Am 15. Juni 2022 versammelte sich die Q1 der Gesamtschule Gartenstadt im Blue Notez Keller nicht, um der Hitze der Sonne zu entfliehen, sondern um durch die Darbietung der Slammys in Wallung zu kommen. Vier junge Männer und eine junge Frau aus der Q1-Stufe traten auf der Bühne gegeneinander an, ihr fachliches Wissen zu messen und ihren Unterhaltungswert durch den Applausometer zu testen. So weit, so gut. Die Themen waren vorbereitet – mehr oder weniger intensiv, die Texte waren gelernt – auch das in ganz unterschiedlicher Manier. Selbst das Pareto-Prinzip legen Jugendliche noch sehr großzügig aus.
Das Paretoprinzip, benannt nach Vilfredo Pareto (1848–1923), auch Pareto-Effekt oder 80-zu-20-Regel genannt, besagt, dass 80 % der Ergebnisse mit 20 % des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse erfordern mit 80 % des Gesamtaufwandes die quantitativ meiste Arbeit.
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Jugendliche, die auf die Bühne gehen und ihr Gesicht präsentieren, bemühen sich um einen Erfolg. Doch an einer Gesamtschule bedeutet der Erfolg, Mut für eine halbe Aufgabe erbracht zu haben. Nicht sechzig Prozent Einsatz für die erfolgreiche Darbietung wird erbracht, sondern ausschließlich zwanzig für ein grobes Zusammenbauen einzelner Aspekte. Wie ja auch schon die Kritik am Paretoprinzip vermuten lässt.
Heutzutage wird das Paretoprinzip häufig für Projekt- und Zeitmanagement zur Hilfe gezogen, um wichtige Arbeitspakete zu erkennen und schnelle Fortschritte bei relativ guten Ergebnissen zu erzielen (um hundertprozentige Ergebnisse zu erzielen, benötigt man 100 % der Bemühungen). Es hilft zudem, Arbeiten zu identifizieren, die aufgrund fehlender Effizienz aufgeschoben oder weggelassen werden können. Kritiker bemängeln an der Übertragung auf das Projektmanagement, dass das Prinzip dazu verführe, Aufgaben nicht mehr komplett abzuschließen, dass es aber gleichzeitig Aufgaben oder Projekte gebe, für die eine 80-%-Erledigung nicht ausreichend sei. Werden im Projektmanagement lineare Modelle wie das Wasserfallmodell verwendet, sind „Pareto-Ketten“ über mehrere Projektphasen ein Risiko. Die „unnötigen 20 %“ potenzieren sich bei solchen Ketten zu einem erhöhten Aufwand in den letzten Projektphasen, möglicherweise ergibt sich auch ein unbrauchbares Endergebnis.
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Einer der Schüler ging auf die Bühne mit nichts als Geschwafel im Gepäck. Er ließ nicht erkennen, dass er die Veranstaltung damit persiflieren wollte, sondern im Gegenteil, dass er tatsächlich glaubte, seine Arbeit sei wertvoll. Vermutlich dachte er noch, dass die anderen viel zu viel Bohei aus dem Auftritt gemacht haben, wenn auch noch eine ordentliche Power-Point-Präsentation erstellt wurde. Ja, da bleibt auch nicht mehr, als den Mut zu bewundern, oder man wundert sich über die Borniertheit. Ist das aber ein Einzelfall? Sicherlich waren wir an dem Tag Zeuge von der gesamten Bandbreite an Einsatzbereitschaft, denn vor allem einer meiner Schüler hat sich wirklich sehr bemüht, den Text flüssig auswendig zu erlernen, Wirkung beim Publikum zu erzielen, die Zeit einzuhalten und eine Leitfrage mit einer eindeutigen Antwort herauszuarbeiten. Ich bedaure, dass er letztlich nicht gesiegt hatte, wenngleich auch sehr knapp gegen seine Darbietung zum Ottomotor entschieden worden war.
Das jedoch ist gar nicht das Ende der Kette. Auf der anderen Seite steht, dass es der Jury unglaublich gut gefallen hat – die zumindest aus einer sehr gestandenen Kollegin bestand. Auch alle anderen Lehrkräfte waren angetan von diesem unendlichen Mut. Mein Hinweis, dass der „Science“-Aspekt doch sehr waghalsig gedeutet wurde, wurde weggewischt, denn das käme dann eben noch später. Ja, kommt das denn später noch? Oder befinden wir uns nicht schon längst in der Wirklichkeit des SiFi „Idiokratie“? Oder ist das nicht etwas, was schon unsere Altvorderen behauptet haben und ich selbst bin jetzt einer diese Altvorderen, die glauben, die Welt gehe mehr vor die Hunde als damals und eigentlich ist alles gut?
Ganz sicher ist allerdings, dass ich inzwischen nicht mehr richtig platziert bin an der Schule unter Jugendlichen, wenn mir die Sprache von Referendar:innen bereits zu „jugendlich“ erscheint. Mega. *schüttel
Was mir auf jeden Fall für eine gute Darbietung auf inhaltlichem Niveau gefehlt hat: Zeit. Ich hätte gern noch ein bis zwei Wochen mit diesen Jugendlichen gearbeitet und aus deren Wissenssteinbruch einen runden Vortrag entwickelt. Die Zeit war zu knapp von der ersten Hörprobe am Dienstag zu einer super Aufführung am Mittwoch zu kommen und das bei einem Einsatz von maximal zwei Zeitstunden.
Vielleicht sind an der Gegart neue Bühnenshowtalente geschmiedet worden, weil sie tatsächlich etwas mitnehmen, wie eine Kollegin am Schluss meinte, denn den Mut, die Welt zu erobern, haben diese Kids. Vielleicht finden sie auch noch den Rest auf ihrem Weg. An der Gegart waren sie jedoch die ersten, die mutig ein neues witziges, spannendes Terrain eröffneten. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Zeit, um etwas mehr als 20 Prozent zu erarbeiten.