Misogynie – Ein Begriff, der erklärt gehört.

„Misogynie […] ist ein zentraler Teil  sexistischer  Vorurteile  sowie  Ideologien und ist daher eine wichtige Grundlage für die Unterdrückung von Frauen in männlich dominierten Gesellschaften. Misogynie manifestiert sich auf vielfältige Weise, von Witzen über Pornografie bis hin zur Beförderung eines Empfindens von Selbstverachtung von Frauen und ihren eigenen Körper.“

– The Blackwell Dictionary of Sociology: 2000[30]

Ich war 18 Jahre und stellte fest, dass ich nicht Fräulein genannt werden wollte. Mit meiner besten Freundin Anja besuchte ich Seminare, die die Rolle der Frau thematisierten. Ich war eine politisch aktive Feministin. Zumindest soweit, wie man das als Jugendliche ist.

(Anmerkung: In einer Diskussion jüngst zu dem Wort „Fräulein“ stieß ich darauf, dass manch eine Frau das nicht einmal anstößig findet, verniedlicht und damit auch verdinglicht zu werden. Schließlich sei das Wort doch ungefährlich und könnte sogar Unabhängigkeit vom Mann als unverheiratete Frau anzeigen. Doch wieso muss ich mich als Frau über den Mann oder in Differenz zum Mann definieren? Ein Mann der Diskussionsrunde befriedete die Situation, als er sagte, dass die Anstößigkeit im Mangel eines Gegenbegriffs für den unverheirateten Mann fehle. Ist es aber nötig, einen Menschen allgemein über ein Status zu definieren?)

In meinem Studium achtete ich anfangs auf eine Sprachsensiblität, die heute „gendern“ genannt wird. Ich habe es eingestellt, vielleicht aus Bequemlichkeit, vielleicht auch, weil es keinerlei Erfolge brachte. Ich habe meinen Feminismus wie ein altes Kleidungsstück abgelegt. Eigentlich war ich sicher, ich hätt es bei einem Umzug nach der Heirat verloren.

Verräterin – ich. Nie wollte ich heiraten, lieber frei mit mehreren Männern und Frauen leben. Ich habe geheiratet, denn ich war mir als Alleinerziehende gar nicht mehr sicher, dass das ein gutes Lebenskonzept war. Alleinerziehende. Als alleinerziehende Frau ist man (witzig) vor allem allein. (Und wieder eine Definition über eine Funktion!) Nicht nur zwischenmenschlich sondern auch wirtschaftlich. Ich fühlte mich verdammt und ausgegrenzt. Ich und meine Tochter. Mein Fehler, mein individueller Fehler war meine leichtlebige Haltung zur Sexualität und zum Sex. Das hatte nichts mit meinem Geschlecht zu tun. Dachte ich. Die Art und Weise des Umgangs des Sexualpartners – oder doch besser Sexualgegners wie ein Gegenspieler? – allerdings hatte ich doch auch verdient, also die negative Haltung. Ich wollte ihn (den Vater des Kindes) nicht – also ich lehnte seinen Heiratsantrag ab. Oder hatte das Thema doch was mit meiner freien Wahl für mein Examen zu tun? (Ich dachte, das ist was Individuelles. Vermutlich nicht, nachdem was er mir 16 Jahre später ohne mich auch nur zu Wort kommen ließ vor den Kopf knallte und ich mich fragte, inwiefern ich diesen Mann kannte und inwiefern ich mich wohl gekannt haben mag. Ich sag mich in den Aussagen, ihn als Samenspender missbraucht zu haben, die nun nicht mehr mit dem „Blag“ umgehen und nach Hilfe schreien würde, nicht wieder. Bis dahin dachte ich eigentlich, dass man über alles reden könnte!)

M. ist die strukturellewirtschaftliche oder rechtliche Ausgrenzung bzw. Benachteiligung von Frauen.

Wikipedia: Misogynie

Die Worte von T. werden mir auf ewig nachklingen: „Kein Problem, du ziehst nach Iserlohn zurück und wir heiraten. Du kannst ja dein Studium noch zu Ende machen, aber dann sorge ich für uns. Ein Mann, ein Wort!“ Rums. Iserlohn? Ich? Hausfrau und Mutter? Ich? Ehe ohne Liebe? Ich ? Da sah ich mich nicht. Und das war es dann auch. T. hat sich um seine Tochter nicht gekümmert. Misogynie hab ich dahinter gar nicht entdeckt, allerdings ein sehr überholtes (für mich überholtes) Denkbild von der Frau als Mutter und Kümmerin, zugleich von einer idiotischen Hilfsbedürftigkeit. Ich – als humanoides Wesen – gebe zu, bei manchen Dingen Hilfe zu brauchen. Alles kann ich eben nicht. Aber nicht, weil ich eine Frau bin. Ich erinnere mich, dass ich da an den Roman von Merilyn French „Frauen“ dachte und meinte, ich hätte mich verhört.

M. ist die Entmenschlichung oder Objektifizierung von Frauen (nicht nur durch Abwertung, sondern auch durch wirklichkeitsfeindliche Überidealisierung weiblicher Identitätsaspekte bspw. Körperideale, Mutterideale, Verhaltensideale etc.),

Wikipedia: Misogynie

Ich wollte Schriftstellerin werden, als ich mit meinem Studium begonnen hatte, denn das war alles, was ich wirklich konnte (und kann). Diese Idee war offensichtlich für meinen Mann K. – den ich dann doch heiratete – keine, die er unterstützen konnte. Und ich gab sie auf, weil ich mit mehr als 25 Jahren dachte, dass das vielleicht eine fixe und völlig überholte Idee ist. Lehrerin ist solider und ermöglicht mir ein eigenes sicheres Einkommen, so lange ich die Kinder habe. Auch eine individuelle Entscheidung – oder etwa nicht? Was wäre, wenn ich den soliden Berufe gehabt hätte und der andere einer „fixen“ Idee nachjagte? So wie mein aktueller Partner, der sich selbständig gemacht hatte – wenn er auch heute damit erfolgreich ist. Bleiben wir für einen Moment dabei, dass das meine Entscheidung war, so war für mich eines klar: Keine Unterstützung.

