Exklusiv: Interview mit einem Newbie am Autorenhimmel. Die Debütautorin Scarlett H Mirro erklärt

Ich hab es mir nicht nehmen lassen, wo ich schon mal so dicht an einer Autorin herankomme, mit Scarlett H Mirro ein Interview zu führen. Hier präsentiere ich es im klassischen Frage-Antwort-Format.

Hallo Scarlett H Mirro. Wir haben bereits berichtet, wie du zu deinem Künstlernamen gekommen bist. Wie siehst du das heute?

Viele machen mich darauf aufmerksam, dass hinter dem H doch wohl der Punkt fehle. Das Fehlen wird nicht als Besonderheit, sondern als Fehler wahrgenommen. Das hatte ich nicht bedacht.

Und hat das eine Konsequenz für dich?

Tatsächlich überlege ich, weil ich ja keinen „fehlerhaften“ Namen nutzen will, ob ich das ändere. Vielleicht.

Von deinem Künstlernamen abgesehen, ist ja auch der Titel eher ein Arbeitstitel, oder?

Eigentlich hatte ich den Titel für einen genialen Wurf gehalten. Kurz, eindeutig und vieldeutig, aber ich gebe heute zu, er geht doch wenig flüssig von den Lippen. Na, letztlich frag ich mich, ob man auch Grisham gefragt hat, wie er zu „Die Jury“ kam.

Ein Titel ist wie der Name eines Kindes. In vielen Augen eigenartig oder falsch oder deplatziert oder unpräzise, doch mit der Zeit gewöhnen sich auch die größten Kritikerinnen und Kritiker, bis es „normal“ ist, dass der Roman oder die Geschichte so heißt.

Dabei gibt es eine echte Erklärung für diesen Titel. Die Loge „Liliths Schwestern“ gibt fiktional betrachtet als Rahmenhandlung diese Teile als Hinterlassenschaft der letzten Männer heraus. Es sind alles Dokumente, die diese Loge archiviert und für die Nachwelt erhalten will, damit die Männer als Teil der Gesellschaft – wenn auch historisch geworden – nicht in Vergessenheit geraten. Diese ersten Dokumente oder Akten, hat die Gründerin Emma Seidensticker gesammelt, nämlich als Akte „Oben“ von der Impfstofffinderin Anna Kowalski und als Akte „Unten“ von ihrem Ehemann und ersten Überlebenden Jacek Kowalski. Sie hat die Akten nach dem Ort unterschieden, damit die Namen der Erzähler und der Erzählerin nicht öffentlich werden. Wenn man so will, sind „Oben“ und „Unten“ Codewörter.

Oh ja, das klingt auf jeden Fall nach Verschwörung und Geheimorganisation.

Ja, das ist ja verrückt. Mensch. Vielleicht klingt es so, weil das ja alles sogar drin ist! Verschwörungstheorien tauchen zahlreich auf. Eine hier und eine da. Es gibt einige ganz lustige Geschichten dazu, zum Beispiel …

Nicht spoilern. Stoppt. Davon lass uns später reden. Doch was uns außerdem brennend interessiert: Wie verlief die erste Lesung?

Die erste Lesung? Ja, schön, dass du mich darauf noch einmal ansprichst, aber das war nicht meine glanzvollste halbe Stunde. Ich war zwar vorbereitet, doch hab ich einen der Kardinalsfehler begangen. Wirklich niemals sollte man an einem Ort sprechen, ohne vorher eine Probe gemacht zu haben. Die Akustik war wirklich schlecht. Ganz selbstkritisch muss ich zugeben, dass ich selbst nicht deutlich genug in die Geschichte einführt habe. Ich wollte es richtig gut und richtig spannend machen und hab damit leider den Kern der Geschichte versäumt, darzulegen. Wirklich blöd gelaufen.

Anfängerfehler. Sowas kann doch passieren.

Vielleicht. Vielleicht einer Person, die sich nicht mit Bühnenauftritte auskennt, die kein Theater macht. Aber mir? Mir hätte das nicht passieren dürfen. Ich versuche mir das zu verzeihen, um es beim nächsten Mal besser zu machen!

Und wie geht es aktuell für dich weiter? Was ist der nächste Schritt?

