Nach einigen Tagen findet man sich auch in der größten Großstadt zurecht. Mexiko ist eine Metropole, nicht nur eine Großstadt. Und eine kleine Herausforderung war es schon, denn es gibt so viele Dinge, die hier anders sind – anders als in Deutschland, anders als in Europa.
Gefahr Gefahr Gefahr
Als wir uns für die Reise vorbereiteten, erklärte uns jeder, wie gefährlich diese Stadt und dieses Land und diese Menschen seien. Wir wollen die Gefahr nicht gerade suchen, um zu bestätigen, was so viele behaupten, doch bislang haben wir nur Menschen getroffen, die unglaublich freundlich und hilfsbereit waren. Wir wollen nicht unvorsichtig werden. Uns beschleicht auch schon mal ein komisches Gefühl, wenn wir auf “untouristischen“ Wegen wandeln.
Dann passiert das: Vorhin (5.7.22) standen wir völlig orientierungslos am Gleis – direkt aus der U-Bahn hinausgequetscht -, als ein Mann mitbekam, was wir suchten und uns kurzerhand ganz ohne Aufforderung zu unserem Zwischenziel brachte und sich von uns freundlich verabschiedete. Kein Propina (Trinkgeld), kein lästiges Gequassel, einfach freundlich.
Mexikaner und Schuhe
Überhaupt zeigt sich diese Stadt anders, als erwartet: Erstens sehr viel touristischer (keine Ahnung, weshalb ich das nicht kommen sah); zweitens weniger heiß; drittens haben die Städter hier ein hohes Sauberkeitsbedürfnis (was bei dem Schmuddellock nicht ersichtlich war). Hier werden nicht nur die Straßen, Hauswände, Läden regelmäßig geschrubbt, sondern vor allem die Schuhe.
Erst ein neugieriger Blick ins Gesicht, gefolgt vom Blick zu den Schuhen, dann ein abschätziger Blick zurück ins Gesicht. Schuhe sind hier sauber und glänzen. Der Schuh verrät, wer du bist – so informierte uns Gabrielle, eine Reiseführerin. Das erklärt auch, wieso so viele Schuhputzer mit einer akribischen Ernsthaftigkeit dem Schuh zu Leibe rücken. Ein ehrbarer Beruf. Diondras Schuhe waren immer besonders dreckig, staubig und einfach pfui. Ergo hab ich sie auf den Thron gesetzt und den Meister Jonathan aus meiner Tochter wieder einen ansehnlichen Menschen machen lassen. Wie so viele andere Tätigkeiten, die hier auf der Straße stattfinden, so auch das tägliche Schuhputzen.
Und der Vollständigkeit halber: betritt man ein Lokal, ein Geschäft oder ein Museum, so sind immer so kleine Fußnäpfchen dort, die wir als Europäer natürlich nicht kaputt machen wollten und geschickt umschifften. Wer tritt schon freiwillig in ein Fettnäpfchen. Alles falsch, man tritt mit den Füssen in die Wasserpfütze, dann auf den ersten und schließlich auf den zweiten Lappen. Je mehr Schuhreinigungsoptionen, desto wertiger, aber mehr als drei Stellen habe ich noch nicht gesehen.
Schlange stehen – so britisch
Vielleicht auch deswegen stehen die Mexikanys gerne Schlange. Überall und auf besondere Weise. Für den Bus stellen sie sich sauber auf und warten, bis sie dran kommen. Plötzlich geht die Tür zu und der Bus fährt weiter, obwohl die Schlange nicht abgearbeitet ist. Das ärgert hier niemanden, denn schon 2 Minuten später steht ein neuer Bus dort, der auch nur eine für ihn angenehme Anzahl an Fahrgästen auflest.
U-Bahn, noch so ein Ding: Erst wird man sehr lange Wege unterirdisch geschickt, so dass wir schon befürchteten, ausgetunnelt worden zu sein. Dann wird man an schleusenähnlichen Toren eingesammelt wie Fische im Netz. Damit nicht alle Passagiere ziellos am Gleis herumlungern, hat man auch hier zu tun, vermuten wir. Sicherheitskräfte öffnen die riesige Tore und lassen eine bestimmte Anzahl an Personen durch.