„Misogynie […] Kennzeichnung von Einstellungen, die die strukturelle Benachteiligung der Frau in der Gesellschaft und im privaten Bereich widerspiegeln. Misogyne Einstellungen und Verhaltensweisen äußern sich sowohl offen restriktiv (Karrierehemmnisseungleiche Bezahlung etc.) wie auch durch die in verdeckter Weise erfolgende Beschränkung der Frau auf ihre traditionelle Geschlechtsrolle (Verzerrung des Selbstbildes der Frau aufgrund spezifischer Sozialisation, Betonung ihrer schwächeren Position durch überlieferte Höflichkeitsformen etc.).“– Lexikon der Soziologie: 2011

 Lexikon der Soziologie: 2011

Ich wollte Kinder, ich wollte für sie da sein. Also eine sehr bewusste Entscheidung. Meine Kinder wollte ich nicht, weil ich kleine Kopien von mir wollte, weil ich zeigen wollte, dass ich es kann oder weil sie mal für mich sorgen könnten, ich wollte Kinder, weil ich sehen wollte, wie sie sich entwickeln. Meine große Tochter wollte ich, weil ich erleben wollte, wie es ist, Mutter zu werden. Wie fühlt sich das Leben im Bauch an? Wie fühlt sich die Verantwortung an? Was passiert mit mir? Nicht mit meinem Geschlecht. Darüber habe ich nicht nachgedacht. Mein Geschlecht hatte damit nur so viel zu tun, wie mir mein Körper ermöglichte, selbst Kinder zu bekommen. Das ist nicht unwesentlich, macht aber nicht mein Sein aus. Als meine Tochter geboren war, habe ich ihr Verstärkung gegen die Eltern gewünscht. Deswegen hat sie zwei Geschwister bekommen. Fertig. Ich möchte betonen, dass ich meine Kinder nicht zur Selbstverwirklichung brauchte, sondern aus Neugier. Keine Ahnung, ob das ein guter Grund ist, aber ich halte ihn zumindest für besser als das erstere und auch besser, als ein Kind als Prestigeobjekt zu bekommen wie viele Frauen, die neben der Karriere noch zeigen müssen, dass sie ein Kind großziehen können. Doch auch ich musste irgendwie Kinder und Beruf und Haushalt zusammen schaffen. Urrrghhh

Herbst 2019: In meinem Emailfach landet ein Aufruf zur Demo vieler Frauen, weil Frauen mit der Doppelbelastung oft allein dastehen: Kinder und Haushalt, dann noch der Beruf. Also ich denke, es ist eine Dreifachbelastung. Mein erster Gedanke: Selber schuld. Ich hab die Frauen vor Augen, die den musealen Zustand einer Wohnung ohne Staubkorn und Schmutzfleck als Normalzustand anstreben und dachte „selbst Schuld“. Ich möchte mich entschuldigen, denn mir war nicht klar, welche Sozialisierung wir mit der Muttermilch zu uns genommen haben. Auf dem Weg in die Emanzipation. Frauenrechte in BRD und DDR ist ein Podcast von Ulrike Beck und wurde am 29. Juni 2020 auf Bayern 2 ausgestrahlt und erklärt, wie es zum Gesetz der Hausfrauenehe kam.

„Erst am 1.Juli 1958 tritt das neue Gleichberechtigungsgesetz in Kraft – das allerdings keineswegs eine Gleichstellung von Mann und Frau verankert, sondern das Gegenteil: die so genannte Hausfrauenehe. […] Die Frauen in der Bundesrepublik begehren dagegen nicht auf. Im Gegenteil: Für die meisten gilt es als Statussymbol, verheiratet zu sein. Angesichts des Frauenüberschusses ist der Kern der Frauenfrage, so schreibt die Zeitschrift „Heute“ 1957 „der Kampf um den Mann.“ [siehe ebenda; PDF zur Sendung]

Ich selbst habe sehr häufig mit meinem Ex-Mann darüber gestritten, wie meine Hausfrauenpflichten aussehen. Ich habe innerlich mit mir gerungen, weil ich keinen Beitrag leistete (natürlich tat ich das schon, nämlich einen erheblichen für die Gesellschaft – und ich habe meinen Job für die Gesellschaft sehr gut gemacht.); ich fühlte mich sehr oft minderwertig und unfair und zu faul (ich war rund um die Uhr auf den Beinen: Kinder, Wäsche, Einkaufen, Ärzte, Erlebnisprogramm, Versorgung, etc.), zu unorganisiert und zu sehr „kindkonzentriert“. Nach außen habe ich keinen Zweifel gelassen: „Wenn dir eine aufgeräumte Küche wichtig ist, dann räume sie auf“, habe ich zu ihm gesagt, „schließlich kannst du das genauso gut!“ Außen hab ich den Schein erhalten, dass ich darüber stehe, innerlich hat es an mir gefressen: Aus dem Grund hab ich nach Elias ersten Lebensjahr mit dem Arbeiten begonnen. Und das war die Hölle selbst. Doch an dieser Stelle: Mein Ex hat das alles mitgetragen und unterstützt, denn dies war keine fixe Idee, sondern erlöste auch seine Ernährerrolle. In ihm nagte nämlich das andere Gift, was auch seine Mutter einträufelte: „Wo bleibt dein Gegenwert? Du gehst arbeiten, machst sauber und kümmerst dich um die Kinder. Wo aber bleibt dein Gegenwert?“

Mit drei Kindern musste ich aber nicht mehr voll arbeiten, da konnte ich doch auf eine 2/3 Stelle gehen. Also guten Gewissens. Mein Wunsch nach Schriftstellerei hab ich auf meinen 50. Geburtstag verschoben (insofern bin ich sogar schneller.) Dennoch hatte ich das Gefühl, es nicht wirklich zu schaffen. Andere Frauen konnten das besser. Mein persönliches Shot down erfolgte, als meine jüngste Tochter ein Jahr alt war. Positiver Nebeneffekt: mein Ex erkannte zum ersten Mal meine Leistung an.