Wie du weißt, habe ich mit einem Partner den Verlag Wortfuge gegründet, den gilt es nun auch zu füttern. Dafür braucht es wirklich meinen Einsatz, vor allem zeitlich. In den Weihnachtsferien werde ich Lese-Videos aufnehmen, die ich nach und nach in den Äther der sozialen Medien sende, damit ich meinen Roman vor allem an eine mir unbekannte Leserschaft bringe. Im Moment ist es noch so, dass jeden einzelnen Leser und jede einzelne Leserin mir bekannt ist. Das ist schon wirklich spannend, zu wissen, dass mein Roman bei Freunden auf dem Nachttisch liegt. Doch was ist, wenn ich den Leser oder die Leserin nicht mehr kenne und sie eines Tages einen Leserbrief oder eine Nachricht in einer Cloud schreiben und meinen Roman erwähnen, mir oder anderen berichten, was sie denken, wegen dieser Geschichte? Das ist wirklich aufregend.

Hast du denn schon Kommentare zu deinem Roman gehört?

Bislang sind das natürlich die üblichen Floskeln: Spannend. Gefällt mir. Ist ganz gut. Interessant. Sowas eben. Ich höre auch: Ich komm nicht dazu, zu lesen. Ich lese ja nicht so viel oder erstmal lese ich was anderes.

Und das ist nicht, was du hören willst?

Es ist natürlich nett, wenn mir jemand sagt, dass ihm oder ihr mein Buch gefällt. Was mich wirklich interessiert, sind jedoch weiterführende Gedanken, die sich die Lesenden machen: Was ist deine Lieblingsfigur und warum? Was denkst du zu dieser Art Zukunft? Wozu regt dich die Geschichte an? Welche Fragen stellst du dir? Was findest/fandest du witzig? Wann hast du gelacht? Womit hast du nicht gerechnet?
Letztlich ist eine Geschichte auch Geschmacksache. Eine Spielfreundin erklärte mir, dass diese Art Geschichten nicht so ihre wäre. Nicht jeden Geschmack kann ich treffen. Auch wenn sich meine Eitelkeit angekratzt fühlt. Die eine findet vielleicht diese ganzen ausgeloteten Philosophien unerträglich zäh. Der nächste jedoch mag die Vielfalt der Perspektiven. Ein weiterer wünscht sich eine Liste mit einer Personenübersicht, weil es davon so zahlreiche gibt. Eine andere findet genau das überflüssig, weil man sich das doch merken kann und seine eigene Phantasie nutzen will.

Ja, es sind aber auch wirklich mächtig viele Figuren, die du da am Start hast.

Das stimmt. Ich hab selbst ne Liste gebraucht. Vielleicht sollte ich sie wirklich der Leserschaft bereitstellen. Wie genau ich das mache, weiß ich noch nicht. Vielleicht wäre eine Ehrentafel auf der Seite der Schwesternschaft eine gute Idee. Darüber mache ich mir noch Gedanken.

Das Buch ist ja fertig, also damit ist doch die Bahn frei für den kreativen Ausschuss für den zweiten Teil. Wie steht es damit?

Mal langsam. Wir haben festgestellt, dass die Vermarktung und der Vertrieb dieses ersten Teils schon noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen wird. Auch wenn der zweite Teil schon seit drei Jahre unvollendet auf meinem Rechner hängt, nützt mir wenig, dass er bereits halb abgeschlossen ist. Ich habe bei diesem ersten gemerkt, dass es mehr Zeit abverlangt, als ich erwartet habe, die Korrektur zu machen. Allerdings hab ich das auch nicht so schlau angefasst und irgendwie versucht, wie eine Anfängerin irgendwie hinzubekommen, statt mir die Hilfe zu holen, die nahe liegt. Überhaupt, gerade in diesem ersten Teil liegt viel Lehrgeld. Aber das war zumindest schon einkalkuliert. Zu der Frage, was jetzt ansteht, lautet meine Antwort: Aktuell muss ich für mich prüfen, wie sehr ich schreiben und Verlagsarbeit machen will. Komme ich nicht raus aus meinem Schuldienst, muss ich diese Pille schlucken, dann geht das nur, wenn ich meine Stundenzahl reduzieren kann, denn sonst blute ich aus. Ich brauche einen alternativen Job, damit meine kreative Kraft nicht so abgesaugt wird. Wie aber alle Menschen um mich herum, setzt sich meine Lebenswelt aus vielen Aufgaben zusammen. Ich bin schon froh, dass gerade das Musical zu einem Ende kommt, so dass damit wieder Kräfte frei werden. Andererseits hat sich schon ein neues Theaterprojekt angekündigt. Und wenn ich das ernstnehme, bindet das natürlich auch wieder Ressourcen.

