gab. Aber was ist schon wirklich „gut“? Und sind wir am Ende nicht alle gut? oder die Guten?
Ich gebe zu, dass das Feld „Bewegungsmangel“ mehr Aufmerksamkeit verlangt, schon um einem weiteren Bandscheibenvorfall vorzubeugen. Doch ehrlich, ich spür die Jahre langsam im Kreuz beim Aufstehen, muss also mehr tun. Das Problem versuch ich mit meinem Lieblingshobby „Tango“ zu erschlagen: Bewegung, Sozialkontakte, Achtsamkeitstraining, im Sommer sogar auch frische Luft. Genügt aber nicht, genügt aber nicht. Also freie Ressourcen auf Sektor „Kinder“ wurde direkt von dem Feld „Gesundheit und Bewegung“ absorbiert.

Nun gesellt sich ein Drittjob mit Platzansprüchen dazu: Verlag und Schreiben. Würde es gern zurückdrängen, sagen, dass gerade nicht so günstig ist, dass ich noch ein bisschen am Erstjob zu tun hab. Mein kleiner etwas pummelig gewordener Liebling „Kalender“ meldet sich zu Wort. Der ist ganz vollgestopft und fühlt sich übersättigt an, meint, er möchte doch auch mal abnehmen. Ich hab’s versprochen wegen Work-Life-Balance und so. Weniger voll. Und ich guck traurig „Kalender“ an und sag fast schon vorwurfsvoll, er möge sich an 2013/14 klammern, da waren wir das ganze Jahr unterwegs und hatten kaum Termindruck. Er jammert und meint, genau das sei sein Punkt, was fühlt es sich hübsch an, wenn man mal nicht weiß, was der nächste Tag bringt. Ich sag, dass wir davon auch einige 2020 hatten. Damit er nicht ganz so trostlos in der Gegend hängt, erklär ich ihm, dass ich gute Aussichten auf nächstes Jahr sehe, wenn wir diesen Erstjob loswerden und dafür einen waschechten Halbtagsjob an Land ziehen, einen, der hält, was er verspricht. „Kalender“ ist aber noch nicht fertig, zeigt mir, dass ich ja schon für nächstes Jahr Ostern, Juli, Pfingsten wenigstens Termine ausgemacht habe. Ach ja, seufze ich.

Damit kann ich mich nicht beschäftigen, weil mir Freund „Gesundheit“ – im Vertrauen, dat ist echte Hassliebe – gerade erklärt, dass wir aufgehört haben zu atmen, zu meditieren und Yoga vernachlässigen. Der ist so dicke mit „schlechtem Gewissen“, dass ich manchmal das Gefühl habe, gegen zwei Verbündete zu stehen, die wie eine Mauer keine Gnade kennen, so wie die Eltern früher. Und alles ja nur zu meinem Besten. Freund „Gesundheit“ erklärt mir außerdem, dass ich gerade einen Infekt ausbrüte. Viel Trinken – schon wegen der Haut. Und lass die Chips weg. Vitamin C brauchst du und Ruhe.

Und ich? Was ist mit mir?

Ich sitze am Rechner, dicken Kopf, Schniefnase und krieg mich nicht hochgewuchtet, um mich zu pflegen, muss noch eben: die KA 7 vorbereiten, die Telefonnummern für die Jugendherberge sowie die Telefonzeiten heraussuchen, noch die Zahnarztnummer vorbereiten, mir die Steuererklärung auf die To-Do-Liste legen, die Postkarte vorbereiten und die Lesungstermine sichten … Im Kopf hämmert gegen die Schädeldecke der Satz:

Hab ich was vergessen?

Hab ich was vergessen?

Ach ja, ich hab ein neues Hobby angefangen: Cello spielen.

Mein Künstlername lautet Scarlett H Mirro. – Wie komme ich zu diesem Künstlernamen?

