Ende der patriarchalen Strukturen? – Wenn sich Liebe vom Rest trennen ließe

Das Glück ist perfekt, der Himmel voller Geigen. Das Gegenüber eine spannende, vielseitige, interessante Person mit einem unentdeckten Universum. Alles ist schön, alles ist gut. So soll es bleiben. Nach einiger Zeit kennt man den anderen, jede Geste ist durchstudiert, die Stimme verrät schon die Stimmung, während dies für andere Ohren unhörbar scheint. Es fühlt sich irgendwie richtig an, trotz Unstimmigkeiten.

Es folgt der Beschluss, zusammenzuziehen. Die Kollision zweier Universen: zwei Kulturen, zwei verschiedene Ritualsysteme, zwei moralische Konzepte, zwei verschiedene System, Probleme zu bearbeiten. Als Experiment sicher spannend: zwei Arten, mit Geld umzugehen, zwei Versionen, Kinder zu erziehen, zwei Formen, mit Freizeit, Sauberkeit, Ressourcen, Raum, etc. umzugehen. Die Scheidungsrate berichtet, wie oft dieses Experiment der Fusion missglückt. Eigentlich ist alles gut, solange es keine Kinder gibt. Ja, aber die sind geradezu der Motor des Karussells des Unglück. Ohne Kinder kann man das noch händeln, dann jedoch kommen Kinder und werden zur Zerreißprobe der Liebe selbst, während sie doch nichts weiter als Liebe bräuchten.

Können wir uns kein anderes Konzept denken?

Es gibt natürlich Modelle, gelebte Modelle, doch die machen uns Angst. Die fühlen sich falsch an. Sie lassen sich denken, wenn man jenseits der Kinderbekommenszeit steht, aber es muss richtig sein, dass Mama und Papa die Kinder aufziehen, allein und wie sie es für richtig halten. Das muss stimmen. Unser morphologisches Gesetz.

Nur: Das Unglück scheint ein individuelles ist aber doch ein gesellschaftliches Problem: Siehe Schule, siehe Jugendhilfe, siehe Selbstmordrate und Jugendlichen, siehe Scheidungsrate … Wenn es uns so gut mit diesem aus meiner Sicht patriarchalen Konzept ginge, dann dürfte das nicht schlimmer und schlimmer werden, seit die Frau aufgestanden ist, eine gleichwertige Person neben dem Mann zu sein!

#Selbstbestimmtheit; # Selbstverwirklichung; # Gleichberechtigung; # Feminismus

Was ist das Modell, dass vielleicht Heilung verspricht?

Tatsächlich kennen wir es als matriarchales System. Aber leitet das die Frau? Nein, sie ist nur der Fokus, weil sie diejenige ist, die die Kinder bekommt, weil sie die Hauptpflege mit den Kindern hat. Es ist eine egalitäre Gesellschaft. Die Verschiedenheit oder Komplementarität von Geschlecht und Alter wird ohne Hierarchie hat gemeinsame Geltungskraft. Es geht also nicht darum, dass Frauen diesmal die Männer beherrschen. Wirklich interessant erklärt das die Autorin Heide Göttner Abendroth in einem Vortrag über Matriarchate.

Das Matriarchat zeigt uns eine ausgeglichene, gleichberechtigte und friedliche Gesellschaft, ohne Krieg und das Gesetz der Herrschaft. Ich bin überzeugt, dass das Matriarchat für eine humane Welt gebraucht wird.

