Die Anfänge meines Schreibens
Als ich in der Schule zum ersten Mal mit Kafka zu tun hatte – Klasse 9 glaube ich – , war ich von seiner Sprache und seinen Geschichten begeistert. Endlich ein toller Autor. Am meisten Eindruck hinterließ bei mir die Aussage, dass er seine Geschichten überarbeitete. Frau Nussbaum erklärte damals, dass er das tat, weil er die Geschichten perfektionieren wollte. Dass Kafka nicht nur die Geschichten perfektionieren wollte, sondern auch über das Schreiben schrieb (In der Strafkolonie, Vor dem Gesetz, Der plötzliche Spaziergang), lernte ich erst in der Universität entdecken.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits das befreiende Gefühl beim Schreiben entdeckt und meiner Mutter zu Weihnachten einen 3teiligen ersten Heftroman geschenkt. Ein DINA4-Heft voll geschrieben. Und da mir irgendwo die Ideen ausgegangen waren, hatte ich ein paar Bögen aus der Heftmitte herausgetrennt. Sie war – denke ich – schon stolz darauf, aber wie Stephen Kings Mutter reagierte sie nicht, denn sie hatte ihm seine ersten vier Geschichten je mit einem Viertel Dollar abgekauft (Stephen King: Das Schreiben und das Leben). In einem anderen Punkt waren sie sich jedenfalls sehr ähnlich – unsere Mütter. Auch meine Mutter meinte, dass Lehrer was Solides sei und ich auf jeden Fall erstmal Lehrerin werden sollte. Witzig auch, dass Stephen King mit dem Lehrerberuf und der eigenen Schreiberei ähnliche Erfahrungen machte: Der Lehrerberuf saugt so viel Kreativität und Energie ab, dass für das Schreiben praktisch nichts mehr bleibt. Später dann dazu. Kafka allerdings hat seine Kleine Fabel so oft überarbeitet, bis nur noch die Essenz übrig geblieben ist. Und was für eine Essenz.
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie. (Kafka, Kleine Fabel)
Und darüber hat er in seinem Tagebuch Buch geführt. Warum hatte er es getan? Damals ärgerte mich sehr, dass ich mich beim Abschreiben meiner eigenen Geschichten überhaupt nicht an die Worte hielt, die dort standen, sondern die Geschichte veränderte. Das wollte ich gar nicht. Abgeschrieben habe ich sie, weil ich sie zum Beispiel verschenken wollte.
Mit 16 Jahren kaufte ich mir eine gebrauchte elektrische Maschine für 300 DM. Viel Geld war das. Ich hatte lange in den Ferien dafür gearbeitet. Die konnte schon ein paar Zeilen memorieren und hatte ein zweifarbiges Farbband. An der Schule hatte ich in der 8. oder 9. Klasse eine Schreibmaschinen-AG belegt, weil ich 10-Finger-Schreiben lernen wollte – was ich seit dem beherrsche. Aber mir passierte auf dieser Schreibmaschine dasselbe wie handschriftlich. Die Versionen von „Rockerbraut“ wurden immer unterschiedlicher und länger. Vor allem wurden sie genauer.
Als ich in die Oberstufe kam, erkannte ich, dass meine Geschichten vor allem inhaltlich zu kurz waren. Ich sagte nicht alles. Ich kürzte ab. Satzbau war ein Problem. Sprachliche Feinheiten auch. Das wusste ich zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Ich wollte entdeckt werden, eine berühmte Schriftstellerin. Die Schreibmaschine diente als Beleg. Unumstößlich. Zumindest meinte ich es so ernst, dass ich nicht weiter den Gedanken an Journalistin vertun wollte, als ich las, dass ein guter Journalist kein guter Autor wird. Ich verstand das zwar nicht aber glaubte dem Autoren. Heute verstehe ich diese Aussage auch nur mäßig.
Bis zur 11. Klasse war mein Lieblingsaufenthaltsort die Stadtbücherei Scharnhorst. Von der Schule aus gab es einen direkten Zugang. Ich kannte jede Ebene und fast alle Bücher aus dem SF- und Phantasybereich; auch Shakespeare fand ich blind. Jede Buchhandlung und jede Bibliothek sind noch heute starke Magnete für meine Aufmerksamkeit. So starke, dass sich das auf meine Kinder übertragen hatte. Meine 24-jährige Erstgeborene hatte mir in der Universitätsbuchhandlung Schaten damals ein überdimensionales Bauernhof-Wimmelbilderbuch vor die Füße geworfen und gesagt: „Auch Buch.“ Ich war überzeugt von diesem kleinen Wesen (konnte ich mir eigentlich nicht leisten) und kauft ihr das erste Buch, welches sie fast verschluckte, wenn es aufgeklappt war. In Buchhandlungen habe ich in der Zeit davon geträumt, dass auch mein Buch eines Tages dort liegen würde.
Obwohl ich so ein eindeutiges Ziel hatte „Das Schreiben“, habe ich keine Ahnung gehabt, wie ich es angehen sollte. Also machte ich eine Lehre, die ich abbrach, besuchte die Höhere Handelsschule, die ich abbrach und ging dann zur Uni. Ich schrieb mich für Geschichte, Politikwissenschaften und Linguistik ein, weil ich das für mein Schreiben brauchen könnte, dachte ich. Über Umwege studierte ich dann Germanistik und Philosophie auf Lehramt, denn das war was Solides. Heute denke ich, ich habe das Falsche studiert. Nun, da wir auf einem langen Weg sind, ist das sicher ein falscher Gedanke, denn letztlich gibt es keine eindeutig falschen Entscheidungen. Sagen wir, ich würde heute sicher anders entscheiden. Filmwissenschaften wäre es eher. Ich dachte, dass ich zu wenig Filme kannte, um sowas studieren zu können. Heute weiß ich es besser. Nach meiner Zeit in der Schule würde ich das Verpasste auch dringend noch einmal nachholen wollen.