Vor langer langer Zeit saß ich in meinem Studentenzimmer (so um 1995) und dachte, es sei an der Zeit für einen Künstlernamen. Im Kafka-Seminar hatten wir gerade darüber gesprochen, dass eine historische Figur mit Namen Franz Kafka nicht identisch ist mit dem Schriftsteller Franz Kafka. Die private Person Kafka umfasst mehr als das, was er geschrieben hat und doch deuten wir heute viele seiner Texte hinsichtlich seiner Privatheit. Darüber hinaus allerdings war Kafka jemand, der mit den Worten, mit der Sprache rang, darüber hinaus war er jemand, der sein Schreiben reflektierte und der wie kein anderer verstand, systemische Ohnmacht auch sprachlich abzubilden. Das ist mehr als sein Problem, Sohn zu sein und als solcher vor seinen eigenen Augen versagt zu haben. Ich wollte damals vor allem mein privates Sein von meinem künstlerischen Sein trennen, denn ich dachte damals noch, dass die Welt auf meine Texte wartete und ich unbedingt berühmt werde. Mein Privatleben war meines, meine Künstlerrolle war öffentlich. Also suchte ich nach einem passenden Wort. Ich spielte mit diversen Wörtern, unter anderem fand ich das Wort „Mirror“ reizvoll. Schwer in der Aussprache, hart als deutsches Wort rückwärts gelesen „Rorrim“, aber das war es noch nicht. Mirror war mir zu platt. Die Idee von Spiegel, sich oder etwas widerspiegeln und verzerren mag ich, auch wenn ich diese Selfi-Welt und das sich vor der Kamera produzieren, wie das heute stattfindet, wirklich ablehne. Aber auch das steckt im Spiegel, die Reflexion der Oberfläche.

Die nächste Zutat war, dass ich ja einen Künstlernamen suchte, also könnte ich ja auch bei Künstlern suchen. Der Künstler Joan Miró macht abstrakte, farbenfrohe Bilder. Diese Kunst mag ich. Damit war ich schon sehr dicht an „Mirror“ dran. Da ich den Namen ja nicht kopieren wollte, hab ich einfach von Mirror das R weggelassen. Wie dicht ich mit meinem Schreiben an diese bunte, schräge, vieldeutbare Kunst heranreiche, war mir damals weniger bewusst als heute. Wenn ich an mein Erstling „Die Lehre von der Chaotologie“ denke, dann steht dieser Text einem Bild wie „Karneval des Harlekin“ (1934) von Miró in nichts nach.

Die literarische Vorlage für meinen privaten Vornamen ist Scarlett O’Hara aus dem verfilmten Roman „Vom Winde verweht“ von M. Mitchell (1936). Von Anfang an war klar, dass Scarlett Bestandteil bleiben würde, denn das ist zum einen an sich schon der kreative, lebendige und lebensbejahende Teil in mir, der mein Schreiben maßgeblich beeinflusst, zum anderen ist es die Verbindung zur Künstlerwelt. Wie lange habe ich gehadert, ob ich nur aus Eitelkeit kreativ sein wollte und es vielleicht gar nicht wirklich war. Bildete ich mir das alles nur ein? Aber auch Kreativität ist etwas, dass wir selbst durch Training formen können, ebenso wie Beweglichkeit, Witzigkeit, Spontanität (zumindest behaupte ich das hiermit). Da ich also den Namen einer literarischen Vorlage trage, dient mir mein Vorname als Schablone für mein Künstlersein. Wie unzählig oft ich gefragt werde, ob schon mein Vorname „Scarlett“ mein Künstlername sei! (Halbsatz off) Scarlett stellt damit die Verbindung zwischen Kunst und Wirklichkeit dar.

Das H in „Scarlett H Mirro“ ist zum einen der Bezug zu meinem Geburtsnamen und damit eine Hommage an meinen früh verstorbenen Vater. Ich trage den Namen Hermann mit Liebe im Herzen. Zum anderen folge ich hier dem irischen Ansatz meiner literarischen Vorlage: O’Hara. Ich bilde mir damit ein, meiner schottischen Seelenverwandtschaft in meinem Künstlernamen Raum zu geben. Auf den Zusammenschluss von H und Mirro mittels eines Apostrophs habe ich verzichtet , weil ich die Schreibform nicht kopieren wollte. Gesprochen klingt mein H Mirro ebenso wie O’Hara, ist aber kein Adelszusatz und auch kein Titel, wie in manchen Kulturen üblich.

Zum guten Schluss hat mein Name ein M als ersten Buchstaben, weil ich die Form des M geschrieben sehr mag; vor allem im Kontrast zum S, da ich ja auch Autogramme mit diesem Namen geben wollte. Es soll sich schließlich für Fans meiner Texte lohnen, sich ein Autogramm abzuholen, ein zwei persönliche Worte zu bekommen und dafür braucht es einen schön geschriebenen Künstlernamen.