Frauennetzwerk für Frieden – Heide Göttner-Abendroth (frauennetzwerk-fuer-frieden.de)

Nun, sicher ist, dass es nicht die Lösung gibt, die uns alle rettet, die das Paradies auf Erden schafft, denn wir sind Menschen und Menschen sind Tiere. Ich will auch keine Lanze für Matriarchale Systeme brechen und das als neue Heilslösung propagieren. Mir geht es nicht um eine vollständige Umstrukturierung der Gesellschaft, sondern um die Frage, ob wir nicht auch eine andere, friedlichere Form des Zusammenlebens denken können, als die Version „Mama+Papa+Kind(er)“. Das Konzept dazu möchte ich euch hier vorstellen: Großfamilien als organisierte Einheit mit genug Raum für alle, Verbleib in der eigenen Familie (der Ursprungsfamilie), statt zu wandern und was Neues zu mischen. Vor der Sesshaftigkeit könnte eine Zeit des Ausprobierens stehen, eine Zeit der Wanderschaft, des Weltenbummelns. Wenn man jedoch plant, Kinder zu bekommen, dann sollte man in seinen KLAN zurückkehren und dort im Team oder vernetzt leben können, um Kindern Halt zu geben. Diese Ursprungsfamilie stabilisiert das Miteinander für die Kinder, weil eben nicht verschiedene Kulturen, Moralvorstellungen und Lebensweisen kollidieren. Das Familienleben ist nicht anfällig und davon abhängig, ob die Eltern streiten, ob sie sich lieb haben, ob sie ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, ob sie die Karriere an erste Stelle stellen, ob sie infantil sind oder die Kinder nur einen Status symbolisieren oder ob sie die Kinder bekommen haben, um von anderen Probleme abzulenken. All das wird es vermutlich trotzdem geben (denken wir nur, wie explosiv Beziehungen zwischen Mann und Frau sind), aber sie werden nicht mehr die Welt der Kinder aus den Angeln heben. Wenn ein lieber Menschen stirbt, ist das immer noch schlimm, aber das Netz ist da, welches die Kinder hält. Stirbt Vater oder Mutter, endet die Ehe wegen Alkohol, Beruf oder ähnliches, dann ist die Welt des Kinds in Gefahr, dann erlebt das Kind ein Trauma. Das zieht sich durch das Erwachsenwerden und bis zu den eigenen Kindern, bei denen sich die Dramen der Kindheit gern wiederholen.

Die Onkel (also die Brüder der leiblichen Mutter) übernehmen die Vaterrolle oder anders gesagt, sie übernehmen in der Erziehung den männlichen Part. Ganz wichtig, denn das nicht der leibliche Vater der sein muss, der diesen Part im Leben der Kinder verwirklicht, ist nicht ungewöhnlich. Also auch meine Kinder haben andere Männer als nur ihren leiblichen Vater in der Verantwortung erlebt. Daran kann erstmal nichts falsch sein. Es ist nicht so, dass der Vater in einem Matriarchat zu seinen Kindern keine Beziehung haben darf, aber er hat seinen Klan, in dem er lebt, mit den Kindern, die er als Onkel/Vater betreut. Und wenn er mit einer Frau zusammen ist, kann er auch mit ihr Leben, bei ihr sein, wird aber in ihrem Klan immer Gast sein. Das kann auch lebenslang funktionieren. Das entscheidende Kriterium ist hier nicht die Beziehung zwischen Mann und Frau, die das Familiendasein trägt, sondern die Familie in mehreren Generation, die einheitlich bleibt.

Ja, das macht Angst. Die Vorstellung, man ist aus seinem Gott-Status gehoben oder man hat keinen Einfluss, wie das eigene Blut erzogen wird oder dass man die Frau weiter mit Treueschwüre knebelt, weil man selbst so eifersüchtig ist oder was auch immer. Was wir aktuell haben, ist jedoch seit Generationen unschön. Die kulturellen Mischungen sind explosive Ladungen – gerade wenn toxische Männlichkeit gefärbt durch eine Religion unsere „Errungenschaften“ von Gleichberechtigungen und unsere Versuche von Selbstermächtigung unterwandern, weil es auf dem Bett der Liebe Einzug in das Leben der Frauen hat, die sich offensichtlich noch nicht lange genug gegen dieses Gift wehren können.

Was aber, wenn die Ursprungsfamilie nicht der Boden ist, auf dem man gedeihen kann?