Stimmt, du bist nebenher auch als Lehrerin und als Theaterpädagogin tätig. Was heißt das denn genau?

Aktuell arbeite ich noch an meiner Musicalproduktion. Ich habe die Textfassung dazu geschrieben und mit einem Musikkollegen zusammen die Stücke ausgewählt und die Gruppe gecoacht und Regie geführt. Die gesamte Organisation hing an uns, dafür haben wir einige Lehrkräfte aktiviert, die unser Projekt unterstützt haben. Jetzt sind noch zwei Wochen Zeit, bis es zur Premiere kommt. Wir zeigen das Stück zwei Mal. Ein wahnsinnig tolles Bühnenbild ist in der Kooperation mit einer Kunstlehrerin entstanden und ein Teil des Kollegiums singt auf der Bühne mit. Insgesamt ein großes Ding. Die Handlung ist entsprechend der Gestaltung von Musicals einfach, mit Gesang, Tanz und Musik. Ein Paar aus den 80ern, er Rocker und sie eine Weltverbesserin, sie kommen zusammen, sie will was bewegen, er will seine Ruhe. Ihr zum Gefallen sprayt er ein Graffiti an die Wand und wird erwischt. Doch es geht alles gut aus. Nach den Sommerferien haben wir das Stück noch einmal scharf eingedampft, damit wir es aufführen können. Jetzt wird es richtig gut. Außerdem hab ich von einem Kollegen den Literaturkurs übernommen: Der zerbrochene Krug. Ich mag das Stück vom Kleist, gleichzeitig wohnt in mir dieser kleine Schalk, der ja nichts einfach genauso aufführen kann, wie es geschrieben steht. Andererseits ist eine ernsthafte Aufführung zu machen, auch eine wirkliche Herausforderung für mich.

Moment, da würde ich doch gern mal nachhaken, was meinst du damit, dass du kein Stück so aufführst, wie es geschrieben steht? Du hast „Kabale und Liebe“, „Iphigenie auf Tauris“, den „Zauberlehrling“ doch schon mal auf deinem Plan gehabt. Hast du die nicht ernsthaft aufgeführt?

Fangen wir hinten an: Den Zauberlehrling hab ich verändert, damit er als Stück funktionierte. War eine Schwarzlichtinszenierung. Darunter hab ich die andere berühmte Ballade von Goethe gemischt: „Erlenkönig“. Schiller und Goethe hatte ich damals sehr verknappt zusammengesetzt, die Rahmenhandlung war dann ein kollegiales Miteinander zwischen Schiller und Goethe, die sich Auszüge aus ihren aktuellen Theaterproduktionen zeigen, um darüber fachmännisch zu diskutieren. Ich fand zum Beispiel die „Iphigenie“ immer sehr langweilig, zu redelastig und habe eine Kampfszene eingebaut, die es in Goethes Textfassung nicht gibt. Schiller gefällt die Szene so nicht, er kritisiert also den ehrwürdigen Goethe und bietet ihm mehrere Alternativen an. Goethe ist so verärgert, dass er erklärt, die Szene aus seinem Stück einfach ganz zu streichen. Das genau mein ich mit Schalk. Ich kann es nicht lassen, etwas Vorgefundenes neu zu gestalten, neu anzuordnen. Bei Stücken wie „Woyzeck“ ist das natürlich gar kein Problem. Da ist ein experimentelles Herangehen nahezu vorgeschrieben. Aber sonst gelingt mir das einfach nicht.

Wie du das so beschreibst, brennst du jedoch für die Theaterarbeit und es scheint so, als würde dir etwas fehlen, wenn du kein Theater mehr machen darfst.