Jetzt könntet ihr, liebe Freunde des geschriebenen Wortes, meinen, dass ich nach all den Jahren meinen Künstlernamen wegen besseren Wissens und wegen individuellen Wachstums ändern sollte, doch aus zwei Gründen tue ich das nicht: a) habe ich das vor vielen Jahren in meinem Studentenzimmer in Bochum entschieden, das nicht zu tun und b) habe ich erst in den letzten Jahren verstanden, wie dicht an der Wahrheit der Name ist. Profiliere ich doch immer, weil ich sage, was ich denke (bei weitem weniger, als viele vermuten würden), weil ich meinen eigenen Weg gehe (mit mehr Schmerzen, als die meisten vermuten würden), weil ich alles in Zweifel ziehe und hinterfrage (auch die Selbstzweifel sind nie weit weg), so tue ich das sicher auch mit meinen Texten: die Themen, die Ansichten, die Vielstimmigkeit, das Figurenaufgebot, etc. Das mein Erkenntnisprozess so lange brauchte, liegt vielleicht daran, dass ein Spiegel eben nur reflektiert, nur widerspiegelt und nicht selbst Erkenntnis liefert, das muss der Betrachtende allein tun. Auch wenn es so wirkt, als würde ich arrogant in meinem Schreibkämmerchen sitzen und denken, anderen den Spiegel vorzuhalten und mich darüber zu erheben, so ist darin eine schwere Bürde zu tragen, denn nur den Spiegel zu halten und dem Gegenüber den Rest zu überlassen, ist kaum auszuhalten, ohne nervös hin und her zu rutschen und sich zu wünschen, der andere möge endlich erkennen, möge verstehen, möge sehend werden.

Und bedenkt immer: Wieso sticht der Skorpion den Krebs, der ihn über das Wasser tragen soll? Er kann nicht anders.

KAST-Forum – eine Woche „KAST“ für alle

Das Programm ist raus und nun geht’s los. Das Programm … das Programm … Jeeppiiieee.

 

KAST?

Was ist das denn?

Also die KAST ist vor allem zunächst ein VEREIN von Theaterverrückten Menschen aus ganz Deutschland. Der Verein besteht seit mehr als 60 Jahren und organisiert ein Mal im Jahr ein Forumstreffen an verschiedenen Standorten in Deutschland, bei dem sich die Teilnehmer*innen zu unterschiedlichen Themenfeldern und Theaterbereichen weiterbilden können:

Bühnenkampf … Theater mit Jugendlichen … Improvisationstheater … Kabarett … Clownerie … Erzählen … Theatermachen … Regie … Sprechtechnik … Theater mit Kindern … Frauentheater … Bewegungstheater … Figurentheater … Pantomime … Tanztheater … Schminken … Zirkus … Straßentheater … Spiel mit Masken … Schwarzlichttheater … Percussion … und noch mehr

Dieses Forum ist dann für alle Interessierten offen, das heißt, man kann sich für die Workshopwoche mit Vollpension anmelden. Da es jedoch viel mehr ist als nur so eine Fortbildungswoche, hole ich hier ein bisschen aus.

FORUM – kreative Arbeitskreise für Spiel und Theater

  • für Menschen von 7 bis 97 Jahren
  • für Menschen unter 7 Jahren: qualifiziertes Angebot der Kinderbetreuung
  • einmal im Jahr, in der Woche nach Ostern

Das FORUM – intensiv und kreativ!
Für alle, die im Bereich der Kultur, Jugend-, Bildungs- und Sozialarbeit tätig sind oder allgemein Interesse an Theaterarbeit haben und neue Impulse suchen, veranstaltet die KAST jährlich die Theater-Werkwoche „FORUM“.

FORUM 2018
vom 3. – 8. April 2018 in Wiesbaden – Wilhelm-Kempf-Haus

Das Programm Ostern 2018

Dieses Jahr werden (wieder) acht Arbeitskreise angeboten, wobei zwei für Kinder und Jugendliche sind. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre noch ein Jugendlicher, denn die Angebote sind oft sehr reizvoll. Im einzelnen bietet das Forum von KAST dieses Jahr:

  1. Chanson und Stimme (Etwas für die Stimme gibt es immer, denn das ist auch was für die ältesten Seminarteilnehmer.)
  2. Commedia dell’Arte (Richtige Theaterarbeit an der Maske: Wie entwerfe/entwickle ich einen Charakter ohne Worte und doch mit Handlung?)
  3. Pantomime (Körpersprache, Körperarbeit. Mit Bewegung gibt es immer was, für alle, die sonst auf dem Stuhl gefesselt sind.)
  4. Kostüme (Der Handwerkskurs, auch solch einen gibt es in jedem Jahr)
  5. Bühnenpräsenz (Arbeit auf der Bühne, Grundlagentraining. Das kann doch eigentlich jeder, oder?)
  6. Stand-up-Comedy (Etwas ganz Kurzweiliges für den Spaßfaktor gibt es eigentlich auch jedes Jahr. Witzig ist ja nicht unbedingt einfach oder flach. Selber Schreiben – das gibt’s auch einmal pro Jahr.)

