„Beklaute Frauen“ – Rechte und Pflichten einer Frau … Wer bin ich?

Geneigte Leserschaft, bin ich eine Frau oder ein Mensch? Was zuerst? Das eine weniger als das andere? Habe ich eine Natur oder unterdrücke ich die Natur zugunsten der Kultur? fühle mich oft zunächst als ICH, geschlechtsneutral, vielleicht auch wesensneutral. Gern bin ich eine Frau, weil das einfach viel mehr Wunder enthält. Vielleicht würde ich das anders sehen, wenn ich alternativ nicht-frau sein kann, aber das ist mir nicht gegeben. Als Frau bin ich aber auch nur eine Ausprägung von verschiedenen Formen und könnte, abgesehen von dem Faktor Kinder-bekommen, genauso gut ein Mann sein. Zumindest von außen betrachtet. Natur und Kultur zu kontrastieren, lohnt sich auch nicht wirklich, denn wir können das eine nicht von dem anderen ablösen, ohne immer auch das andere schon zu berühren. Genetisch ist dem Menschen anhaftend, dass er ordnet, strukturiert, sich aneignet und seine Umwelt kultiviert. Diskutiert eine Ameise ihre Position im Staat?

Muss ich „ja“ sagen, wenn ich nicht „nein“ sage?

Muss ich „ja“ sagen, wenn ich nicht „nein“ sage?

Ich weiß, ich habe die Frage wiederholt. Sie hallt in meinem Kopf nach. Wie ist das genau gemeint? Ich wollte Kinder, alle drei. Hätte gerne mehr genommen, doch dazu braucht es manchmal zwei Menschen, die das wollen … zumindest in unserer Gesellschaft. Ich wollte diese drei Kinder auch nicht bekommen, damit sie von anderen betreut werden, obwohl sie das wurden. Sie wurden reichlich fremdbetreut. Dass meine Idealvorstellung von Familienstrukturen jenseits unser patriarchalen Gesellschaft liegen, habe ich bereits in dem Beitrag „Ende der patriarchalen Strukturen? – Wenn sich Liebe vom Rest trennen ließe“ formuliert, aber was meint das?

Mein Herz schlägt sicher feministisch und keine gesund-denkende Frau kann sich gegen die Wünsche der Feministin, endlich gleichberechtigt zu sein, verschließen, ohne sich selbst zu verraten. Angesichts der Zahlen und Statistiken zu Gender-Gap, zu Femzide, zur Gewalt gegen Frauen, angesichts der Geschichte des Hasses gegen Frauen, politisch und gesellschaftlich gewollt, kann eine Frau auch gegen den Feminismus nicht gleichgültig sein. Und letztlich bedeutet das, dass ich individuell den Kampf ausfechten muss und in meinem Leben für die Sache einstehen muss. Will ich das? Bin ich bereit dazu? Ich habe geheiratet. In meiner Ehe gestritten darum, dass mein Partner Elternzeit nimmt und verloren. Habe versucht für den Partner und für mein Ansehen, Familie und Beruf zu vereinen, habe meine Kinder nicht dafür bluten lassen wollen und alles unter einen Hut zu bringen versucht. In der Ehe gestritten um den Umstand, eine schlechte Ehefrau zu sein, weil ich meinen Haushalt nicht bewältigt habe, neben Beruf und Kinder. Wer sprach da schon von Care-Arbeit? Ich, ich allein hab die Kinder gewollt. Mein Ex-Mann wollte sie auch, aber anders als ich. Arbeit und die Anerkennung einerseits, Familie zuhause andererseits, alles ist schön. Willkommen in der Wirklichkeit der Rama-Familie. Ich bin noch immer der Ansicht, dass ich auch als Frau das Recht haben sollen dürfte, dass ich mich um meine Kinder kümmere. Meine Kinder. Meine Kinder. Und ich bereue meine Entscheidung, dass ich mich um eine gleichzeitige berufliche Unabhängigkeit bemühte. Eins von beidem genügt.

Nein, wenn ich nicht nein sage, so sage ich vielleicht trotzdem nicht ja, zumindest nicht zu allem. Ich wollte meine Kinder selbst begleiten und ich wollte dennoch ein Leben führen, dass es mir ermöglicht, selbst-bestimmt zu sein. Ich dachte, es würde genügen, dies nacheinander zu wollen. Jetzt ist die Zeit für das andere, weil meine Kinder groß sind. Grundsätzlich sollten sich Frauen klar sein – und Männer irgendwie auch, was sie wirklich wollen. Und wenn sie zunächst Kinder bekommen wollen, sich darum kümmern wollen, sollte ihnen das anerkannt und beruflich zugeschlagen werden. In einer Welt, die alles monitär bewertet, sollte auch alles einen monitären Wertmarker bekommen und zwar einen, der angemessen zur Leistung steht. Wir brauchen ein gesellschaftliches Miteinander, in dem real alle die Kinder mittragen: finanziell, räumlich, wirtschaftlich, ökologisch.

Mir wird von Psychologinnen und politischen Gruppierungen erklärt, dass ich Verständnis haben muss, dass auch mein Gegenüber eigene Ziele wählt, in seiner Geschichte lebt und seine Grenzen hat, die ich respektieren soll, die ich akzeptieren soll und – wenn ich ihnen zuwider handele – ich gleichfalls Gewalt ausübe. Ja, verstehe. Verstehe. Ich verstehe das dann so, dass ich im Prinzip die Bedingungen meiner Partnerschaft mit dem Mann, der meine Kinder mit mir zusammen großzog, selbst gewählt habe und nun ertragen muss, weil er diese historischen Fundamente unserer Kultur ebenfalls leben wollte und sogar sich in seiner Rolle bestärkt sah und diese sogar begrüßte. In der Rückschau ist es auch so, dass ich ja viel streitlustiger war als er, auch und vor allem aus seiner Sicht. Alles, was er erinnert, ist das „Wie“, kein Quäntchen „Was“ ist dort auszuquetschen. Ich kann also streiten, versuchen meine Argumente anzubringen, kann tun, was ich will und letztlich stellen Vater und Sohn sich hin, Arm in Arm und erklären, dass sie die Intelligenz sind und dass sie der Erfolg sind. Wenn ich mein Handeln und Streiten reflektiere, dann sehe ich den Wunsch nach Gleichberechtigung, den Wunsch nach Anerkennung, den Wunsch nach Selbstverwirklichung. Ich soll also Verständnis haben und dennoch wie Jeanne D’Arc kämpfen und bemerke kaum, dass es Don Quichotes Windmühlen sind, die ich angreife? ICH will als Frau auch Frau genug sein dürfen, Kinder großziehen zu können und doch will ich soviel Mensch sein, dass ich das nicht allein tun muss, dass ich nicht allein damit bleibe und in Windeln, Schlafmangel und Hoffnungslosigkeit ertrinke. Ich will nicht beschimpft werden, weil ich es wage, meine Stimme zu heben und zu sagen, dass beides möglich sein muss. Und ich will auch nicht akzeptieren müssen, dass ich ausgebeutet werde, weil ich in dem Spiel die weibliche Puppe benutze.

  1. Beruf und Kind und Haushalt, das ist Sklaverei.
  2. Kind und Haushalt, das ist Gefängnis.

… Für die Frauen natürlich nur. Kann es nicht anders sein? Was muss passieren, dass auch Männer diese Rollenverteilung nicht mehr wollen?

Natürlich kann ich den Hintergedanken der „positiven Verstärkung“ sehen, wenn ein Preis wie „Spitzenvater des Jahres“ die Männer anregen soll, doch auch ihre Vaterrolle ernster zunehmen. Nur: geht der Schuss nicht nach hinten los, weil eben die Frauen diesen Job so selbstredend seit Jahrtausenden ausüben? Mir ist klar, dass der Wettbewerbsgedanke den Mann motivieren soll, sich mehr zu bewegen, trotzdem könnte ich kotzen.

Erschwernis ist: Ich kann bestimmte Erfahrungen nicht als Wissen über etwas machen, sondern erlebe sie und dann muss ich auch noch schauen, ob das individuelle oder gesellschaftliche Erfahrungen sind. Wenn mir die Worte fehlen, etwas zu benennen, kann ich mich auch nicht mitteilen, nicht so, dass mein Gegenüber mich versteht. Sprachlosigkeit, Ohnmacht sind Konsequenzen daraus. Nehmen wir noch einmal das Thema Gewalt: Gewalt aus Ohnmacht bzw. Mangel an alternativen Strategien ist etwas anderes als Gewalt aus Macht trotz Alternativen. Bei ersterem benötige ich die Erkenntnis eines Problems, eine Problemanalyse und dann die Option von Alternativen. Das nimmt tatsächlich Zeit in Anspruch, lässt sich aber bewältigen. Wenn jemand Gewalt ausübt, weil er ein Machtmensch ist, dass werden die Optionen nur subtilere Mittel der Machtausübung werden, vielleicht ohne Schrammen und blaue Flecken, doch ähnlich problematisch. Und nun stehe ich irgendwo in meiner Entwicklung in meinem Leben, habe wunderbare Ratgeber gelesen: Ich-Stärkung, Grenzsetzung und ich weiß nicht noch was alles und die Theorie ist ganz erstaunlich hübsch und attraktiv. Ich schwöre mir, dass mir X und Y nicht passiert, dass ich A bis Z tun werde, sollte es doch so sein. Das Leben aber ist letztlich nichts, was nach Handbuch funktioniert und ich kann lediglich im Nachhinein reflektieren, was ich wieso wie getan habe und dass es vielleicht kein Einzelschicksal war. Dann aber ist es auch keine individuelle Boshaftigkeit mehr, sondern steckt im Detail im System. Seit dem Ende der Moderne wissen wir, dass es „Das Böse“ nicht gibt. Wir wissen, dass die Welt sich nicht in „gute“ und ich „schlechte“ Menschen teilen lässt, dass ein Charakter durch viele Facetten hindurchschimmert und sich die Farbenpracht im komplexen Zusammenspiel zeigt. Und wenn ich dann erst im Nachhinein in der Lage bin, X und Y als „X“ und als „Y“ zu benennen, ja auch erst dann als solche verstehen kann, was hätte ich denn dann anders machen können? Ich stehe hier mit meiner Zeitlichkeit behaftet und weiß genau, wem will ich was erzählen? All die guten Ratschläge, wenn Frauen von Gewalt erzählen, die sie erleben oder erlebt haben, sind böse Schläge, denn wir stecken alle – Mann und Frau und alles dazwischen – in dieser Falle des Erlebens verhaftet als naturiertes Kulturwesen oder kultiviertes Naturwesen. Dazwischen. Vielleicht kommt nur der Humor uns bei.

Lasst uns noch einmal vor Augen führen, welche Werke dieses charmante Thema behandeln:

Schöler, Leonie: Beklaute Frauen. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte, 12. Aufl., München 2024

Endler, Rebekka: Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt, 2021

Clemm, Christina: AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt, 2020

Holland, Jack: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses, 2001