Das hast du richtig erkannt. Ja, mir würde etwas fehlen. Ich mache sehr gerne Theater. Schon das der Grund, weshalb ich nun die Ausbildung zum BUT bei Sandra Anklam abschließe. Vielleicht kann ich mir doch einen der wenigen Jobs angeln, bei denen man fest angestellt ist, dann würde ich dafür den Schuldienst sofort quittieren. Naja, im Grunde mach ich zu wenig Theaterprojekte, um trotz all der Jahre so viel Erfahrung damit zu haben, wie zum Beispiel Sandra Anklam, die in einer Woche einen Kurs leitet, eine andere Woche ein neues Theaterprojekt anfängt und so mehrere Spielbälle in der Luft hält. So ein Job wäre ideal.

Vorhin hast du aber gesagt, dass das deine Kreativität dann abzieht.

Richtig. Die Schule tut das mit ihren Stressoren, dem Termindruck, den Klausuren, den Korrekturen. Ich weiß nicht, ob das bei einem Beruf, wie ihn Sandra Anklam ausübt, auch der Fall wäre.

Das kannst du ja nicht ausprobieren. Doch wenn du irgendwo angestellt bist, wo du bleiben magst, wirst du dich nicht lösen und durch die Welt fahren, damit du schreiben kannst. Richtig?

Richtig. Vielleicht fehlt mir doch der Mut und ich bin nur eine dieser Maulheldinnen.

Am Ende machst du es wie Karl May und schreibst nur über deine Sehnsüchte.

Vielleicht. Am Ende.

Der Superheld Bildungsretter gegen Ignoranz und Gewalt – Ist er ein Mythos?

Letzte Unterrichtsstunde vor den Ferien. Vertretungsunterricht. Die Schülerschaft hat sich einen Film überlegt, den sie sehen wollen. „Nur eine Frau“ (2019). Der andere Lehrer hat grob geschaut, wovon der Film handelt: Tötung einer Frau als Ehrenmord auf deutschen Boden nach einer wahren Geschichte. Der Junge, der den Film vorgeschlagen hat, selbst ein türkisch-stämmiger Junge, kannte die Geschichte. Ich schau mich in der mir unbekannten Lerngruppe um. Ein Mädchen trägt Kopftuch wie die Hauptdarstellerin des Films, genau sie wirkt eher abwesend, beschäftigt sich mit dem I-Pad, dem Handy und ihrer linken Sitznachbarin.

Der Film eignet sich hervorragend, um die Problematik von Tradition und Religion, von Frauenunterdrückung und Rollenproblematiken zu thematisieren, sie zu diskutieren, wenn man sie denn erkennt. Aber worum geht es eigentlich?

Eine junge Türkin wird nach den Regeln ihrer Wurzeln durch den Vater in Istanbul mit 18 Jahren (vermutlich) zwangsverheiratet. Schwanger und vielfach geschlagen kommt sie nach Deutschland zu ihrer zehn-köpfigen Familie (acht Geschwister bei fünf Brüdern und drei Schwestern) zurück und bringt damit die erste Schande über die Familie. Das lassen ihre Geschwister und ihre Eltern sie spüren. Sie ist nicht willkommen, sie hat keinen Platz in der ohnedies engen Wohnsituation und wird schließlich in die Putzkammer verwiesen. Sie sucht sich bei den Ämtern Hilfe, denn die Belastung wird für sie immer größer. Sie will ausziehen. Zweite Schande, die sie über die Familie bringt, denn allein Frauen bringen über die Familie Schande. Nach und nach bricht sie sämtliche Regeln, legt das Kopftuch ab, hat einen Freund, geht einem Beruf nach und kümmert sich um ihren Sohn, aber sie lässt nicht ab von ihrer Familie. Sie will unbedingt ein Teil von der Familie bleiben. Der älteste Bruder rät ihr mehrfach, sich mit ihren Sohn ganz fortzubegeben. Doch sie bleibt, glaubt, dass die Familie ihr verzeihen wird, bis zur Katastrophe.

Der Film zeigt noch 30 verbleibende Minuten an, als die zweite Lehrkraft den Film anhält, zehn Minuten vor dem Pausenschellen.

„Was habt ihr denn verstanden? Worum geht es?“ Standardfrage.

Erster Schock, die häusliche Gewalt als Grund für ihre Rückkehr wird als wenig schlimm angesehen. Sie sei halt wieder da.

Ich hake nach: Wieso wollte die junge Frau Aynur ausziehen?“

Ihren Wunsch, auszuziehen, versteht das Mädchen mit dem Kopftuch als Rücksicht gegenüber der Familie. Das Baby sei eben zu laut. (Schock zwei).

