Proben, Ideen und weitere Proben

Fast hatte ich vergessen, wie viel Spaß Theatermachen wirklich bedeutet. Ja, als Schauspiely ist es schon fein, doch als Regisseury1 ist es deutlich spannender. Was kann ich für Ideen entwickeln!

Erste Festigungen des Ensembles

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Am Anfang hatten wir viele Schülys, die mal kamen, mal nicht, die mal dabei waren und dann wieder nicht. Spaß hatten alle immer, würde ich zumindest behaupten. Etliche Schülys haben nach kurzer Zeit aufgehört, weil ihnen das eine zu hohe Belastung neben der Schule sei. Einige haben die Proben dafür verantwortlich gemacht, dass sie Noteneinbrüche hatten, obwohl sie maximal ein Mal im zwei Mal im Monat in derselben Doppelstunde gefehlt haben – wenn überhaupt. Andere wurden durch die lange Arbeitsphase abgeschreckt. Andere glaubten, nie eingesetzt zu werden oder wollten eine wichtigere Rolle haben. Was genau die Motive für und gegen das Mitmachen letztlich bestimmte, können wir gar nicht genau sagen. Jetzt haben wir eine relativ stabile Gruppe, die sich aufeinander freuen und miteinander Spaß haben. Ca. 25 Schülys sind es, darunter sogar fünf Jungen – freiwillig.

Unbekannter Künstly – gesehen auf Spiekeroog 2024

Nach einer Samstagprobe in der Schule zeigte sich schnell, wer wirklich interessiert an dem Musical und der Gruppe war und wer nicht. Vier Stunden waren wir in der Aula und haben eine Probe gehabt, die tatsächlich unseren Prozess vorangeführt hatte. Unser aktuelles Hauptproblem ist nämlich, dass die 1 1/2 Stunden Unterricht eigentlich für intensive Proben zu kurz sind, um auch noch an den Szenen zu arbeiten, denn nie sind alle für eine Szene da. Was bleibt, ist die Klarheit des Ziels und gegebenenfalls die Modifikation der Hinführung vor Augen zu behalten – auch im Nebel.

Zu spüren ist jedoch eine große Lust bei jenen, die jetzt mitmachen. Das arbeiten ist ein Vergnügen und geht ganz leicht von der Hand.

Wir wollen diesem Problem durch mehrere Intensivproben am Wochenende begegnen und so sehen, dass wir bis zu den Sommerferien ein bisschen von dem Theaterprogramm aktiv entwickelt haben. Die Gruppe will als Kostüme die 80er Jahre feiern und aufleben lassen. Das wird ein Spaß.

Zusammenspiel mit anderen Gewerken

Eine Kunstkollegin arbeitet mit ihren Schülys zum Thema Müll für das Musical und baut einen Leuchtturm aus Müll. Ausgestellt wird dieser Turm dann bereits zum Sommerfest und bekommt eine Leuchte. Wenn das Objekt für die Bühne nicht mehr gebraucht wird, wird es dennoch als Ausstellungsobjekt weiter für das Musical einen Ehrenplatz in der Eingangshalle erhalten.

Ein Technikkollege bildet eine Schülygruppe aus, die dann für die Licht- und Ton-Technik bereitstehen, gleichzeitig hoffe ich auch die Videoeinspieler an diese Gruppe abgeben zu können. Mein Musical-Co selbst will eine Fortbildung in dem Bereich machen, schon damit er sich auch auskennt.

Mein Musical-Co orchestriert das Musical natürlich, leitet die Schulband und ist insgesamt sehr daran interessiert, dass musikalisch das Stück auf der Höhe ist. Außerdem erstellen wir zusammen das Video für die Werbung, damit wir beim Fest schon ein paar Spendengelder dafür eintreiben können.

Ein paar Ideen für das Stück

Meine erste Idee: Videoeinspieler Vandalismus durch Graffitis wird mit Live-Musik begleitet, dann Wechsel auf die Bühne, Breakdance-Einlage als Überleitung und in Pantomime die Verfolgung und Stellung des Sprayers – unsere Hauptperson; dabei läuft die Musik von Band. Die Verschränkung von Illusion und Realität. Das Video wird in Comicstil überblendet, so dass es zu der Pantomime – als Cartoonstil – passt.