Das war es für die Erwachsenen – natürlich können auch die Jugendlichen schon mal an dem einen oder anderen Kurs teilnehmen, hängt aber von der Kursleitung ab. Und wenn ihr jetzt denkt, dass ihr doch lieber alle Kurse besuchen wollt, dann geht es euch so wie mir. Bedauerlich ist allein, dass es nur eine Woche dauert.

Die letzten zwei AK’s:

  • AK7 Impro für Jugendliche (ab so ca. 12/13 Jahren)
  • AK8 Für Kinder – Ton ab! Bühne frei. (ab 7 Jahren)

Sechs Tage im Kreativen Feuer

Immer findet das FORUM direkt nach Ostermontag für sechs Tage statt, damit möglichst viele Bundesländer zur gleichen Zeit frei haben. Natürlich wohnen wir im Bildungshaus. Das Interesse ist es, dort die Bildungsstätte unter Alleinherrschaft zu führen, äh … eben allein zu sein. Wir beziehen Zimmer, manche mit und manche ohne Luxus/ Dusche. Es gibt Vollpension: Frühstück, Mittagsbuffet, Kaffee und Kuchen, Abendbuffet. Die Qualtität variiert je nach Gasthaus:

  • Rastatt war von der Essensqualität sehr gut, dafür die Räume nicht ganz so passend für die Seminare, eine gute Bühne und die Umgebung ist stadtnah und natürlich zugleich, also sehr abwechslungsreich
  • Wiesbaden hat gutes Essen, interessante Raumgestaltung, eine schöne Bühne und eine Umgebung im Grünen
  • Altenberg hat billiges Essen, zu spartanische Schlafräume und leider keine wirkliche Bühne, dafür eine herrliche landschaftliche Umgebung.

Wenn es darum ginge, welcher Standort am besten ist, dann würden wir vermutlich Jahr für Jahr nach Wiesbaden oder Rastatt fahren. Das Interesse ist es jedoch, möglichst unterschiedliche Bereiche Deutschlands anzusteuern, damit es mal die einen und mal die anderen nah oder fern haben. Die Bezahlbarkeit muss gewährleistet sein, denn die Preise für die Woche sind seit einigen Jahren konstant (ich kenne nur den aktuellen Preis). Günstig vom Ort her ist Altenberg für uns, doch ich bin bereit, lieber nach Wiesbaden zu fahren. Hattingen wäre auch so ein schöner Ort, lecker Essen und so, doch bislang konnte ich dafür niemanden wirklich begeistern – tatsächlich fehlt eine gute Bühne. Welcher Ort auch immer, wir nehmen Unannehmlichkeiten beim Essen oder bei den Räumen in Kauf, denn letztlich sind wir in erster Linie für das Arbeiten und Spielen und uns Begegnen da.

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Eingangshalle im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden – Drehort unseres Märchens

 

Die sechs Tage verlaufen nach dem gleichen Rhythmus:

  1. Dienstag bis 14 Uhr gemeinsam Kaffee-Kuchen-Zeit. Ab 14 Uhr sitzen wir im großen Stuhlkreis für wichtige Neuigkeiten, erste Instruktionen, Danksagungen und Hinweise. Um 15 Uhr pünktlich starten die AKs. Abends gibt es einen buntes Kennenlernspiel, das eine Theaterspielaufgabe enthält und dazu einlädt, schnell spontan kreativ zu sein. Organisiert wird es durch den Vorstand und durchgeführt wird es jährlich von anderen Leuten. Danach sitzt man gesellig bei Wein und Bier und Chips zusammen, wobei man mit den alten Bekannten und den neuen Gesichtern ins Gespräch kommt. Die Jugendlichen verabschieden sich und spielen Spiele wie Werwölfe.
  2. Mittwoch: Tagsüber finden die obligatorischen Kurszeiten statt. Abends wird eine Theateraufführung oder Performance oder Musikstück von aktuellen oder ehemaligen Forums-Teilnehmern präsentiert. Ein Infoboard berichtet darüber.  Die Jugendlichen sind weiterhin die Jugendlichen.
  3. Donnerstag haben alle ihre Kurse, und entwerfen in der Regel ihr 10-minütiges Bühnenprogramm. Am Abend findet die offene Bühne statt, zu der sich jeder mit eigenen Programmpunkten melden kann. Es werden Auszüge aus eigenen Theaterproduktionen, Sketche, Witze, Gesang, etc. gezeigt. Alles ist möglich. Die Jugendlichen spielen vermutlich wieder Werwölfe.
  4. Freitag  sind alle zu beschäftigt für die Bühne, denn es wird hier noch geprobt, dort noch was einstudiert, zum Schluss noch was getackert oder geklebt. Alle AK’s schleichen sich für Generalproben auf die Bühne, wo zwei Fachmänner für Licht, Ton und Kamera bereitstehen und Feedback geben. Man trifft sich in der Bar und schnackt zusammen – irgendwann gegen 22 Uhr, falls man Ruhe bekommt. Also die Jugendlichen …
  5. Samstag ist der Aufführungstag. Es gibt natürlich noch eine Probenzeit vorher. Es beginnt mit den Kleinen um 16 Uhr. Außenstehende Menschen dürfen eingeladen und verköstigt werden. Das Programm wird vom Abendbuffet unterbrochen. Es läuft bist 22 Uhr. Anschließend verabschieden sich i.d.R. die Gäste, wenn auch sie bleiben dürften. Partyzeit. Es wird gefeiert bis morgens in die Frühe. Übrigens, die Jugendlichen feiern mit.
  6. Sonntag ist der Abschiedstag. Spätes Frühstück, letzte Abschiedsrunde in den Gruppen, kleine Präsente für die Leiter und schließlich der große tränenreiche Abschied um 14 Uhr in der Aula. Und da sind alle pünktlich.

Meine Kinder sehe ich kaum, vielleicht für ein Gelegenheitsküsschen. Ich schreibe ihnen auch nicht vor, wann sie ins Bett müssen. Bleimüde schleichen sie irgendwann gegen 3 Uhr oder so in die Betten. Morgens hüpfen sie raus und sind nachts wieder bis in die Puppen auf. Ich auch. Die Gespräche am Abend, die Arbeit am Tag und alles dazwischen ist einfach dieser Raubbau wert.

Ein Rückblick persönlich

Inzwischen war ich vier Mal mit meinen Kindern beim FORUM und ich habe bislang ausschließlich Gutes zu berichten, sieht man von Unterkunft und Essen im Vergleich ab. Einziger Nachteil: es findet nur einmal im Jahr für 6 Tage statt.

  • AK Stimme und Gesang – das erste Mal dabei 2014 bei Andrea Haupt

Mit der Stimme einen Krimi produzieren, ein Hörspiel. Alle Geräusche wurden mit Stimme oder Körper erzählt: die Kuckucksuhr, dat Mofa, die Waldgeräusche … Hinter einem Vorhang haben wir unser Hörspiel am Samstag abgehalten.

 

 

  • AK Film und Regie – bei Sabine Willmann 2015

Wie viel Film kann man schaffen? Wir haben zwei Filme produziert: einen Lehrfilm über gutes Sprechen und Zuhören; einen Märchenfilm von 8 Minuten Spielzeit, all in mit Storyboard, Drehbuch und Skript. Das war eine sehr stramme Leistung – im Sinne des Wortes. Kurz vor der Vorführung, war der erste Cut überhaupt fertig. Mein Lieblingsmoment: der Stop-Trick.

 

 

  • AK Zeitgenössischer Tanz – bei Bettina Forkel 2016

Ein Mann verloren in einem Frauenspiel. Bettina hat ein umfangreiches Choreografieset im Gepäck und zieht es durch: was Improvisiertes, was Durchgetaktetes, was Erzählerisches. Wir sind richtig beschäftigt und haben Donnerstag einen traumhaften Muskelkater.

 

 

  • AK Bühnenbild – bei Siegfried Albrecht 2017

Klein aber fein: Bühnenmodelle mit Figuren im Maßstab 1:20. Ein Mensch ist acht Köpfe hoch und zwei Köpfe breit – im Idealfall. Das Spiel mit den Farben und dem Licht in der kleinen Modellbühne. Dreidimensionaler Raum, zweidimensionales Bild: ein bisschen Architektur, ein bisschen Kunstgeschichte und dazwischen Patex. Bilder von Treppen, Türen und drehbaren Bühnen entstehen im dreidimensionalen Raum. Mir eröffnete sich eine neue Welt.