„Wollte sie nicht wegen des Bruders weg?“

Ja wohl auch, was der Bruder gemacht habe, sei nicht so schön, aber der musste deswegen ja die Wohnung (vorübergehend) verlassen, aber sie ist eine Hure.

Zur Erklärung: Der Bruder Sinan belästigt im Film seine Schwester nachts sexuell, nachdem sie aus dem Mädchenzimmer in die Putzkammer gezogen ist, während ihr Baby neben ihr liegt und beide schlafen. Sie stellt ihn am Tag darauf zur Rede. Er würgt sie und streitet es ab, stellt sie als Lügnerin dar, weil sie ausziehen will. Der Vater schickt ihn raus, die Mutter macht ihrer Tochter Vorwürfe. Die junge Frau hat bis zu diesem Moment lediglich ihren Ehemann verlassen, brav und gehorsam alles getan, was ihre Eltern und Brüder von ihr verlangt haben.

„Was ist mit der Not von Aynur? Sie wird belästigt, als Putzkraft ausgebeutet, darf nichts und wird in der eigenen Familie wie ein Mensch ohne Rechte behandelt.“ Nichts. Schulterzucken. Unverständnis.

Meine wichtigste Frage richte ich an den türkisch-stämmigen Jungen von 14 Jahren, der uns diesen Film „beschert“ hat: „Findest du das Mädchen mutig oder glaubst du, sie hat bekommen, was sie verdient?“

Der Junge stottert und sagt, dass sie nicht unbedingt hätte sterben müssen, da ging der Bruder zu weit, aber sie sei eine Hure und habe ihren Glauben verloren und die Eltern beleidigt.

Dann will ich wissen, was sie zur Hure macht.

Ganz klar, die vielen verschiedenen Männer.

„Welche? Bitte benenne die Männer, mit denen sie schläft.“

Also der Mann in dem Geschäft (der mit ihr geflirtet hatte, mehr nicht), Tim, der sich zurückzog, nachdem die Brüder ihm Angst gemacht hatten; der Mann bei Cans Geburtstag. Weitere Männer treten nicht in Erscheinung, bis wir den Film stoppten. Für die Schülerinnen und Schüler waren das einhellig „viele verschiedene“.

Zur Hure mache sie aber auch, dass sie tanzen ging, dass sie sich nicht mehr den Kopf bedecke und dass sie rauche und (vermutlich) Alkohol tränke, also sich auch vom Glauben abwandte.

Wenn sie ein Mann wäre, hätte sie das alles gedurft?

Eine Schülerin fragt uns (als Lehrkräfte), ob wir „auch nur“ denken, dass der Islam frauenfeindlich sei. Sei er aber nicht und dann hören wir den Satz, denn ich schon so oft von Schülern und Schülerinnen gehört habe: Das Paradies liegt zu den Füßen der Mutter. Bevor die Frage beantwortet wurde, ob Männer dann auch zu einer Hure werden, wenn sie rauchen, trinken und tanzen gehen, klingelte es leider.

Der Lehrerkollege (in Ausbildung) erkennt, dass dies kein Film war, den man hintergrundlos am Ende des Schuljahres zeigen kann, dass es hier Handlungs- beziehungsweise Erklärungsbedarf braucht.

Der Anfang der Geschichte fällt mir ein, denn die junge Frau, die für ihren Mut und ihren Wunsch nach gleichberechtigtem Leben den Tod erfährt, erklärt dem Publikum zunächst, dass wir weder Kultur noch Sprache verstehen – wir Deutschen oder wie Westlichen oder wir Christen. Das Problem der Sprache könne sie lösen und ab da sprechen die Protagonisten und Protagonistinnen deutsch. Das Problem der Kultur bleibt genauso ungeklärt wie dieser Teil ungesagt bleibt. Wir stehen vor diesen mittelalterlichen Denkweisen und sind sprachlos. In unserer maßlos zu nennenden Arroganz glauben wir, dass sie (die anderen) sich schon uns anpassen werden, weil es ja unsere Gesetze sind. Wir glauben, dass sie schon verstehen werden, doch in Wahrheit ist alles so komplex und wie ein verheerendes Durcheinander, was sich vielleicht erst in vielen Jahren nach all diesen Ereignissen aufdröseln lässt – „großes Vielleicht“.