Dann kann man immer noch so gehen, wie in dieser Welt auch. Was soll daran anders sein? Auch, wenn ich als einsamer Wolf leben will, denke ich, dass man das in einer matriarchalen Struktur durchaus kann.

Wenn man einen neuen Weg beschreiten will, dann sollte es nie diktatorisch sein. Vorbehaltlos sich anschauen, wie erfolgreich die Mutigen sind und dann sehen, ob das Konzept als eigene Idee denkbar ist, mehr kann man doch nicht wollen? Ich würde mir wünschen, wenn meine eigenen Kinder das hinbekommen würden – für sie selbst. Mein Denken ist zu spät, um es anders gemacht zu haben. Rückblickend würde ich das gern, aber so kann ich nur noch theoretisieren und eine neue Idee in den Wind schreiben.

Vielleicht …

„Du bist mir schon eine Marke!“ – Als Autory, oder was?

Vor dem ersten Schritt nachdenken über das, was man sein will? Bevor ich meine erste Lesung halte, mache ich mir Gedanken, wie ich die Lesungen halten will? Bevor ich meinen Roman veröffentliche, mache ich mir Gedanken, was für eine Autorin ich sein will? Und hier komme ich an die Gendergrenze – ehrlich, ich will doch nicht nur mit den Autorinnen als Autorin verglichen werden, wenn ich einen Satz wie diesen schreibe. „Was will ich für ein Autor sein?“ schließt ein, dass ich mit männlichen Autoren verglichen werde statt mit Frauen, gendere ich den Satz, dann sinkt der Vergleichsparameter um die Anzahl der männlichen Vergleichmöglichkeiten. Aber ich bin eine Frau. Diese neue Genderei führt dazu, dass ich mein Frausein in den Fokus rücke, nein in den Fokus ramme. Aber was hat nun mein Geschlecht mit meiner Schreibe zu tun?

Also von Vorne: Was für ein Autory will ich sein?! Klingt komisch, weil ich doch eindeutig weiblich bin. Puh … was ist die Sprache komplex. Versuche ich es ohne Etikette nach Rosenberg, dann fragt sich, was ist das Autorseiende an der Autorenschaft. Es geht doch um die Aspekte von dem, was einen Schreiberling ausmacht! Was aber ist das denn?

Was ist diese Autorenmarke? Und – weiter gefragt – was wäre meine Autorymarke? Das Unverwechselbare? Eine Marketingstrategie? Die Zeiten für diesen Blog in der alten Fassung sind gezählt, wenn meine Marke steht? Steht …
Oha, eine Leiche.

Meine schriftstellerische Besonderheit ist sicherlich die, dass ich gerne viele Figuren bespiele und gerne ungewöhnliche Handlungen meiner Figuren anstrebe. Inhaltlich neige ich dazu, in dem Gewöhnlichen das Tiefsinnige zu suchen – ich kann eben Smalltalk nicht. Gilt auch privat. Und ich hab vielleicht was zu sagen? Vielleicht. Ich mag flach nicht. Und doch, viele Autorys sind gerade deswegen auch sehr erfolgreich, weil flach. Oh du mein Kafka, solch eine bizarre Tiefe. Mag ich diese Tiefe je erklimmen? Was aber ist das unverwechselbare von Proust, von Kafka, von Musil? Ich spüre, dass ich nicht in diese Reihe gehöre, zumindest werde ich das am Ende nie entscheiden können und auch müssen.

Genügte es damals zu schreiben, heute muss man sich zeigen. Zeigen wie diese Autorinnen im Gespräch: FBM18 // Gesprächsrunde: Aufbau einer Autorenmarke. Rasierklinge war Rainald Goetz 1983 und da noch etwas, das Schlagzeilen machen konnte. Heute muss ich das Übermorgen mitdenken, zumindest, wenn ich gehört werden will. Ist mir das egal, bedeutet: dann ist es auch egal, wie ich etwas sage. Und da ist sie wieder, diese eine Frage, die mich seit Jahren umtreibt:

Habe ich etwas zu sagen, dass gehört werden muss/sollte?

Sind meine Worte mehr als das, was meine Kochkunst vermag? Oder gerade so viel? Ein leckeres Essen? Ein amüsanter Abend? Würde es nicht genügen, wenn es mein Vergnügen mehrt – worin ich äußerst erfolgreich bin? Muss ich mich denn um ein großes Ohr bemühen?

Gestern hatte ich Besuch, den ich mit einem komplett selbstgemachten italienischen Menü beglückte: zweierlei Nudeln (Spinat-Ricotta-Ravioli und Basilikum-Tagliatelle) sowie zweierlei Soßen (Linsenbolognese und Spargel-Sahne-Soße) sowie Fladenbrot mit Kräuterbutter vorab und einem Amarenakirsch-Parfait als Dessert. Fünf Stunden Arbeit, eine Stunde Essvergnügen und Huldigung des Essvergnügens durch angenehme Gespräche, verplätscherte Zeit.

Das Verhältnis von Roman Schreiben zu Roman Lesen ist ähnlich. Nur die Ernte für die Mühe fahre ich doch selten ein. Ehrlich gesagt, hätte mir der Prozess der Menüentwicklung keinen Spaß bereitet, wieso hätte ich das machen sollen? Beides ist bereits ein großes Vergnügen. Doch koche ich keine fünf Stunden für mich allein, wenn ich nicht Menschen habe, die das wertschätzen und sich wohlfühlen, eben weil ich ihnen so ein leckeres Diner bereitet habe. Wieso sollte ich den Roman schreiben, wenn ihn außer mir keiner liest?

Meine Autorenmarke? Ich bin die, die Vergnügen bereitet und den Finger in die Wunde legt, die unangenehme Frage stellt und gut zuhören kann, der man sich öffnet wider Willen. Ich bin die, die zweifelt, sich ehrlich in den Spiegel anschaut und der es schaudert, ob des Menschseins – so ungeheuerlich in jeder Hinsicht. Ich bin die, die keine Diplomatie kann, weil ich sie für eine Lüge halte. Ich bin die, die echte Toleranz durch Verstehen erreichen will. Ich bin die, die trotzdem lästert und trotzdem Vorurteile hat. Nur weiß ich, dass ich Vorurteile habe. Und ich mache mich über uns Menschen lustig, weil wir so lustige Vorstellungen von der Welt haben, ganz so, als sei sie für uns gemacht, nicht, als würden wir nur ein Teil davon sein.
Tja, und wie forme ich daraus eine Marke? Einen gebrochenen Spiegel hab ich ja schon als Künstlynamen, sogar ein Hörspiel hab ich dazu gemacht … vor Jahrhunderten scheint es mir. Vielleicht wäre das dann zumindest das Symbol. Eine Unheilige.

Und wie genau stelle ich das dar?

Fundstück der Woche – auf der Suche nach einem Verlag

Besonders schön der Satz: „Den Duden gibt es auch als Buch.“ Hier hätte ich mir ein „jetzt“ dazwischen gewünscht. Ich bin sicher, meine Schüler und Schülerinnen aus der jüngsten Zeit schicken ihre Texte dorthin – alle. Ich könnte niederknien vor diesen Sätzen. [Ähm, ich mach das mit dem Gendern übrigens jetzt mal etwas einfacher und damit lesbarer. Für Infos bitte diese 10 Min opfern: (13) Genderneutrale Sprache? So einfach geht’s (Thomas Kronschläger – Science Slam) – YouTube]

Denke ich doch gerade an meine zwei 10er Schülys (beiderlei Geschlechts), die ein Gutachten für ein Stipendium von mir wollen, weil sie so herausragende Noten haben. Das Wort „herausragend“ ist hier auffällig, liebe Freundys. Ein Notenschnitt von 1,5 (also einsen und zweien) sei herausragend zu nennen? An einer Gesamtschule? An dieser Gesamtschule wohl gemerkt. Puh. Ich fragte die zwei, ob sie noch irgendwas außer dem Notenschnitt vorweisen können, irgendeinen sozialen Einsatz, irgendwas Tolles, irgendein Projekt. Nö. Ich musste mich bemühen, ernst zu bleiben. Ich habe ihnen erklärt, dass sie mir das mal vorformulieren sollen. Dabei flatterte Folgendes in mein Schulmailfach:

„Ich denke das ich eine führende Rolle in Gruppen arbeiten übernehmen und oft erwachsen und Verantwortungsvoll Handel in der Schule. Sonst keine Ahnung was sie reinschreiben können….“

(Mail an mich – genau so)

Wow. Herausragende Leistungen und einen Satz fehlerfrei Formulieren scheitert. Diskutieren wir an dieser Stelle nicht das Verhalten des Schreibys. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass die Selbsteinschätzung nicht annähernd an die Wirklichkeit heranreicht, diese Heiligen.

Meine Tochter hatte ein Vorstellungsgespräch und Praktikumsplatz nur deswegen bekommen, weil der Professor den genialen Menschen kennenlernen wollte, der heutzutage noch eine fehlerfreie Bewerbung schreiben konnte. Das war vor acht Jahren! Und was mein Partner an Bewerbungstexten zugesendet bekommt, daraus könnte man eine Bühnenshow machen. Ich befürchte aber, bald gibt es niemanden mehr, der diese Sprachwitze verstehen würde, denn es setzt sich immer mehr durch, dass für Bewerbungen genauso wenig gute Noten nötig sind wie eine fehlerfrei Ansprache.

Sucht man jemandy für eine Ausbildungsstelle, der/die vielleicht doch noch ein bisschen was kann, muss man inzwischen im Verhalten, im korrekten Sprachgebrauch und in Grundwissen nachschulen, damit es für die Ausbildung reicht. Liegt das an den unfähigen Lehrys? Liegt es an den bösen Medien? Liegt es an diesem Schulsystem?

Woran liegt es? Die Lehrys – meine Kollegys – sind sicher alles, aber nicht schuld. Mitbeteiligt bestimmt, aber weder die Ursache, noch der Motor. Sicher, sicher: Mangel an Konsequenzen, Angst vor Widerrufen, Desinteresse an endlosen Diskussionen. Bestimmt trifft auch zu, was eine Kollegin neulich zu mir sagte, dass vom Schnitt der Klasse die Cleveren von den weniger Beschenkten auch trotz mangelnden Einsatz und mangelnder Leistungsbereitschaft profitieren und so zur Möglichkeit eines Abiturs getragen werden, wenngleich es an Fähigkeiten dazu mangelt. Dadurch verwässert das gesamte Leistungsbild erheblich. Andererseits wird das Lehry durch die Form des Unterrichtsalltags mürbe wie Teig.

Beschreibe ich also mal eine sehr typische Situation aus meinem Alltag, die pars pro toto die allgemeine Situation an Schulen erklären mag. Vorab: Meine Schülys sind natürlich nicht respektlos und natürlich beleidigen sie mich als Lehrkraft nie, Tonfall ist höflich und zurückhaltend; sie sind Schafe, die zu Unrecht für Wölfe oder irgend sowas gehalten werden. Engel allesamt. Zumindest denken sie es von sich – und zwar mit Überzeugung.

Praktische Philosophie, Stufe 10, Freitag 4. und 5. Stunde in Dortmund: Ich greife mir eine leere durchsichtige Kiste und lasse alle Handys ausschalten und dort hineinlegen. Protest. „Warum?“, „Was soll das jetzt?“, „Das dürfen Sie nicht!“, „Das ist mein Handy!“, „Schreiben wir einen Test?“, „Was hab ich gemacht?“, „Sind Sie dumm, oder was?“, „Dazu haben Sie kein Recht!“ (Erstmal: JA, das des Hausrechts, alle Schülys müssen die Hausordnung lesen und unterschreiben. Darunter auch der Passus, dass die Lehrkraft das Recht hat, die Handys einzusammeln, wenn sie es für erforderlich hält.) Es dauerte 10 Minuten, die Handys am Anfang der Doppelstunde von allen einzusammeln. Von allen. Meines lag auch drin. Danach erklärte ich, dass wir mal ohne diese Dinger in der Tasche schauen können, ob wir uns besser konzentrieren. Danach erklärte ich, dass ich eigentlich nicht erklären muss, wieso ich sie einsammle und danach erklärte ich, dass dieser Protest und die Angriffe gegen mich als Aggressorin (in ihren Augen) nur zeigt, wie abhängig wir alle von diesen Dingern sind. Wieso erklärte ich das denn bloß erst danach? Ganz einfach, vorher war der allgemeine Lärmpegel so hoch, dass ich mich kaum mit meiner Stimme hätte durchsetzen können (und wollen – ich habe schließlich nur die eine). Als ich ihnen das sagte, meinten sie, sie hätten sich völlig normal verhalten und sie haben ja auch das Recht, was zu sagen, sich zu wehren. Der Unterschied von WAS und WIE ist ihnen nicht klar. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sie nach der Schulzeit, also nach 13 Jahren , für ihr respektive unser Durchhaltevermögen ein Abitur erhalten.

Aber was zeigt das? Wir Lehrys kämpfen an einer Front, an der es um Basiseinheiten des Verhaltens und des Miteinanders geht. Dass für den Rest oft zu wenig Zeit bleibt, wenn man auch noch irgendwie bemüht ist, Inhalte zu vermitteln, ist selbsterklärend. Ich befasse mich seit 6 Unterrichtsstunden in der Stufe 8 im Deutschunterricht mit sechs Stilmitteln. Sechs! Unterrichtsziel: sie sollen diese sechs Stilmittel in einem Text finden, erklären und ihre Wirkung bestimmen können. Eigentlich mache ich nur mit fünf Schülys Unterricht, die anderen malen die Buchstaben an. Oh, es geht um Basiselemente: Personifikation (nicht ganz leicht), Metapher (wirklich schwer), Vergleich (geht), Ironie (hohe Schule), rhetorische Frage (sehr schwierig) und Klimax (jaja, das ist wirklich nicht so einfach). Fünf Schülys höchstens versuchen zu verstehen, der Rest interessiert sich für die Inhalte meist sowieso nicht. Keine Frage, das müssen auch Gymnasiastys erst mal verdauen, doch dafür verschwende ich nicht so viele Stunden und ich muss mich nicht zwischendurch aufhalten mit: „Hol mal endlich dein Heft raus und schreib das ab!“ oder „Lass XY in Ruhe, du sollst das abschreiben!“, „Wirklich alles!“ auch nicht mit „Einfach, weil ich es sage! DU musst das in der Klassenarbeit können!“ oder „In jedem Text kommen Stilmittel vor, du solltest die wichtigsten erkennen und auch interpretieren können.“

Ich höre schon, du denkst, vielleicht sollte der Unterricht kreativer sein? Wer mag so trockenen Unterricht? Der Stoff ist langweilig und niemand interessiert das? Ja, sehe ich genauso. Ich habe im gleichen Kurs ein Langzeitprojekt zur Produktion eines Krimis am Laufen, sie sollen einen Krimi verfassen oder als Fotostory entwickeln. Sie haben unterschiedlich spannende Plots entwickelt und nun geht es in die Schreibphase. Die Stilmittel dienen (abgesehen von der nächsten Klassenarbeit) dazu, diese als Spannungssteigerung einzusetzen – gezielt.