 

 

So grundsätzlich verschiedene Sachen habe ich dort gemacht und gelernt, dass jedes Seminar für mich ein Lernzuwachs war – trotz meiner theaterpädagogischen Ausbildung. Selbst das Sprechseminar bei Andrea Haupt, bei dem ich anfangs dachte, dass ich in dem Bereich schon sehr gut ausgebildet sei. Dabei begegne ich jährlich denselben Menschen, Sabine zum Beispiel, oder Birgit und Ulla und Claudia, und ganz neuen fremden Gesichtern. Ein tolles Konzept. Und ich bin wieder dabei!

Begegnungen mit sehr freundlichen Menschen, bereichernde Seminare, kurzweiliges Programm und dazwischen Essen und wenig Schlaf. Ich freue mich schon …

Und was mach ich dieses Jahr? Vermutlich Pantomime oder Commedia dell’Arte oder Kostüme … also eines von den Dreien.

Beginenhof, Balou e.V., Claudius Höfe, Kommune Kaufungen – gelebte Konzepte gibt es schon

Der Beginenhof

Gestern sitze ich zusammen mit einer Freundin im Café „Zeitlos“ und rede wie immer und wie gern über Ideen der Zukunft. Sie erinnerte mich an das Projekt ihrer Tante: der Beginenhof in Essen. Aus dem alten Finanzamt haben sie ein Kultur-Frauen-Zentrum gemacht. Beginen ist abgeleitet von der mittelalterlichen Beginenbewegung, wonach Frauen nach religiöser und wirtschaftlicher Unabhängigkeit strebten, ohne eine Ehe eingehen zu müssen.

Sie übten handwerkliche und pflegerische Berufe aus und kümmerten sich um die Ausbildung und Unterrichtung von Mädchen und jungen Frauen. In einigen Handwerksbetrieben, wie der Tuchmacher- oder der Wappenstickerei, erwarben sich die Beginen mit der Qualität ihrer Arbeit hohes Ansehen und erzielten beträchtliche finanzielle Erfolge.

Die Erlöse flossen in die Gemeinschaft, in die Armenversorgung und Krankenpflege oder wurden in neue Wohn- und Werkstätten investiert. Die vermögenden Konvente verliehen sogar Geld an die Stadträte, und sicherten sich damit die Unterstützung der Kommunen. Mittelalterliche Beginenkultur – Brigitte

Das Zusammenleben der Frauen sollte demokratisch sein; sie organisierten sich durch Versammlungen und niedrige Hierarchiestrukturen. Soweit klingt das ja sehr passend für ein gemeinsame Wohnkultur. In Essen ging es den Frauen, die das gegründet haben und dort leben vor allem um die gegenseitige Unterstützung bei gleichzeitig bestehender Autarkie für Frauen und durch Frauen. Altenversorgung, Kindererziehung, Lebensgemeinschaften. Reizvoll. Doch der Einwand meiner Freundin ist auch direkt schon meiner – ohne Männer? Ohne Männer, weil Männer Frauen mit Kindern allein zurückließen. Ohne Männer, weil sie im Alter wegstarben, ohne Männer, weil manche Frau lieber mit Frauen lebt, sprich Verpartnerung – wie ich gelernt habe.

Ich erkenne – wie viele andere inzwischen auch -, dass in unserem Kleinfamiliendasein, in der Seperierung der Alten und Andersartigen und der Versingelung Probleme erwachsen, die nun schon einige Generationen lang sich auftürmen und Lösungen wollen. Keine kann es sein, den Mann als Bestandteil davon auszugrenzen. Ich glaube durchaus, dass der Mann an sich anders funktioniert/läuft/ist als die Frau. Männer meinen, sie seien bescheidenere und leichter zurfriedenzustellen; Frauen meinen, sie seien aktiver, lebendiger und deutlich mehr an Selbstentwicklung interessiert. Dadurch ist ein Zusammenleben in einer Paarbeziehung häufig das Aufgeben von etwas, was dem Wesen des Geschlechts entspricht. Wie viele Frauen leben jetzt auf, wenn ihre Männer sterben, können endlich tun, was sie wollen und müssen sich nicht mehr so quälen mit dem Schweigen – so geht es meiner Ex-Schwiegermutter gerade sehr. Wie viele Männer leben auf, wenn die Frau vor ihnen stirbt, endlich zehrt und zieht niemand mehr an ihnen, nörgelt herum und will etwas, was sie nicht geben wollen. Endlich können sie in Ruhe vor dem Fernsehgerät dahindämmern oder ein Mal die Woche mit den zwei Kumpels Skat spielen. Das ist nicht sarkastisch gemeint. In dem Punkt sind andere Kulturen nur ehrlicher als wir. Wir wollen in einer Liebesbeziehung das Glück finden und übersehen, dass es mehrere Splitter dafür gibt.