  • Da ist die Kultur zu nennen: hier ein Stückchen davon, nämlich die Lüge von der geehrten Frau, denn sie wird nur geehrt, wenn sie sich wie eine Heilige verhält. (Historiengewandte wissen, dass unsere eigenen Vorstellung von der Hure und der Heiligen noch in unserem Blut kriecht, denn das Christentum hatte sehr absonderliche Vorstellungen in unsere Kultur gepflanzt, die noch bis heute wirken: Jack Holland: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses, 2007.1) Das sichert dem Mann maximale Freiheit und mindestens eine ihn umsorgende Ehefrau unter dem Deckmantel, dass er für die Familie sorgen muss, so ganz allein.
  • Dann ist da die Subgemeinschaft also der türkisch-stämmigen Gemeinde, in der alle den anderen beäugen, dass ja niemand aus der Reihe tanzt und sich alle an die Traditionen, an die Beichtregeln, an die Gepflogenheiten halten.
  • Dann der menschlich soziale Aspekt: Wer kann grausamer sein als die eigenen Geschwister? Dieser mitleidlose Aspekt wird hier durch die hohe Zahl natürlich verstärkt. Durch die Sippenhaft innerhalb der Gemeinde kommen jedoch häufig auch noch weiter entfernte Verwandte wie Cousins dazu – so ist das zum Beispiel bei uns an der Schule
  • Dazu dann der gefährliche Funke: Pubertät (bis 25 Jahre!) meets Testosteron. Die Zeit also, in der junge Männer am anfälligsten sind für Sekten, Radikalisierung, Gewalt, Glaubenssätze, Feindbilder. Gerade das ist sehr glaubwürdig, denn sie hat nicht nur einen Bruder, nicht nur zwei, sondern gleich vier. Dass sie sich auch gegenseitig beweisen müssen, wie taff, wie gläubig und wie stark sie sind, sieht man vor allem in dieser Hochzeitsszene am Anfang, in der nicht ein einziger danach fragt, ob die Schwester diese Ehe will oder wie es ihr damit geht. Sie muss – fertig. Und sie selbst haben ein cooles Fest.

Und wir Lehrys und Politiys träumen davon, dass unser Schulsystem das auffängt? Wir träumen tatsächlich in diesem Dornröschenschlaf, dass es genügt, wenn wir „Stopp“ sagen?

Ich habe bis heute gedacht, dass das Hauptproblem darin bestünde, dass diese Subkultur der Muslime eben wie eine Parallelwelt funktioniere, die zu unserem Wissen keine Verschränkung herstellt. Die veralteten und längst überholten Unterrichtsinhalte unserer Schulen, die durch unsere bemühten Bildungsretter immer wieder mundgerecht zerstückelt werden, bei denen unsere Schülerschaft eher geneigt ist, in Würde den Tischschlaf zu zelebrieren, werden so stark abgelehnt, dass die Parallelwelt davon unberührt bliebe. Der Bildungsretter zu oft in einem lächerlichen Kleid wird so nicht ernsthaft als Held wahrgenommen. Oft ist die Herleitung zu der Realität innerhalb der Parallelwelt viel zu weit hergeholt, von der Bildungselite zu abstrakt gedacht, so dass die Übertragung auf die täglich erlebte Wirklichkeit durch zum Beispiel eine Lektüre von Heinrich von Kleists „Marquise von O.“ nicht vollzogen wird. Doch heute war ich Zeuge, dass unsere Bildungsinhalte wie dieser Film zwar bekannt sind, diese aber ohne Wirkung bleiben, weil sie von der Parallelwelt assimiliert werden. Die Bildungsinhalte werden vollständig anders gelesen bzw. interpretiert und für die eigenen Zwecke „missbraucht“. Der Junge hat zwar gesehen, dass Mord nicht so toll sei (zumal der Imam ja auch betont hatte, dass man in DEUTSCHLAND nun seine Schwester nicht als Ehrenmord steinigen dürfe, in anderen Ländern sieht das anders aus.), aber seine Ansicht nach ist der Film ein Lehrfilm für die muslimischen Mädchen, nicht zu einer „Gefallenen“ zu werden.