M. ist die geringe Anerkennung der Arbeit von Frauen (Care-ArbeitGender Pay Gap etc.),

Wikipedia: Misogynie

Die Demo! Ich habe lange darüber nachgedacht und für mich entschieden, dass mir vor allem Probleme bereitet, mich nicht als humanoides Wesen (ich empfinde das nicht als Frau) um meine Kinder kümmern zu können, ohne Schuldgefühle einem Partner gegenüber oder mir selbst, weil ich doch als emanzipierte Frau meinen Weg gehen muss.

Wenn ein PAAR sich für Kinder entscheidet, dann steht die Aufgabe der Brutpflege an. Angenommen, das würde gesellschaftlich, dann könnten die ersten drei Jahre beide Eltern zur Verfügung stehen (weil es viel entspannter ist und man dann auch Kinder in die Welt schickt, die sich gut entwickeln können, wenn man sie nicht fremdbestimmt hat), anschließend arbeiten die Eltern in den Ferienzeiten nicht. Diese Zeit wird als Vorrente vergütet – also mit der Arbeitszeit danach verrechnet – wie BAFÖG oder ein Darlehen. Alles, was Kinder kosten – alles – wird von der Gemeinschaft getragen, so dass jene, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden oder keine eigenen haben können und keines in Pflege nehmen wollen, langfristig dafür mehr in die Gemeinschaft zahlen. Kinder sind eine Sache der Gemeinschaft, deswegen kann die Gemeinschaft begrenzt Regeln aufstellen, wie die Kinder durch die Gemeinschaft versorgt werden. Nebenbei wäre das Kinderkriegen für AkademikerInnen wieder interessanter und wir könnten der Idiokratie entgegen wirken.

Das humanoide Wesen ist ein Gemeinschaftstier, es braucht die Herde. So, wie ich jede Kind verpflichte lesen und schrieben zu lernen, in die Schule zu gehen, so kann ich auch jedem Jugendlichen als Unterrichtsfach die Erziehung zum Inhalt machen, ein Pflegepraktikum auferlegen und das Soziale Jahr nur noch inhaltlich freistellen, nicht aber, dass es erfolgt. Wieso auch nicht? Individualität? Der freie Wille? Und wir lassen uns alle sagen, welches Buch wir lesen sollten oder welcher Weg der bessere ist. Algorithmen bestimmen unsere INDIVIDUALITÄT. Und unsere jeweilige Sozialisierung. Aber schauen wir weiter.

Quotenregel hin oder her: Zumindest zwingt sie althergebrachte Strukturen in den Blick zu nehmen. Wie wenig das leicht ist, erinnere ich mich, denn mein Ex durfte nicht ohne Gesichtsverlust und mit gefürchteten Repressalien Erziehungszeit beantragen. Neulich im Park: Ein Mann der muslimischen Kultur wickelte öffentlich im Park seine kleine Tochter selbst. Wenn das nicht ein Anlass zur Hoffnung ist.

Was wollen die unterschiedlichen Individuen, was ist für den Fortbestand und die Entwicklung der Gesellschaft sinnvoll oder notwendig und was ist konsensfähig? Frage meines Partners.

Mein Ansicht nach lassen sich manche Dinge nicht individuell regeln, sondern brauchen gesellschaftliche Regeln wie jetzt in Zeiten von Corona oder die Quotenregel. Ließen wir den Menschen die Freiheit, aus Einsicht in die Notwendigkeit die Masken zu tragen, würden sie es nicht. Trinken schwangere Frauen dennoch Alkohol, weil sie sich das doch nicht von so’nem blöden Arzt vorschreiben lassen, hat das schwere gesundheitliche Folgen für ein anderes Leben. Das wiederum nötigt die Gemeinschaft unterschiedliche und vermeidbare Aufwendungen ab. [Ich will hier nicht von Geld sprechen, auch wenn das die Währung ist, in der die Aufwendungen spürbar oder berechenbar sind, weil es gleich den Anschein hat, es ginge auch nur um die Zahlen. Ich sehe das allerdings eher auf die Ressourcen einer Gemeinschaft bezogen, die in Geld ausgewertet werden kann.] Sicher gibt es viele Dinge, die frei zu entscheiden sind – widerspenstig zähle ich auch den §218 dazu, der für mich absolut keine Option zu keiner Zeit gewesen wäre – und dennoch geregelt werden müssen, wie eben in dem Paragraphen.

Also ist geht es im Kern um die Frage; Wo brauchen Menschen die Unterstützung der Gesellschaft?

Heute im Radio WDR5: Die Pflege darf nicht weiter als Liebesdienst der Frauen gesehen werden. Sie kostet Geld [Ressourcen, Kraft, Zeit].

WDR 5, Radiobeitrag

Wenn aber der gesellschaftliche Rahmen – wie bei der Quote oder sonstigem – erstmal gegeben ist, dann kann man individuell entscheiden, ob man lieber so oder so handeln will. Eine passenden gesellschaftlichen Rahmen zu setzen bedeutet noch nicht, dass es unter Zwang durchzusetzen sei. Das ist die Kehrseite — eben eine Gradwanderung. UND bedeutet nicht auch die ewige „Freiheit für individuelle Entscheidungen“-Rufe, dass da der misogynische Gedanke greift. Angriff auf die Individualität oder eben der Ruf nach Individualität zur Verschleierung eines gesellschaftlichen Problems?

Ich hatte gedacht, mit dem Thema „Feminismus“ bin ich in Reinen. Mit Männern komme ich aus und keiner von ihnen verachtet mich, weil ich einen Frau bin. Gewalt, sexualisierte Gewalt kenne ich, aber der Mensch ist ein Mensch.