Ich hätte gerne einen Partner an der Seite, der alles mit mir teilen kann und will, aber vielleicht gibt es nur ein paar Sonderexemplare von Männern und die anderen können das einfach nicht. Mein Ex fand mich besonders anstrengend. Klar – wenn ich zusätzlich zu dem So-sein das auch noch hinterfrage.

Der Grundgedange des Beginenhofs ist gut. Wenn ich allerdings nur alleinerziehende Frauen aufnehme, kann ich gesellschaftlich das Problem nicht lösen. So richtig lösen werde ich es vermutlich auch nicht, doch ich kann mich an der Lösung beteiligen. Selbst eine Ehe im Lebenslauf würde ich sagen, dass dieses Konstrukt zu viel leisten muss nebst Beruf, Kinder und Selbstverwirklichung. Bei moslimischen Familien sind Frauen und Männer getrennt – sogar beim Essen – wodurch Frauen so sein können, wie sie wollen, wenn sie unter sich sind und die Männer umgekehrt. Das ist ein anderes Extrem. Kann man so voneinander lernen? Vorurteile abbauen? Vielleicht sich näherkommen – so ganz geschlechtlich gesehen?

Mehrgenerationenprojekte

Ich würde sagen, dass weder A noch B die perfekte Lösung ist. Die Idee des Mehrgenerationenhauses ist schon mal eine gute Idee, die auch immer mehr Nachahmung findet, so wie auch die Claudius-Höfe in Bochum zeigen. Diese Projekte werden sogar gefördert, weil sie doch letztlich das Gesundheitswesen entlasten könnten. Der Mensch ist auch kein Einzelgänger, er braucht die Herde.

Meine Herde ist allerdings ganz schön verstreut: Elke in Duisburg, Valeria in Oberhausen, meine Mutter in Varel, 2 Schwestern in Iserlohn samt Lieblingsschwiegermutter und eine Schwester in Wiesbaden, mein Sohn, meine große Tochter und mein Ex in Bochum sowie Stefanie, Sean in Hagen und so weiter. Das fühlt sich sehr falsch für mich an. Ich hätte das gern anders.

Grundsätzlich müssten Frauen und Männer in der Herde mit ihren Bedürfnissen Platz haben. Für mich bedeutet das, dass ein Mann in eine gesellige Runde dazukommen darf, aber nicht muss, dass aber eine gesellige Runde keine Ausnahme sein muss, weil dafür extra eingeladen wird. Mehrere kleine Einheiten unter einem gemeinsamen Dach mit gemeinsamen Nutzräumen – weil ich eine große Küche und einen schönen großen Ess-Wohnraum einfach lebenswert finde – wäre Ideal: ein oder zwei kleine Familien, Single, Paare, Wohngemeinschaften, alles aus verschiedenen Generationen. Religion darf sein, muss aber nicht – was mich neben der Einschränkung des Geschlechts zusätzlich im Beginenhof behinern würde. Meine Freundin Stefanie ist sehr gläubig, die christliche Spiritualität gibt ihr etwas. Ich finde das in Ordnung. Ich persönlich komme an der Geschichte weder links noch rechts vorbei, um mich als Christin irgendwie anzunehmen. Auch die Geschichte mit dem GOTT, der einen SOHN hatte usw. Diese ganze extrem männliche Sicht der Spiritualität lässt mich schaudern und verbaut mir jeden Weg zum Christentum. Das es etwas gibt, das größer und mächtiger ist als das Dasein des Menschen, davon bin ich überzeugt. Ich denke allerdings nicht in Bildern. Für mich ist es ein Muster, das alles verbindet. Es ist Liebe. Wenn ich liebe, bin ich im Göttlichen … vielleicht so. Nun denn, auch die Claudius-Höfe haben den christlichen Gedanken innewohnend. Sonst wäre das doch schon eine vorhandene Lösung. Muss man denn alles selber machen?