Meine zweite Idee – die davon lebt, wie sie umgesetzt wird: Der 2. Akt beginnt mit einer Bonbon-Leuchtreklame-Las-Vegas-Straße, die so schrill und schreiend ist, dass jede Ecke vor Konsumlust nur so strotzt, dass jeder einkaufen will. Am liebsten mit einem realen Kaffeebike, das Kaffeeduft verbreitet und einem Popcornstand, weil der verbreitete Duft die Illusion verstärkt. Diese Illusion soll natürlich durch Pappaufsteller erzeugt werden. Die sind beweglich und sollen in dem Akt zunehmend mehr und mehr Raum wegnehmen, also die Rückseite der Straßenfront dient der Raumverkleinerung bis zur letzten Szene, die dann den Raum aufbricht. Der Gedanke dahinter: Wir sind nicht wirklich frei in unserem Handeln, gesellschaftlich nehmen uns der Andere, die Werbung, die Regeln den Raum so zu sein, wie wir wollen. Doch es gibt Hoffnung – eventuell.

Die 3. Idee für das Abschlussbild: Damit auch a) alles noch einmal verbunden ist und b) das Edikt des MUSICALS voll erfüllt ist, gibt es ein bonbonreifes Abschlussbild. Den vorletzten Auftritt hat mein Nazi, der dann wie ein freier Radikaler von der Gruppe eingefangen und integriert wird. Nach der Gerichtsverhandlung gehen die Hauptpersonen ab und die Bühne wird schwarz (wir haben keinen Vorhang); Sascha kommt von der Seite, gekleidet wie ein Nazi. Während dessen ziehen alle im Dunkeln ihre Oberbekleidung aus und sind darunter einfarbig bunt (rot, blau, gelb, lila, rosa, grün), Licht geht an. Einer aus der Gruppe geht zu Sascha – Fokus setzen – und zieht ihm die Lederjacke aus, das einfarbig bunte T-Shirt (grün für die Hoffnung) an und nimmt ihn mit an die Position des Regenbogens, wo die Farbe hingehört. Zu sehen ist dann inzwischen ein Regenbogen aus Menschen und wir singen das letzte Lied: An irgendeinem Tag geht die Welt unter.

Idee 4: Die Gerichtsverhandlung ist mit umgedrehten Rollen, die kleinen Kinder machen auf Erwachsene und alle, die Erwachsen aussehen, spielen die Kinderrollen – die wir zwar nicht in der Menge brauchen, aber ich will ganz viele Schaulustige auf der Bühne sehen. Am liebsten würde ich die Kindererwachsenen in Kleidung aus dem Siedler-Amerika kleiden oder mit Zylinder und Gehstock, das wäre nur zu den 80er ein harter Stilbruch.

Ich bin gespannt, was sich davon umsetzen lässt. Im ersten Akt sind viel häufiger unterstützende Tanz- oder Performance-Einlagen geplant, dafür wird das Bühnenbild im zweite Akt üppiger und präsenter. Auch mit dem Make-up will ich was machen, so soll der Maiseltanz wirklich mit schöngemalten Gesichtern getanzt werden, doch ansonsten hätte ich gern die Gesichter mehr Schwarz-weiß … Auch braucht es noch ein paar Dinge für das Video und dafür müssen wir Zeiten haben, damit wir das machen können. Also nach der Schule – weil er natürlich nachts gestellt wird.

  1. Bereits in einem anderen Artikel („Du bist mir schon eine Marke!“ – Als Autory, oder was?) habe ich erklärt, wieso das Gendern nicht immer brauchbar ist, weil das geschlechtsbezogene Unterscheiden oft irreführend ist und nicht in jedem Kontext hilft. Ich habe mich für das neutrale „y“ entschieden, dass nicht ein versteckter Hinweis auf XY-Chromosomen ist. Ich möchte nicht darüber nachdenken, ob es mehr weibliche oder mehr männliche Schauspieler gibt, es gibt Menschen, die schauspielen und die singen und die schreiben. Das tun sie sehr sehr selten mit ihren Geschlechtsorganen. ↩︎

Mein Musical – es geht los. Step one ist bekanntlich der schwerste

Wie ein langer Hürdenlauf erscheint mir der Weg bis zur Aufführung meines Musicals zu sein. (Mein Cursor ist weg, das irritiert.) Erst brauchten wir, mein Kollege für die musikalische Leitung und ich grünes Licht von oben. Endlich konnten wir genug Überzeugungsarbeit und Übernahme aller Verantwortung und Arbeit leisten, dass wir überhaupt nach einem Ensemble Ausschau halten durften. Dann mussten wir nach Schülerscharen suchen, die überhaupt willig sind, mitzumachen. Von 1300 Schülerinnen und Schülern haben wir jetzt 40 abgeschöpft, die jedoch von den Lehrkräften direkt als erstes mitgeteilt bekommen, dass sie auch ja immer gucken, dass sie alles nacharbeiten. Also haben einige meiner 40 Findlinge bereits wieder tapfer die Schulkarte gezogen und sind ausgestiegen …

Und dennoch, es sind so viele Schülys, dass wir die Rollen doppelt besetzen können, dass wir eine eigene Performancegruppe habe und dass wir einen Chor aus der Schülerschar stellen können. Alle Rollen doppelt vergeben, zwei mal zwei Inszenierungen und trotzdem die Sicherheit, dass nichts schief gehen kann. Wie cool.

Und dann ist da die Organisation: Klausurpläne im Blick behalten, säuerlichen Kollegen noch zwei mal mündlich erklären, wozu es schon Info-Mails gab, aus allen Listen die Kollegen zusammensuchen, bei denen die Schauspieler und die Sänger Unterricht haben, die Regeln kommunizieren, mehrfach auf verschiedenen Kanälen, Listen herumschicken, abgleichen, Probenpläne erstellen, alle Bedürfnisse der Künstler berücksichtigen, da dazwischen? Dazwischen wieder eine Mail von irgendwelchen Kolleginnen und Kollegen, die ja das Projekt an sich ganz toll finden, aber muss es denn wirklich so sein, dass man dafür probt – also generell? Dann fällt wirklich ständig Unterricht aus. Ich erkläre also das zehnte Mal, dass es einen Probenplan geben wird, dass die Schülys nur dann fehlen und dass jetzt etwas geballt ist, weil wir erst festlegen müssen, wer welche Rolle spielen kann und ein bisschen entnervt erkläre ich, dass bislang alle Schülys maximal zwei Mal bei uns waren, wir sie in kleineren Gruppen eingeladen haben und viele überhaupt nur einmal bei uns waren. Ist aber schon viel, was die jetzt fehlen werden. Ich bitte um eine Versuchszeit bis zu den Weihnachtsferien, danach könne man nochmals ins Gespräch gehen und schauen, wie viel der Schüler oder die Schülerin (unsere meisten Ensemblemitglieder sind natürlich weiblich) tatsächlich fehlt.

Jetzt kann es los gehen.

Mail: Hauptfigur Tom 1 verlässt die Schule.

Äh, woher nehme ich den Ersatz? Mist.

Wenn ich mich allerdings in die Beobachterposition begebe, fällt mir auf, wie reizvoll dennoch das Planen und Organisieren ist. Noch ist alles möglich. Jungfäulich offen und unversehrt. Die Rollen sind verteilt, der Text steht und in meiner Phantasie gibt es eine wundervolle Inszenierung mit Videoeinspielern, mit einem anpassungsfähigen Bühnenbild, bunten Showelementen, mit einer musical-würdigen Abschlussszene, mit einem passenden Rahmen, einer super Anmoderation und einer punktgenauen Technik, mit Händeschütteln, Verträge für ein großes Opernhaus, mit den Ärzten als Gäste, die dieses Musical kaufen wollen, mit dem Bundesverdienstorden und einer Schulleiterin, die mich anfleht, nicht zu kündigen, damit alle zwei Jahre an ihrer Schule ein so großartiges Musical stattfinden kann. Ich bekomme das Angebot, dass ich nur noch Theater mache, junge Referendare mit Theaterpädagogischen Elementen auf das Leben im Unterricht vorbereite, dass ich an diversen Schulen dafür gerufen werde, Theaterprojekte bis zum Erfolg zu führen und dafür muss ich keine Noten geben, nicht mehr an Notenkonferenzen teilnehmen, nicht mehr an Schulkonferenzen teilnehmen und überhaupt …

… dann kann ich aus einer Toilette trinken ohne Ausschlag zu bekommen.