Dann fing ich an, diesen Roman zu schreiben, von dem ich dachte, es sei vor allem eine gute Geschichte und ich erzähle sie gern, weil es mir Spaß macht, sie zu erzählen. Recherche: Feminismus, Gewalt gegen Frauen, Androzentrisches Weltbild, Männerberufe, Frauenhass und Femizide brachen über mich ein und holten mich dort ab, als ich als 18 Jährige am Sparkassenschalter stehe, einem jungen Bankfachangestelltem gegenüber, dem ich erkläre, dass ich keine halbe Frau bin und deswegen nicht Fräulein sei, so wenig, wie er Herrlein.

Ich rede viel mit Männern über den Inhalt des Romans, in dem ich 97% aller Männer sterben lasse und den Rest später durch Feministinnen täten lassen werde. Ein Mann fand bislang, dass mein Roman männerfeindlich sei, was er genauso ist, wie unsere Welt frauenfeindlich. Viele mehr Männer sehen in ihren Geschlechtsgenossen tatsächlich das Übel der Welt begründet: Trump, Erdogan, Kim Jong-un; Bolsonaro und Co sind gefährlich. Ob Frauen es grundsätzlich besser machen, bleibt offen; statistisch gesehen zu wenig Material.

In meinem Roman geht es nicht darum, mit Männern abzurechnen und zu sagen, dass sie die schlechten Menschen sind. Aber eine Abrechnung ist es schon. Es ist Zeit, dass wir uns nicht als Gegner betrachten sondern als zwei Teile eines Ganzen, die sich gegenseitig bereichern und befruchten.

Verschieden, aber gleich-wertig.

Und es ist gleich viel wert, ein Mensch zu sein: Weder das Geschlecht, die Hautfarbe, der Geburtsort noch die Arbeit darf den Unterschied als Diskriminierung, Fehler, Herabsetzung, Entwürdigung oder schlimmeres ausmachen.

Wenn Frauen einen Männerjob ausüben, dann machen sie es anders als Männer: anders heißt nicht schlecht. Dieses Anders braucht Raum, wenn wir von diesen Stigmata des Geschlechts wegwollen. Mein Roman treibt das auf die Spitze.

Die Rolle der Geschlechter … Modelle müssen begründet werden?

Mein Quellen:

Recherche ist noch nicht beendet. Und für eine Diskussion bin ich offen. Also sagt was.

Zu viel Inhalt und doch zu wenig Handlung?!

Erstmal das Standardessen für die arbeitende Scarlett essen (Spaghetti Algi e alio) und dann denken.

Meine Figur ist zu langweilig.
Anna macht zwar ganz ganz viel, aber gleichzeitig sitzt sie nur rum, hier eine Sitzung, dort eine Besprechung, da ein Dialog. Sie macht nichts. Natürlich passiert in dieser neuen Welt viel, aber das kann ich nur über Nachrichten zeigen, weil meine Figur eigentlich nie am Ort des Geschehens dabei ist. Ihr Antagonist ist die Uhr oder sind die vielen Aufgaben, denen sie ausgesetzt ist. Ständig wechseln die Orte, gleichzeitig wiederholen sie sich auch:
— Besprechung im Rathaus
— Station Gynäkologie oder Pathologie im Krankenhaus
— Stollen und Labor
— Elternhaus

Da ist wenig „Handlung zeigen“. Im Moment zeige ich nur, dass sie keine wirkliche Zeit hat, sich auf die Forschung zu konzentrieren. Bekomm auch den Dreh nicht, wie sie den Impfstoff vielleicht doch noch finden kann. Muss ich aber am Ende, denn sie muss ihn sogar noch ausprobieren.

Hab es nach Tagen mal so hintereinander gelesen und stelle zwei Dinge fest: 1. sie ist sehr reflektierend-philosophisch unterwegs (so meine Gedanken spiegeln sich stark in der Figur) und 2. bricht ständig die Handlung, weil auf sie viele Dinge einwirken (da sie bei allem sehr besonnen und ruhig bleibt, sehr freundlich ist, entspricht sie hier gar nicht meinem eigenen Sein – was mich beruhigt). Wenn ich das so lese, dann lese ich eine Menge Aktion, wo tatsächlich manches schon zu viel Zirkus ist. Was ich davon auslagern kann – vielleicht auch in den zweiten Teil – muss ich sehen. Auslagern will ich zum Beispiel sowohl den Ausbau des Feminismus und des Männerhasses (Misandrie) als Reaktion auf die historische Misogynie und den aktuellen Verlust einerseits – dargestellt durch die Machtübernahme der Uturistinnen – und der Wunsch nach Gleichstellung der Geschlechter, Diversität und nach Auflösung des Kampfes angesichts der großen Verluste – dargestellt durch Liliths Schwestern – andererseits. In 60 Tagen kann kein Geschlechterkampf ausgetragen sein, der so lange schwelte.

Anna kann sich lange lange lange gegen die einseitige Betrachtung von Männern und ihrer Rolle wehren und behält im Blick, dass Männer vor allem humanoide Wesen sind, die ebenso vielschichtig sind wie Frauen. Gegen Ende der Stollenzeit denkt sie jedoch, dass vielleicht eine Geschlechtertrennung für die Frauen zum Schutze und zu ihrer Fortentwicklung besser sei als eine gemischte Gesellschaft. Das Sein (ihre Welt) hast sich so verändert, dass sich auch ihr Bewusstsein (die Wahrnehmung der Welt) verändert hat. Sie geht den Vertrag ein, weil sie das beste hofft, doch nicht daran glaubt.

Ich habe Anna gefunden: Als MIttlerin steht sie am Ende zwischen den Stühlen und muss sich entscheiden. Sie entscheidet sich gegen alle alten Werte (Liebe, Ehe, gemischte Gesellschaft, Gleichberechtigung, etc.) und verschiebt eine Veränderung auf später.

Aber Abspecken muss ich die Handlung auf jeden Fall. Ich muss schauen, was ich davon in Teil II auslagern kann.

Unten? — Feddich!