Wohnen und Leben

Dieser Absatz hatte mich auf der Homepage des Beginenhofs in Essen besonders berührt:

… lebendig, verbunden und eigenständig zu wohnen und zu arbeiten, fanden wir in der historischen Beginenkultur ein Modell, das uns in seiner Aktualität bis heute begeistert. Beginenhof Essen

Soweit bin ich dabei. Ich möchte eine Lebens- und Wohngemeinschaft mit gemeinsamen Räumen und gemeinsamen Interessen, mit dem Ziel, gemeinsam Kultur zu schaffen und dabei dem jeweils anderen Raum zu geben. So wie das Balou im Stadteil Brackel in Dortmund ein Begegnungsort ist, der für Kultur Raum hat. Das Programm ist mir schon fast zu umfangreich, um dem noch im Kalender recht zu geben, doch vielleicht bekommen sie das monströse Programm ja gestemmt.

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Die gemeinsame Nutzfläche, die Gewerbefläche. Die gilt es in einem solchen Unternehmen u bespielen, am besten so, dass jede(r) zum eigenen Recht gelangt. Ich zum Beispiel möchte Kurse anbieten und zwar jene, die mir Spaß machen: Bühnenkampf mit Degen, Stock und Faust – dazu Choreografien ausarbeiten, diese in Perfektion einstudieren und gelegentlich vorführen, vielleicht auch mit Preisen bestücken; langfristige Theaterprojekte mit Menschen allen Alters; Workshops rund ums Schreiben, Theatermachen und Tanzen; Tangosalon mit Ambiente und Stil. Das ist, womit ich die Gewerbefläche füllen will. Ein Plus, Krimidinner in unserem Lokal statt bei anderen Zuhause … langfristig gesehen. Ich weiß, dass ich sie nicht allein so gut ausnutzen kann, das sie ausgelastet ist, dazu brauche ich die anderen. Und wir arbeiten zusammen – wirtschaftlich auch?

Eine erste Überlegung war, dass wir einen Teil aller Einnahmen für die Gemeinschaft  für sogenannte Gemeinschaftsprojekte aufwenden: gemeinsame Feste, Übernachtungsraum für Gäste, Restauration der gemeinsamen Räume, der Verkehrsflächen, der Reinigung der gemeinsamen Nutzflächen vor allem der Sanitären Einrichtungen, Werbung für das Haus und die Projekte, Unterstützung im Alter durch äußere Stellen (Pflegedienste), etc. Mir fallen spontan viele Quellen ein, wofür man gemeinsam viel Geld ausgeben kann.

Dann braucht man gute Kommunikationsregeln, so wie in Kaufungen … die tägliche Rolle, damit man auch ohne aktuelle Sitzung auf dem Laufenden bleibt.

Kaum steht es hier, fällt mir mein Besuch in Kaufungen ein, vor Jahren mit Sean zusammen: Kommune Niederkaufungen Da besuchte ich Raymond, der mich eingeladen hatte, zu verstehen, was die Kommune so macht. Ich war für diesen Blick hinter die Kulissen sehr dankbar und wäre am liebsten sofort mit meinen Kindern dorthin gegangen. Ohne meine Kinder wäre das sicher kein Problem gewesen, mit ihnen hätte ich die Prozentzahl der erlaubten Kinder gesprengt.

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Ich habe gerade auch mal auf der Seite so rumgeschaut, ich könnte mich sicher sofort in der Küche einbringen. Kochen und Essen – eine Leidenschaft. Aber dazu hab ich ja auch eigene Ideen –> siehe Krimidinner. Die Kommune zu erleben – ein Jahr Ostern für fünf Tage – war damals ein besonderes Erlebnis, denn dort war Alltag, wovon ich träumte: gesunde Lebensmittel für alle, gesunde Gesprächskultur durch Schulung  und Praxis von Gewaltfreier Kommunikation (nach Marshall Rosenberg). ein passendes soziales Miteinander für jede Altersphase, ein kulturelles Miteinander und das ohne den zentralen Gedanken an Geld. Damals fühlte ich dieses Prickeln, dass es so eigentlich richtig ist.

Ich möchte gern anfangen mit meinem WOLIBA, anfangen in einem Stadtteil und dann wachsen. Raymond sagte, dass 50 Personen für die Überschaubarkeit der Beziehungen genug sei. Heute leben in der Kommune 80 Menschen. Dort ein Wochenende zu verbringen und sich Anregungen für das eigenen Projekt zu holen, darauf hätte ich Lust. Du auch, meine liebe Freundin? Hier gäbe es die Termine: