Empfehlungsschreiben – Wenn der Text den Texter ungewollt entlarvt.

Als Lehrkraft kommt es vor, dass mich ein junger Mensch um ein Empfehlungsschreiben für seine weitere Laufbahn bittet. Meistens sind es Jugendliche, die sich nach dem erfolgreichen Abschluss des Abiturs für ein Studium um ein Stipendium bewerben. Häufig handelt es sich bei diesen Jugendlichen auch um engagierte Schülys, die sich tatsächlich im Schulleben hervortun, soziale Ämter übernehmen und insgesamt zielstrebig wirken.

In letzter Zeit allerdings häufen sich jedoch Anfragen nach Empfehlungsschreiben an mich, bei denen ich nicht mehr weiß, wie ich darauf angemessen reagieren soll. Dass ich als Lehrkraft gemeinhin als Dienstleistungsfigur betrachtet werde, dass Schülys oft ein klarer Respektbezugsrahmen fehlt und dass es diesen jungen Menschen vor allem an Selbstüberschätzung nicht mangelt, ist mir durchaus bekannt, aber manchmal frage ich mich, ob es dazu Grenzen gibt?

Ein Beispiel von einer Jugendlichen, welche die Klasse 10 besucht:

„Meinen Durchschnitt kennen sie ja… Außerdem bin ich bei den Schulsanis und habe an der TU Dortmund an verschiedene Kurse in verschiedenen Fachgebieten teilgenommen. Ich denke das ich eine führende Rolle in Gruppen arbeiten übernehmen und oft erwachsen und Verantwortungsvoll Handel in der Schule. Sonst keine Ahnung was sie reinschreiben können…. Wir hatten ja auch mal vor zieh Jahren zusammen unterricht…“

Anonym

Der Absenderin ist es völlig egal, was beim anderen ankommt, weil sie davon ausgeht, dass ich sie schon irgendwie verstehe. Natürlich verstehe ich sie irgendwie. Ich kann daraus auch sinnvolle und rechtschreibfehlerfreie Sätze bilden. Doch was ist mit der inneren Haltung der Absenderin? Dudu macht das schon? Es hat so eine rotzige Art. Dieser Art Schreiben sind mehrere zu nennen, Oberstufe sowie Abgangsjahrgang.

Ich erklärte, dass das Stipendiumsgutachten irgendetwas enthalten sollte, was das Besondere des Probandys hervorhebt, zusätzliche Leistungen. Ich erhielt darauf hin folgenden Text, der auf zwei Seiten durch ein übergroßes Format (Schriftgröße) gestreckt war:

anonymisiertes Schreiben

Anerkennend muss ich sagen, die Lobeshymnenfloskeln hat sie gut in Anwendung gebracht. Ohne jeden Inhalt und gleich direkt beweisend, dass es sich ausschließlich um Floskeln handelt. Doch gleichzeitig entlarvt die Schreiberin die Floskeln als das, was sie doch so oft nur sind: Worthülsen.

Beispielhaft zeigt sich, wie wenig von dem umgesetzt worden war, was ich vorher erbeten hatte, denn welche Anforderungen nun die Stiftung oder die Förderer stellen, wird nicht deutlich, ebenso wenig ihr soziales Engagement, ihre Tätigkeiten an der Schule, etc. . Als PDF-Datei ließ sich das nicht ohne Umstände bearbeiten, so dass ich um a) eine erste Fehlerkorrektur á la Rechtschreibprogramm und b) um eine Formatveränderung bat. Im Grunde hätte die Jugendliche lediglich ihre erste Datei zusenden brauchen. Ich bat in einer weiteren Mail also um entsprechende Korrektur, ein anderes Dateiformat und weitere Informationen. (Natürlich hätte ich es in der Zeit drei Mal selbst geschrieben, aber mir geht es hier um die Ernsthaftigkeit der jungen Frau, die doch eigentlich etwas von mir will, nicht ich von ihr. )

Folgende Antwort erhielt ich daraufhin:

„Toll ich habe die Mail abgeschickt ausversehen. Also ich habe keine Ahnung von sowas und das Layout und alles.. Ich habe es auf dem Tablet geschrieben und auch meine Rechtschreibung.. Ich dachte das ist da nicht so das Problem weil sie dsd ja noch „schön machen“ wollen… Woher sollte ich vorher wissen das sie da nur die Unterschrift drunter setzen wollten… Ich habe mein bestes gegeben und von anderen Empfehlungsschreiben abgeschrieben, wenn es eine totale Katastrophe ist, dann habe ich halt Pech und ein Empfehlungsschreiben weniger für das Stipendium.“

anonym

Und mir drängt sich der Gedanke auf, wenn dieses Schreiben das Beste war, was eine ca. 16 Jährige verfassen kann, der zu sich und ihrem sozialen Engagement wenig einfällt, wenn der Tonfall für eine Gefälligkeit (denn zu meinen Aufgaben gehört dieses Service nicht) so geringeschätzend ist, dann kann die Ernsthaftigkeit zwar unbestritten, das Vermögen für ein Stipendium aber wohl kaum gegeben sein.

Auffällig und besonders ist neben all der jugendlichen Selbstüberschätzung, die sicherlich reifebedingt ist, dass die verbale oder schriftliche Äußerung einer Bitte kaum als Bitte gedeutet werden kann, viel mehr als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Wenn das Ergebnis der vom anderen erbrachten Leistung – in dem Fall von mir -, ungehalten und abfällig kommentiert wird, wenn Verärgerung auf der Seite des Absenders folgt, weil der andere nicht genau so funktionierte, wie man sich das gewünscht hat, statt sich selbst zu fragen, was der andere – als ich – denn mitteilen will, dann gibt es keinen Lernfortschritt.

Dieser Mangel an Sorgfalt jenseits von Leistungsbereitschaft und sozialem Engagement ist es, denn ich zunehmend beklagen ja sogar beweinen möchte. Wird an allen Stellen und Ecken mehr Sensibilität für die Schwächen, für Eigenschaften und Merkmale eingefordert, darf man immer weniger kritisch sagen, was man denkt, weil alles empfindlich persönlich und politisch zugleich wird, so möchte ich eine neue Rücksicht durch Höflichkeit. Bitte einmal den Satz bedenken, den ich gesagt habe. Äußerungen von Lehrkräften nicht sofort als Quatsch, als unangemessen oder als persönlich gewollte Kränkung abtun, sondern die Sachinformation suchen, die Beziehungsebene als „ungleich“ anerkennen, den Appell wirken lassen, und sei es einfach nur, weil wir studiert haben und schon ein paar Jahre mehr Lebenserfahrungen sammeln durften. Mir erscheinen die Jugendlichen mehr und mehr als „Ich will – sofort“-s denn als ernstzunehmende Persönlichkeiten, die etwas zu sagen haben.