Der erste Teil – der im Stollen spielt – ist fertig. Den habe ich vor ein paar Tagen mit 356 Manuskriptseiten abgeschlossen (82.000 Wörter). Die Story steht. Die Figuren müssen noch klarer umrissen werden, da bin ich nicht zufrieden mit. Mit dem zweiten Gang werde ich aus den Figuren Charaktere formen und deutlicher in ihren Geflechten darstellen. Manche schwimmen etwas in andere hinein. Im dritten Gang dann 10 % raus und dann kann ich das anderen Menschen zu lesen zumuten.

Jetzt bin ich an „oben“. Die Geschichte muss raus.

Ich setzte mich genauso unvoreingenommen daran wie an den ersten Teil. Den wollte ich aus der Sicht von Anna schreiben. Reizvoll in den Kopf des anderen zu sehen: Wir hören die Gedanken von Jacek zu Anna und wir hören die Gedanken von Anna zu Jacek. Wichtiger noch, wir können zusehen, wie beide sich in einem „nicht mehr ganz so ehrlich zu einander“ verstricken, in der Annahme, der andere bekommt das nicht mit und gleichzeitig fühlen sich beide betrogen, weil sie natürlich mitbekommen, wenn der andere lügt. Darüber reden beide nicht und es kommt zu einer Entfremdung, begünstigt durch die Umstände.

Nun setzte ich mich also auf Annas Platz. Meine größte Sorge: Gleicher Stil, indifferenter Einheitsmatsch. Aber ich fand etwas schon nach den ersten Sätzen, wieder so ganz unterwegs:

Anna schreibt im Bericht-Stil und im Präsens. Alles was sie erlebt und was sie fühlt, wird von ihr formal berichtet – für ein zukünftiges gebildetes Publikum.

Durch den Tempuswechsel ist es nicht nur ein eigener Stil, es ist auch absolut stimmig, weil die Mann-Ära zu Ende geht (zunächst einmal – also so in etwa zumindest) und damit Vergangenheit ist, selbst die wenigen Exemplare können das nicht reißen und, weil die Frauen-Ära aufsteigt, jetzt aktuell.

WOW – und das so ungeplant.

Während ich daran gearbeitet habe, musste der Autorenwelt-Newsletter ins Mailfach flattern. Ich hab einfach mal wieder reingesehen, ob da doch mal was interessantes drinsteht. Und ich fand eine Ausschreibung vom Verein Lesezeichen e.V., mit der ich die Tragfähigkeit meiner Geschichte an einem kleinen Beispiel testen könnte. Sie suchen kleine Romanideen von Autoren, die noch kein Debüt hatten. 150 MS (Manuskriptseiten) soll der nicht überschreiten. Ich dachte, wenn ich die Geschichte von Pierre erzähle, sind die 150 Seiten locker voll. Ich kann die Bühne ausprobieren, die Figuren einführen, zumindest Paul, Jacek und Anna. Ich kann die Antagonisten testen – die Uturistinnen – und ich kann schauen, ob mein Stil ankommt.

Die Leseprobe, das Exposé, eine Kurzvita, meine Veröffentlichungen – mehr braucht es nicht. Die Prämisse in das Exposé? Ja, was genau ist das eigentlich? Ich habe mir das immer mit der „Was wäre, wenn?“-Frage gemerkt. Noch besser aber: Die Moral von der Geschichte oder die Lehre hinter dem Ganzen. Was will der Autor dem Leser oder der Leserin völlig verklausuliert mitgeben?

Da saß ich nun mit Pierre. Schöne Dinge, die ihm da passieren und die spannend sind, aber was will ich dem Leser sagen? Da hab ich doch echt lange drüber nachdenken müssen. Getz hab ich die Prämisse: Wenn man immer gegen was anläuft, tut eben der Kopf weh. Also … in diesem Sinne – ich begeb‘ mich auf’s Laufradle.

Noch eine Teststrecke von vier lieben netten Menschen und dann geht es auf Reise.

Bin am Werk drane – Teil II

Das seitenweise Runterschreiben gelingt mir nicht. Ich stelle fest, dass hier und da Recherche für den weiteren Verlauf wichtig und nötig ist. Oder ich spring zurück, weil ich an diversen anderen Tagen noch was einbauen muss. Einmal hab ich nur einen Handlungsstrang in den Rest integriert und durchgeplotet.

Zur Romanstruktur: Die Tage sind gezählt, die unsere Helden im Stollen verbringen (Unten) und was währenddessen in der Stadt passiert (Oben). Diese Tage dienen der linearen Orientierung. Damit ich die Orientierung nicht verliere und nicht so viel Zeit mit Suchen verbringen muss, wann was genau vorher oder nachher passiert ist, habe ich mir eine tabellarische Übersicht wie ein Kalenderblatt mit 90 Feldern (für drei Monate) aufgehängt. Damit ich also weiß, ab wann im Stollen von wem Brot gebacken wird, ist das an Tag 4 auf einem blauen Zettel (Farbe = Ort) vermerkt. Das erlaubt mir die Wochentag im Blick zu behalten, So kann ich sie abzählen. Das wiederum erlaubt mir, zyklische Abläufe zu koordinieren und damit kann ich zurückspringen und kleinere Handlungsstränge geschickt einflechten, ohne nochmals alles umzustricken zu müssen. Hier ein Beispiel:

Einer der Handlungsstränge, denn ich erst im Nachhinein untergebracht hatte, obwohl ich ihn schon ganz am Anfang im Kopf hatte, war die „Warten auf Godot„- Sequenz. Wenn wir einen Querschnitt an Menschen annehmen können, dann haben wir eine deutlich geringere aber doch vorhandene Zahl an Intellektuellen, denen das Theater fehlen wird, wenn es lange ausbleibt. Naheliegend ist, dass sie selbst ein Theaterstück inszenieren, wenn die Langeweile groß genug ist. Allerdings musste ich erstmal schauen, wann dieser Zeitpunkt denn kommt. Auch, wie lang die Handlung danach noch im Stollen stattfinden würde. Ich wollte, dass dieses Theaterstück den Höhepunkt des Wartens und der Langeweile von UNTEN markiert. Danach dreht die Handlung nämlich und wir haben eine große Beschleunigung bis zur Katastrophe und dem Ende. Als ich den Moment der Aufführung absehen konnte, konnte ich auch die Handlung dafür einführen. Aber auch die Vorbedingungen, die eine Inszenierung unter so vielen verschiedenen Menschen erst ermöglicht.