Diese werden vor dem nächsten großen Tor abgefangen. Zum Schluss am Gleis angekommen, folgt ein Einweiser, der alle Fahrgäste anhält, vor allen möglichen Zugängen zur Bahn stehen zu bleiben (wir könnten so viele sinnvolle Jobs generieren, für die man wirklich keine Ausbildung braucht). Die Bahn fährt ein. Oh, schon voll. Macht nichts, man wird noch mit hineingeschoben und klebt nun als Sardine zwischen all den freundlichen Mexikanys. Ob da nichts mehr geht? Wir probieren es. Vielleicht ist das für manche die Möglichkeit, Kuscheleinheiten zu bekommen, denke ich im Stillen.
Aber das mit der Schlange ist wirklich so ein Lieblingsding, denn überall begegnet uns das Phänomen. Wir stehen ordentlich Schlange, um unser Gepäck zurück zu bekommen. Gewissenhaft – hier wird alles gewissenhaft gemacht – nimmt der Gepäckmann unser Zettelchen mit der Gepäcknummer entgegen, nachdem er vorher alle hat Schlange stehen lassen und alle Gepäckstücke in Reih und Glied sortiert hat. In Deutschland käme man vielleicht auf die Idee, auf sein Gepäck zu zustürmen, es dem Gepäckmann zu entreißen. Hier nicht. Er sucht es aus den Möglichkeiten aufgrund der Zahl heraus, wenn man an der Reihe ist.
Bei jeder Gelegenheit stehen die Mexikanys vor jedem Museum, vor jeder Toilette gelassen in einer Reihe. Dazwischen werden wir Wartenden unterhalten mit hübschen fliegenden Plastikvögeln; mit zwei Metallkugeln an einer Schnur, die man ganz toll aneinander schlagen kann; mit lärmproduzierenden Mundpfeifen, die klingen, als ob kranke Adler kreischen. Wir freuen uns auf unsere nächste Schlange.
Tourismus und sein Tand
Nicht nur für die Touristen gibt es an jeder Ecke Schund und Tand zu kaufen, sondern auch für die Mexikanerinnen und Mexikaner selbst wird das Zeug überall angeboten. Man könnte denken, sie ersticken in den Glitzertäschen, den Regenbogenfarbenen Äffchen für den Kopf oder dem ganzen Zuckerzeug für jede Gelegenheit. Aber nein, scheinbar gibt es gar nicht genug von all dem.
Für die Touristen regnet es an jeder Ecke zusätzlichen Schnickschnack wie Aztekenmasken, Marienbildchen, Hüte, Edelsteine, Mayaschmuck, Schale und Tücher mit Stickereien, Körbe und irgendwelche lärmmachenden Dinge, die man wirklich nicht braucht. Aber, wenn man nicht will, lassen sie einen direkt in Ruhe und nehmen es sehr selten übel, dass man nichts kaufen will.
Wir sind manchmal willig. Ich zumindest war wirklich beeindruckt von der Obsidianerklärung. Man kann durch dieses Gestein in die Sonne sehen und das ist ein faszinierender Anblick, wo der Stein doch selbst so schwarz ist. Da hab ich mich hinreißen lassen und für Elias und für Martin was gekauft. Kleidung haben wir auch gekauft – aber nicht so ganz touristisch, nichts im Indianerstil (sagt man das noch?). Meist prallt dieser Kaufdrang an uns ab. Essen ja, aber dieser ganze Touri-Kitsch?
Banjos – Sanitäre Anlagen – für Mujertas
5 Pesos oder 10 Pesos muss man dafür schon mal lassen, dass wir Frauen Wasser lassen dürfen. Gut, Männer auch, aber nur Frauen sehe ich so regelmäßig auf die Toilette zusteuern. Zunächst mal bedeutet das, dass man irgendwie immer diese Münzen parat haben muss, also wirklich als Münze, denn die werden in den Apparat eingeworfen, damit man das Drehkreuz passieren kann.
Durch das Kreuz durch muss man sofort nach Papel Ausschau halten, denn die gibt es selten in den Kabinen. Meist hängt ein Spender davor oder eine Frau oder ein Mann reichen dir eine Anzahl von Papier, welches du dann benutzen darfst. Wichtig: Wie in China wird auch hier das Papier nach dem Betupfen (Abtrocknen) der Vulva in einen Papierkorb entsorgt. Auf keinen Fall in die Schüssel werfen.
Apropos Schüssel: Die ist sehr niedrig mit festem Sitz oder auch gar nicht, nur das blanke Porzellan. Darin steht tief das Wasser. Schlanke sind hier im Vorteil, denn dann spritzt das Wasser-Urin-Gemisch am Bauch vorbei. Ich halte inzwischen immer ein Stück meines heiligen Papiers vor die Öffnung, damit ich nicht alles andere nass mache. Vermutlich mach ich das einfach falsch.
Sprache eins – Sprache zwei und immer nur Übersetzen
Die Mexikanys sprechen schnell, stehen den Spanierys in nichts nach und dann ist Englisch nicht immer die sichere Verkehrssprache. Verwuschelt. Englisch sprechen hier nicht alle. Wir radebrechen uns was auf Englisch und Spanisch zusammen. Die Mexikanys sind ja schon dankbar – wie alle anderen auch – wenn man sich bemüht. Da sie ja sehr sehr freundlich sind (siehe oben), helfen sie, wo es geht. Und Google ist auch hier unser Freund, wir übersetzen uns das Nötige zusammen. Manchmal eben auch über die Bande, nämlich über den Umweg Englisch. Mir rauscht dann manchmal so der Kopf, weil ich mir das komische Spanisch ins merkwürdige Englisch übersetze und dann wieder ins Deutsche. Puh. Ich wünschte, ich könnte auch so beeindruckt sein wie David, eine Reisebekanntschaft, der meinte, dass die Deutschys ja in den Schulen drei Sprachen lernen. Er hat mir auch erklärt, dass in Amerika in einigen Schulen sogar sehr gerne Deutsch gelernt wird, weil die Amerikaner in dem kleinen Deutschland tatsächlich ein Land mit Zukunft sehen. Tja, was nützen mir die Sprachen, die ich gelernt habe, wenn ich doch zu wenig flüssig Vokabeln kann.
Außerdem als lustiger Spaß nebenbei hab ich aktuell eher die italienische Vokabel parat. Was hab ich nach „caliente“ gesucht und nur „caldo“ gefunden! Bis mir ein freundlicher Mexikaner auf Englisch erklärte, dass Caldo doch im Spanischen was anderes sei (Cloud meine ich). Das war wirklich witzig. So langsam reaktiviere ich die spanischen Wörter und kann das ein oder andere flüssig bestellen, kann bezahlen ohne Peinlichkeiten, aber mir persönlich fehlt das Gefühl, sprechen zu können. Ich will mich doch ausdrücken und nicht nur fehlerfrei einen Satz sagen. Wie oft ich mitleidig angesehen werde, wenn ich sage „sin carne“ und ich einfach nicht verstanden werde. Ich meine, erst verstehen sie mich nicht, dann verstehen sie mich auch nicht, wenn die Bedeutung endlich klar geworden ist und das mitleidige Gesicht bleibt. Ebenso wie die Frage: Pollo? No Pollo? Als wäre Hühnchen kein Fleisch.
Essen – Ein Fest?
Für wen? Als wir uns in dieses Land aufmachten, da dachte ich, dass ich hier lecker Essen bekäme. Klar. Mais und Bohnen, aber sonst?
Mais ist mein Problem nicht, Bohnenmatsche schon, zugegeben. Aber so richtig problematisch ist, dass hier wirklich alles mit Fleisch ist. Garküchen überall, doch vegetarisch ist wirklich ein Fremdwort. Auf den Touristenfahrten dann für Büffet so viel zu zahlen wie die Fleischer, die drei Mal so viel Auswahl hatten, ist ärgerlich. Nein, hier bemüht man sich nicht, etwas für die Vegetarys zu tun. Wieso auch, die sind einfach nur zu bedauern. Also wenigstens Hühnchen oder Fisch müssten wir doch essen. Gar nicht? Naja, also der Salat und der Nachtisch sind auf jeden Fall vegetarisch, und die Suppe. Reis geht auch noch. Fertig. Hmm, lecker. Einmal gab es tatsächlich zwei Gemüsespieße mit Avocadodipp. Auch nett. Enschaladas werden hier in Soße ertränkt. Selbst, wenn die Pfannkuchen mit Käsefüllung und Pilzen geschmacklich durchgehen, die Soße vernichtet den Eindruck. Es gibt hier zwei typische Soßen: eine mit Schokolade, scharf und irgendwie Erdnuss oder so und die andere „richtig scharfe grüne“ Soße.
Auf der Straße gibt es viele kleine Garküchen, in denen Tacos zubereitet werden. Aber auch sonst bekommt man ganz viel an kleinen Ständen zu kaufen. Obst, Maiskolben, kleine Küchlein, Nüsse in klebriger Substanz, bunter Zucker am Stil. Auf frisch geschnittenes Obst kommt noch einmal eine Ladung roter Zuckerschnee, dann noch eine klebrige süße Fruchtsoße, die die sehr süßen Mangos, Wassermelonestücke und Ananas noch süßer machen.
Und an allem wird Lemone gequetscht. Ich sag ja, richtig süß, richtig sauer oder richtig scharf. Die Mexikanys brauchen es eindeutig.
Auf der zweiten Touristenfahrt erklärte mir dann ein Texaner, dass ich als Deutsche ja wirklich leiden müsste, wo wir so gutes Bier und so gutes Essen haben. Tue ich, tue ich.
Heute waren wir indisch essen. Das war wirklich lecker. Nicht wie in Deutschland – natürlich nicht – aber es war gut. Der Inder war auch gleich ein reines vegetarisches Restaurant. Endlich mal keine mitleidigen Gesichter, weil wir kein Fleisch essen wollen. Was ich wirklich liebe, all die vielen frischen Säfte und das frische Obst – selbst, wenn es nicht überall gleichermaßen lecker ist.
Die Geschichte – dafür müsste man die Sprache können
Hier ist alles so spanisch ausgerichtet, dass man eigentlich nur dann was von einem Besuch hat, wenn man die Sprache flüssig spricht und liest. Das ist ein kleines Problem. In Europa sind wir verwöhnt, wenn wir neben der englischen Übersetzung noch eine in deutsch oder französisch finden. Hier ist man nicht mal auf einen zweite Sprache eingestellt. Verständlich, weil doch Spanisch die am häufigsten gesprochene Sprache ist und alle Tourstys sie verstehen. Wir eben nicht so sehr.
Vor allem die Historie betrifft dies, oder der Besuch von archäologischen Ausgrabungsstätten oder Museen. Ja, das ist eigentlich interessant. Für mich sogar der Hauptgrund für die Wahl dieses Landes. Tatsächlich wäre eine gute Dokumentation darüber aufschlussreicher. Allerdings haben wir auch davon keine gefunden. Das ein oder andere verstehen wir durch die zwei Sprachen hindurch schon.
Die Indios waren brutal und die Christen waren brutal. Die Indios hielten die Christen für verrückt, weil sie die Wahrheit in Büchern suchten – bzw. Gott. Gesiegt haben die Christen, haben die Indios unterworfen und entweder abgeschlachtet oder zu Christen bekehrt. Und Christen sind die Mexikanys gute geworden. In Puebla soll es 365 Kirchen geben, eine pompöser als die andere. Frech auch auf die größte Tempelanlage einfach eine Kirche auf die Spitze zu bauen, statt die gesamte Pyramide aus 7 Etagen abzutragen.
Tiefer eindringen kann ich allerdings nicht. Ja, ich verstehe, dass die Christen – Männer, Soldaten – einsam waren und schon deswegen um die Frauen der Indios kämpfen mussten. Raub der Sabinerinnen … es muss sich zwischen Menschen alles wiederholen, bis zum Exidos. Und daraus lernen wir nicht.
Aber mehr als vorher weiß ich nicht. Mein Mitleid ist gestiegen. Und wenn ich die Mexikanys so ansehe, dann ist daraus auch ein ganz eigener Menschenschlag geworden. Bildsprache, das erkennen wir ziemlich früh, ist in dieser Kultur präsent, wenn die Busstationen bebildert sind, um sie leichter erkennbar zu machen. Nicht nur für die Touristys hilfreich, denn in einem Doppeldeckerbus ist ein auf einer Stange aufgesetztes Bild von Ferne leichter zu erkennen als ein Bushaltestellenname auf Augenhöhe.
Wer weiß, wofür es gut war.