In Deutschland kann man nicht Romanautor oder Drehbuchautor werden. In Deutschland wird man von der Muse geküsst. In Deutschland hat man Talent. Der Sportler, der sich hinstellt und mit seinem Talent über eine hohe Mauer hüpft, ohne das zu trainieren, der mag mir vorgestellt werden. Stephen King erklärt die Muse zu einem wankelmütigen im Keller lebenden Mann, der raucht und nur dann und wann mal vorbeischaut. Ich halte sie für ne üble Zicke und finde, dass sie in der Grimm-Serie (Staffel 02, Episode 20) sehr gut dargestellt wurde.
An der Uni schrieb ich nebenher ganz viel, fing einen Roman an, dessen Idee ich noch heute reizvoll finde, den ich aber nicht beenden kann. Es blieb bei dem unfertigen Arbeitstitel „Nietzschefrau“. Ich schrieb ein Hörspiel und ein Chaotologie-Buch, dass ebenfalls nicht fertig wurde – aber ich habe alles aufbewahrt. Papier wie Fotos, Erinnerung an eine Zeit, als ich ungelenk und schräg formulierte. Und wer weiß, vielleicht geh ich doch irgendwann mal dran.
Dann kam meine erste Tochter und ich beendete mein Studium, schrieb nicht mehr so viel. Mit meinem Sohn noch weniger, weil ich das Referendariat begonnen hatte. Mit dem dritten Kind bäumte sich mein inneres Kind und der Wunsch zu schreiben noch einmal auf: Ich meldete mich zur Online-Fernlehrschreibschule an. Aus der Retroperspektive kann ich sagen, dass ich in Aleksandras Seminar und durch eigene Recherche mehr gelernt habe als durch dieses Studium. Gut, das ist die halbe Wahrheit, weil ich natürlich gesammelte Infos rund um Kinder- und Jugendliteratur erhielt – meinem Schwerpunkt. Gedacht hatte ich, dass ich spätestens jetzt entdeckt werden müsste. Ich hatte meine Begegnung mit Elke Bockamp – und das hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Beflügelt durch Elke und Charlotte Brinkmann, die auch an ihren Romanen arbeiteten, setzte meine Arbeit von „Zeitmedaillon“ an. Elke hat im vergangen Jahr ihren Ebay-Roman veröffentlicht, den ich als Kritikerin verreißen würde. Auch Charlotte hat ihren Roman über die Yak-Knochenmala veröffentlicht – in ihrem eigenen Verlag. Ich wurde nicht fertig. Unzufrieden mit dem Aufbau würde ich heute einiges anders machen. Vielleicht geh ich da noch einmal dran, denn auch das Ding hatte Potenzial. Eine Story für eine Serie – vielleicht. Vielleicht.
Der Hauptgrund für mein Unterbrechen war mein Referendariat, welches ich unbedingt fortsetzen wollte, damit ich einen sicheren Job hatte.. Mein Ex-Mann war nicht der Ansicht, dass mein Schreiben Erfolg versprach und ich darin unterstützt werden müsste. Ich glaubte auch nicht mehr daran, obwohl ich eine Kurzgeschichte veröffentlichte und in einem Wettbewerb ein Buch gewonnen hatte. Getröstet habe ich mich damit, dass es eine Zeit nach den Kindern geben würde. Schließlich hat auch Astrid Lindgreen erst mit 50 angefangen. Das wurde dann mein Banner, an dem ich dann und wann auch mal Trost suchte und mir die Nase putzte. Irgendwann zwischen 40 und 45 Jahren habe ich die Idee als Jugendspinnerei abgetan.
Bis heute habe ich vier oder fünf Geschichten veröffentlicht, der Sprachstil passt mir längst nicht mehr. Elke meinte, ich könnte Veröffentlichenswertes schreiben und hatte dafür gesorgt, dass einige meiner Erotikgeschichten in ihrem Sammelband erschienen. Ein Freund meint, meine Ideen seinen gut. Was ich kann: weiter als bis zur Haustüre denken, meine Phantasie auf Reise schicken und nicht ängstlich den Atem anhalten, wenn es über alltägliche Dinge hinausgeht, was meinen Figuren widerfährt. Sicher eine Stärke. Aber viel wichtiger: Schreiben macht mich glücklich.
Mein Schreiben reduzierte sich immer mehr: Schreiben für eine Schülerzeitung, Dialoge für Theaterstücke, Theaterstücke umschreiben, etc. Ich tobte mich zwar aus, doch blieb das Gefühl von „zu wenig“ übrig. Mehr Kraft hatte ich nicht. Das Theaterstück „Genkorrektur“ aus dem Jahr 2009 gefiel mir von der Story besonders und ich habe es mit drei unterschiedlichen Schülergruppen zu inszenieren versucht. Drei mal gescheitert dachte ich, dass der Stoff vielleicht zu komplex sei – nicht geeignet für die Bühne. Vielleicht ist es als Drehbuch besser. Dieser Stoff hat sich ein bisschen festgebissen.
… Der Stoff von Genkorrektur verführte mich zur Vorgeschichte – 800 Seiten lang liegt der erste Teil vor. Und ich bin noch immer 50 Jahre von dem Stoff entfernt. Aleksandra Kumorek hat erklärt, dass der Stoff sich wunderbar für eine Netflix-Serie mit fünf Staffeln eignen würde. Drehbücher schreiben – dafür braucht man Zeit. Dafür brauche ich vor allem praktisches Know-How. Was es doch alles zu lernen gibt! Und es hört nicht auf, spannend zu sein.