Das Theaterstück von Beckett habe ich vorher nicht gesehen. Ich wusste davon nur, was allgemein über das absurde Theaterstück bekannt ist: Man wartet auf jemanden, der nicht kommt. Daher stammt die Redewendung, die ich gerne nutze, wenn das Warten sinnlos ist. Wenngleich Warten für die meisten Menschen die unangenehmste Beschäftigung in der Lebenszeit ist, so ist es eine, der wir nicht ausweichen können und die viel Raum einnimmt. Auf irgendwas warten wir immer: Auf Normalität, auf den Postboten, auf Nachrichten, auf das Ende, auf den Anfang, auf die Liebe, auf die Erfüllung, auf Ruhe, auf Aufregung. Immer zeichnet das Warten aus, dass wir nicht im Hier und Jetzt verweilen. Die Menschen im Stollen warten auch, mit Langeweile und sinnlosen Taten. Und das Warten dachte ich, könnte mit dem Theaterstück über das Warten ein Ende finden, wenn auch nicht das geplante Ende mit dem Erfolg, dass das, worauf alle gewartet haben, eintritt. In dem Zuge suchte ich passende Zitate und passende Handlungselemente aus dem Beckett-Text, mit dem ich mich vorher nicht befasst hatte. Dann folgt das Wunder, dass ich schon öfters erlebte: Meine Intuition (also dieses fragil vage Gefühl) hat mich an die klarste Wasserstelle geführt. Ich habe so sehr passende Zitate gefunden, dass man denken könnte, ich suchte eine passende Geschichte für die Zitate.

Ein Beispiel: Immer versucht, immer gescheitert, egal, versuch‘ es wieder, scheitere erneut, scheitere besser.
– https://gutezitate.com/autor/samuel-beckett

Das war nicht einmal das Beste. Das hebe ich mir auf. Dieses Wunder ist der Grund, dass mir das Schreiben so viel Spaß macht. Ich setze mich mit Dingen auseinander, wie ich es sonst nicht täte und es macht mich glücklich.

Die Handlungsstränge von UNTEN und OBEN unterscheiden sich, ebenso die Positionen der Protagonisten … Mein Leitgedanke auch bei den Figuren:

Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Anonymus – den Marx und Egels waren es nicht.

Arbeitsprozesse – Schreiben

Schreiben. Seit der Mensch zum ersten Mal in Keilschrift erfasst hatte, was er auf Lager hat und was er dafür bezahlen musste, schreibt der Mensch. Wie viele Planeten könnten wir mit phantastischen Geschichten ausstatten!

Wieso also sollte ich dem noch etwas hinzufügen wollen?! Sicher ist alles mehr als einmal erzählt worden.


Steven King hat geschrieben, dass er seinen Millionen zum Trotz weiterschreibt, weil er es liebt zu schreiben. Er hat Lust zu schreiben. Lust am Schreiben? Schreiblust vielleicht?!

Diese Gefühl lässt sich nur verstehen, wenn man es kennt.

Meine jüngste Tochter hat schon mit Mammutprojekten für sich angefangen, als sie noch in der Grundschule war, gleichzeitig liebt sie das Zeichnen. Als sie zehn Jahre alt war, sagte sie zu mir, dass ich sie beim Schreiben immer kritisieren dürfte. Es wäre gut, wenn ich ihr sage, was sie besser machen kann. Beim Zeichnen kann sie das nicht ertragen, das wäre für sie zu wichtig. Wie klar sie hatte, was ihr so wichtig ist, dass sie es sich nicht zerstören lassen wollte. Noch heute denke ich daran, wenn sie mich um eine Beurteilung zu ihren Zeichnungen bittet.
Und sie sagte, dass sie dann die Welt um sich herum vergisst.

Meine große Tochter erklärte mir (sie war 13 oder 14 Jahre alt), dass sie sich selbst Geschichten erzählt und dann die Welt um sich herum vergisst.

ICH? Ich fühle mich wie Gott, wenn meine Figuren auf dem Papier für mich tanzen. Leider tun sie nicht immer genau das, was ich von ihnen erwarte, aber dann muss ich sie leider auch den Schriftstellertod erleiden lassen. Ich habe erst vor drei Tagen ein Liebespaar mit einer Hinrichtung dafür büßen lassen, dass sie nicht mehr machten, was ich wollte. Scherz beiseite: Mit dem Tod einer Figur zeigt man, dass die Lage ernst ist und steigert die Glaubwürdigkeit. Außerdem frisst die Figur dann kein Papier und keine Aufmerksamkeit mehr. Manchmal müssen nicht mehr gebrauchte Figuren weichen.

Es macht Spaß. Das Schreiben.

Ich schreibe nicht für Ruhm (ein bisschen wäre schön), nicht für Geld (eine Hure sind meine Produkte der Phantasie auch nicht) und nicht für Anerkennung (dann wäre ich besser nicht Lehrerin geworden).

Zu sagen, ich schreibe nur für mich, ist Quatsch, denn dann würde ich mir die Geschichte erzählen und fertig. Das stimmt so auch nicht ganz.

  • Ich möchte die Geschichte mit anderen teilen, weil ich sie spannend, witzig, unterhaltsam finde oder weil sie zum Nachdenken anregen könnten.
  • Ich möchte sie in Bildern vor mir sehen und als Bühnenbild oder Film ansehen können.
  • Ich möchte sie meinen mir liebsten Menschen zeigen
  • Ich möchte nach Worten ringen und sie zusammenklauben.

Wenn ich nur mir die Geschichte erzählen wollte, müsste ich gar nicht so genau wissen, welche Berufe die 32 Männer im Stollen haben, welche Hobbys und wann sie alle so geboren sind. Auf der anderen Seite hätte ich nicht so viel Spaß dabei, mir auszudenken, was sie bislang gemacht haben, wenn ich es nicht müsste, damit daraus deutlich umrissene Figuren auferstehen können. Gott, der Hundefrisör hat mir schon viel Spaß gemacht und der Englischlehrer und erst der Frisör. Mein Frisör heißt Elvis.

Welche Eltern können ihr Kind so hassen, dass sie diesen Namen für einen Sohn auswählen? Nicht falsch verstehen, ich mag den Sänger Elvis. Dieser Name ist jedoch so stark besetzt von Elvis, dass es gemein ist, seinen Sohn diesem Gespött auszusetzen. Und nicht jeder, der es in der Schule schwer hatte, wird deswegen berühmt und erfolgreich.

Für den Verlauf meiner Story brauche ich die Berufe meiner Figuren kaum zu kennen, denn durch die Katastrophe (ich sag mal dazu nichts weiter) hat sich gesellschaftlich so viel verändert, dass die meisten Berufe gar nicht mehr gebraucht werden – zumindest nicht für den Lohnerwerb. Natürlich brauchen sie das Gelernte irgendwie zum Überleben. Die Männer hatten zwar alle möglichen interessanten und auch witzigen Berufe, doch ist das für die Situation, in der sie jetzt stecken, ziemlich nutzlos und wenig hilfreich. Bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht zeigt das – das ist mein Spaß -, dass wir uns so hübsch spezialisiert haben und so schön die Aufgaben verteilen können (der Hundefrisör ist da sicher der Gipfel, ja und mein Besamer, nicht zu vergessen den Sozialwissenschafts- und Englischlehrer), dass wir im Falle einer realen lebensbedrohlichen Krise, die uns aus dem zivilisierten übertechnisierten Alltag zurückwirft auf die uns von Natur aus gegebenen Überlebensstrategien, erstmal da stehen, wie der Ochs vorm Berge. Wir würden überleben, wir fänden Strategien. Klar, das zeichnet den Menschen aus. [Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit] Doch wir hätten stark mit unserem Wunsch nach „Normalität“ zu kämpfen – wie die C-Krise (die für uns Deutsche doch harmlos verläuft) zeigt. Wir sind natürlich bereit, erstmal zu akzeptieren, dass es kurzfristig eine Veränderung gibt, aber in Wirklichkeit liegen wir wie Gregor Samsa auf dem Rücken und wollen die Augen vor dem verschließen, was unsere Normalität irritiert. [Die Verwandlung, Kafka] Das führt zu weiteren menschlichen Krisen wie Depressionen, aggressivem Verhalten, Apathie und Ähnlichem mehr.

Ich will sagen, es macht mir Spaß, mir all das auszudenken und zu überlegen, was der Leser dazu sagen wird. Und da denke ich auch an meinen Idealen Leser – wie Stephen King sagte. Bei ihm ist es seine Frau. Bei mir mein Partner. Zumindest wünsche ich mir das.

Als ich in seinem Buch „Das Schreiben und das Lesen“ las, dass er meinte, dass er bestimmt vor Carrie (sein Durchbruchsroman) aufgehört hätte zu schreiben, wenn seine Frau ihn nicht immer wieder ermuntert hätte, weiterzumachen, dachte ich an meinen Ex-Mann, an einige Ex-Beziehungspartner und dachte, dass mir die das Weiterschreiben nicht leicht gemacht hatten. Ich hätte für meinen Ex-Mann gar nichts schreiben können; es hätte ihn schlicht nicht interessiert. Ein Jugendfreund sagte mal, dass er es gerne schauen würde, wenn es verfilmt worden sei. Und jetzt meinte mein Partner – wir sind noch nicht so lange zusammen -, dass er sich freut, wenn er es lesen kann. Das ist Premiere – fast. Während des Schreibens denke ich oft: Was wird er wohl sagen, wenn er das liest?

Was nehme ich an wichtigen Botschaften von King mit:

  1. 10 Prozent müssen beim ersten Redigieren raus.
  2. Prüfe dein Leitmotiv und die Symbolebene – findet sich da was?
  3. Schreib erstmal – Hauptsache die Seiten füllen sich.
  4. Stilfragen kommen in die zweite oder dritte Runde – halte dich nicht mit einzelnen Wörtern zu lange auf.
  5. Kill die Adverben [er tritt sie tot] und schreib nicht so viel Redundanzen (ellenlange Beschreibungen in allen Richtungen). Und ich würde hinzufügen: Tot allen Füllwörtern: auch, eigentlich, mal, überhaupt, schon, aber, ja, nur, noch, doch, wieder, vielleicht, eventuell, dann. Das sind von allen die schlimmsten, denn dieses Unkraut wuchert unansehnlich auf der Wiese und macht Ärger. Ein Satz ohne diese angeblichen Verstärker wirkt um ein Vielfaches dichter, klarer und eindeutiger. Die Klarheit der Einfachheit.
  6. Lass dem Leser Lücken zum Füllen – er hat ja auch Phantasie dabei.
  7. Tür zu: Du und der Text/ Tür auf: der Text und die Welt.
  8. Kill your darlings – nicht dass ich es nicht schon wusste, aber es tut trotzdem weh.

Er hat natürlich viel viel mehr gesagt, aber das war es, was ich als wichtig erachten würde. Er hat auch gesagt, dass Lesen und Schreiben das Schreiben schulen würde, dass man nicht genug Romane lesen kann, dass Recherche natürlich auch wichtig ist (wenn das Buch geschrieben ist.), dass man einen Werkzeugkasten braucht und einen schönen Arbeitsplatz und eine konkrete Arbeitszeit … Jaja. Das kennt man alles.

Übrigens lässt sich das Buch richtig schön wegschnabulieren. Ich kann es empfehlen.

Die Unschärfe des Begriffs Bildung

Ein Gebilde der Kunst




Ein Begriff lässt sich fassen, wenn wir seine Umrisse konturieren. Um den Begriff Bildung zu bestimmen, beginnen wir mit dem Wortstamm: Bild. Ein Bild ist eine Anordnung von kompositorischen Elementen, denen ich einen Sinn entnehmen will. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt von einem unendlichen Raum zu einer beliebigen Zeit. Für das Erfassen benötige ich eine Begrenzung. Das Bild wird als Ausschnitt begrenzt und erhält durch die Definition von Umgrenzung eine Bedeutung. Auf dieser Bildebene verwendet es seine eigene Sprache, die ich als Betrachtende deute. Ich setze das Bild in einen für mich verständlichen Kontext. Ohne alle Bilder dieser Welt zu kennen, erfasse ich, dass etwas diesem Muster entspricht, wenn mir ein unbekanntes Objekt dieser Art vorgelegt wird. 

Mit dieser simplen Formel zeigt sich schnell, dass Bildung nicht die Ansammlung von Wissen sein kann, denn Wissen allein ist unverwertete Information wie der offene Raum zu einem beliebigen Zeitpunkt. Der Begriff „Bildung“ hat jene Unschärfe, wie sie Wittgenstein bereits in seinem Tractatus Philosophicus beschrieben hat, denn was genau diesen Begriff auszeichnet, definiert jede Institution, jeder Philosoph oder jedes Individuum für sich – zumindest könnte man das meinen. 

Von diesen zu verwertenden Informationen wird eine Summe mit Bedeutung gebildet, damit wird etwas, was vorher unspezifisch vorhanden war, angeordnet bzw. zusammengefasst. Wenn ich wie im Beispiel des Bildes davon ausgehe, dass Wissen nicht beliebig angehäuft wird oder dass Erfahrungen sinnhaft erfolgen, dann muss ich weiter davon ausgehen, dass Bildung von Etwas ebenfalls dem Gesetz des sinnstiftenden Zusammenhangs folgt.

Spreche ich von einem gebildeten Menschen, meine ich nicht ausschließlich einen intelligenten Menschen oder einen wissenden Menschen, sondern einen Menschen, der sich auf eine spezifische Weise anderen Menschen sowie seiner Welt gegenüber verhält. Zumeist ist das eine Ehrbekundung, wenn ein Mensch als gebildet bezeichnet wird. 

Gebildete Menschen sind zugleich bescheiden oder zumindest wenig eitel, so wie Sokrates als gebildeter Mensch weit über seine Lebenszeit hinaus bekannt ist. Er soll einmal gesagt haben, dass er nur wisse, dass er nichts wisse. Ein dummer Mensch würde an der Stelle sagen: „Hä, weiß er jetzt was oder weiß er nichts?“ Ein kluger Mensch schweigt und denkt über diese Aussage nach. Ein gebildeter Mensch hingegen nickt und sagt, dass das der Bedeutung des Begriffs „Halbwissen“ von Adorno wohl am nächsten käme.

Adorno meint, dass Bildung erst dann erfolge, wenn ein Individuum sich selbst bilde und selbst bestimmt, mit welchen Inhalten dies geschehen könne. (Theorie des Halbwissens, Theodor Adorno) Woran ich als Individuum reifen kann, wie ich meine Umwelt begreife, dass entscheide ich als Individuum selbst. In diesem Sinne gibt es nach Ansicht Adornos keinen gebildeten Menschen, da doch jede Bildung scheitern muss, weil sie stets von außen an das Individuum getragen würde, bevor dieses selbst erkennen kann, dass es sich in einem Bereich bilden will?

Bei der Beobachtung von Kindern in den ersten sechs Lebensjahren, also bevor sie in die Schule und damit in die Bildungsanstalten kamen, zeigte mir, dass der Mensch lernen will, weil er seine Umwelt begreifen will. Diese Beobachtung deckt sich mit denen von Montessori und Piaget, die dafür bekannt wurden, weil sie den Lerndrang von Kindern beschrieben. Piagets Definition des Lernens mit diesem Bildungsgedanken zu verknüpfen, ist sicherlich bereits geschehen, denn die Ideale der Bildung hochzuhalten, geht immer einher mit dem Lernen an sich.

Die Anlage zum Lernen muss bereits vorhanden sein, denn der Mensch wird wie kein anderes Tier unfertig geboren und besitzt keine Verteidigungswerkzeuge von Natur aus (Krallen, Schnelligkeit, Hauer, Hörner, etc.). Die Fähigkeit, die der Mensch hat, ist ein Gesellschaftswesen zu sein und von anderen Menschen, die er in der Gruppe immer schon vorfindet, zu lernen. Wir werden in eine bestehende Welt hineingeboren und versuchen diese zu begreifen, Schritt für Schritt. Die Komplexität der Welt bringt es mit sich, dass diese Auseinandersetzung mit der Welt ein nicht-endender Prozess ist. So wie ich nicht anders kann, als all das, was mir begegnet, nach meinem Verständnis zu interpretieren und zu verankern, so kann ich nicht aufhören, Wissen zu sammeln und Zusammenhänge zu ziehen. Doch scheinbar gibt es dennoch etwas, was wir dann als Unbildung oder Missbildung im Gegensatz zur Bildung verstehen. 

Nicht jeden Menschen eines bestimmten Alters bezeichnen wir als gebildeten Menschen, obwohl doch alle alten Menschen viel gesehen und erlebt haben. Es gibt Menschen, die sind wissenshungrig, gehen Risiken ein und setzen sich auf  besondere Weise mit ihrer Welt auseinander. Mit einem Bild von Rainer Schröder aus seinem Roman Das Geheimnis des Kartenmachers gesprochen: Die meisten Menschen sind Maulwürfe, manche Adler.

Auch wenn man wie Peter Bieri in Wie wäre es, gebildet zu sein? die verschiedenen Facetten von Bildung skizziert, so bleibt bestehen, dass diesen Begriff eine Unschärfe umgibt, der sich erst je nach Kontext und Gebrauch konturiert. Doch genau durch diese vielfältige Verwendung bleibt dieser Begriff in sich unspezifisch genug, dass er sich wie ein Chamäleon anpasst. Unschärfe gehört zu seinem Fachgebiet.