Stilmittel erwähnt der Verlag pmaschinery nicht. Dafür das aber:

Anforderungen an Manuskripte – p.machinery – (pmachinery.de)

Süß wirklich, ich sehe im Geiste meine Schülys dort ihre kreativen und innovativen Texte hinschicken. Im PC-Raum, wenn sie mal einen Text abtippen sollen und eine möglichst große Schrift nutzen, verschnörkelt und unlesbar, damit es nach „mehr“ und nach „schön“ aussieht und wenn sie diese Formatierungen nicht rückgängig machen können, meine Digit-Natives, weil sie keine Ahnung haben, was im Hintergrund passiert. Jahrgangsstufe 12 (ca. 18 Jahre alt) völlig überfordert von den Möglichkeiten eines Programms wie Word. Die Generation, die Videofilme auf YouTube rauf und runter guckt, Serien streamt, die aber kein Tutorial passend für ihre PC-Fragen aufrufen kann, um sich dann Schritt für Schritt erklären zu lassen, wie man selbständig (ich weiß, es heißt jetzt selbstständig, aber ich finde das alte selbständig schöner) Veränderungen vornehmen kann. Meine Kinder? Sie sind Königys in ihrer Generation. Kann ja keiner mehr was.

Und dann denke ich, ich müsste bei einem solchen Verlag oder bei jedem sofort punkten:

  • Rechtschreibung = check
  • Satzbau = check
  • Storyaufbau = check
  • Dateiformate = check
  • Gezieltes Anschreiben = check
  • Ansprechende Geschichte = check.

Ironisch gedacht, könnte es natürlich sein, dass die Erfahrung alle Verlage lehrte, dass das Land der ehemals Dichter und Denker inzwischen ausgebrannt ist und man sich nur fremdländische Literatur in die Läden holen sollte, dann ist die Ausbeute besser. Natürlich, da kann ich auch als deutsche Pflanze nicht so viel reißen. Vielleicht dauert es nicht mehr lange, und Verlage lassen eine KI dran, die die Texte produziert: Was ist GPT-3 und spricht das Modell Deutsch? – Lernen Wie Maschinen (lernen-wie-maschinen.ai)

Gut, da ist einiges dran: der Verlag verdient nicht so viel an einem Buch, wie man glauben möchte, der größte Batzen geht wohl an den Buchhandel. Ein fremdländisches Buch respektive ein Roman bedeutet zwar noch Vermarktung und Übersetzung, aber die Kosten und das Risiko sind überschaubar, denn das Buch ist zumindest lektoriert und schon auf dem ausländischen Markt erprobt. Ich habe noch keine nennenswerte Veröffentlichung und auf mich und meine von mir fabrizierten Wortketten wartet keiner.

Sowieso steigt das Risiko, mit meinem aktuellen Roman bei einem konventionellen Verlag zu landen: zu lang (mindestens dreimal so viel, wie ein Erstling lang sein sollte), falsches Genre (Science Fiktion hat in konventionellen Verlagen wenig Lobby), mit der falschen Zielgruppe (Frauen lesen keine SF-Literatur) , dann auch noch so was Experimentelles (zwei Erzähler parallel) und zuletzt das Thema (Pandemie – wirklich jetzt?).

Tja, wie bewege ich einen Verleger dazu, trotzdem durch dieses Fernrohr zu schauen, um die Wahrheit zu erkennen? Die eine Wahrheit, so war mit Gotty helfe!

Ich hoffe, dass Steven King recht behält: Gute Literatur setzt sich durch. Ich meine, aus seiner Sicht hat er damit auf jeden Fall Recht: Entweder wird etwas (wie seine Texte) veröffentlicht und sie sind damit gut oder sie werden nicht veröffentlicht (wie nicht-seine Texte), dann sind sie es nicht wert. Aus meiner Perspektive aber betrachtet: Meine Texte sind gut, nicht aber veröffentlicht. Kein Verlag, keine Agentur hat bislang „HIER“ geschrien. Und ehrlich gesagt, vor allem nach dieser oben genannten Darbietung, hätte ich damit gerechnet. Zumindest ein kleiner Verlag, so ein winziger.

Nichts.

Statt dessen schon vier Absagen.

Sonst Stille.

Und das bei meiner Ungeduld.

Und meiner Eitelkeit.