Ich habe mich an den Gedanken geklammert, dass die Bildung unser Held in enger Kleidung sei, Bildung erreiche jeden Menschen, so dass sie insgesamt toleranter und freundlicher miteinander umgehen. Natürlich weiß ich, dass kognitives Verstehen noch kein verändertes Handeln nach sich ziehen muss, doch es kann. Dieses „kann“ war es, woran ich meine Hoffnung geklammert habe. Im Wissen, dass unser Schulsystem ungeeignet ist, diesen Job auszuführen, stirbt die Hoffnung dennoch zuletzt. Aber was ist, wenn sie stirbt?

  1. Unsere Geschichten zu diesem ehrhaften Verhalten bestaunen wir unverblümt. Die Literatur ist voll von den Damen, die in eine Gesellschaft eingeführt werden und dumm wie Schafe sind. Denken wir allein an „Frühlingserwachen“, wo das arme Kind glaubt, vom Küssen gibt’s Babys. Und mit welcher Hingabe sehen wir heute die Serie „Bridgetowns“, eben weil sie diese bunte Farbenpracht im Käfig abbildet. ↩︎

Im Dazwischen – Schlüsselerfahrungen

Yoga ist die Lehre vom Hier und vom Jetzt – eine sehr praktische bzw. praxisnahe Lehre. Ich übe mich darin mit minder oder mehr Erfolg. Doch kaum mehr kann man im Dazwischen sein, als ich es aktuell bin.

Mein Umzug steht symptomatisch für diesen Zustand. Irgendwie stimmen beide Adressen und keine richtig. Meist will man an dem einen Punkt nicht mehr sein und kann sich doch nicht richtig lösen, der neue Punkt zieht bereits hartnäckig. Klebrig und zäh muss man immer wieder hin und noch und noch ein paar Sachen einpacken, sortieren oder wegwerfen. Jedes Blatt, jede Heftzwecke und jedes Buch verlangt eine Entscheidung. Nicht nur für oder gegen es, sondern in meinem speziellen Falle auch: welche Kategorie? Kategorie „Langfristig“, „Mittelfristig“ oder „Kurzfristig“ oder vielleicht langfristig. Zu meiner Schwester, zu meiner Tochter, zu meinem Ex-Mann, zu meinem neuen Zuhause?

Mein spezieller Fall

Was ist mein spezieller Fall? Ich will aussteigen aus meinem Beruf, was für die meisten Menschen reinster Irrsinn ist, denn ich hab doch den besten, nein den sichersten Beruf überhaupt: gute Bezahlung, unkündbar, traumhafte Pension. Wieso sollte ich den denn kündigen? Die Gründe sind wirklich erdrückend und mich rausschleichen durch eine Krankheit (vorgetäuscht oder wahrhaftig) will ich nicht. Die wichtigsten drei Gründe sind vermutlich die: Das Schulsystem ist falsch und macht die Menschen (Kinder voran, aber auch die Erwachsenen) darin kaputt; meine Gesundheit ist mir mehr Wert als Geld; ich brauche meine Zeit für viele andere Dinge, die ich noch auf meiner Bucketliste habe und die Zeit nach der Schule ist mir nicht gewiss genug.

Cover des ersten Teils meiner Romanserie: Oben – Unten

Allerdings muss das gut vorbereitet sein und ich halte auch meine Versprechen mir selbst gegenüber gerne ein: Ich möchte erst noch das Musical auf die Bühne bringen. Ich möchte noch in dem Jazzkeller aus meiner ersten Veröffentlichung des Romans lesen. Ich möchte finanziell ein bisschen Vorsorge treffen, bevor ich in das Nichts von Phantasien trete. Ich möchte meine Zähne, meine Steuern, meine Finanzen, meine Gesundheit soweit auf dem Weg haben, dass ich ohne Bedauern aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden kann. Ich möchte meine Kinder noch ein wenig begleiten, zumindest ein bisschen beobachten. Ich möchte die ersten Schritte in Freiheit planen können.

Ein Grund – meine Gesundheit

Ambivalent und wie ein Dazwischen erscheint mir, dass ich die beste Versorgung meiner Gesundheit als Beamte finanziert bekomme. Natürlich nicht wirklich, denn mein Arbeitgeber bezahlt lange nicht alles, um mich wirklich gesund zu machen. Doch durch die private Versorgung bin ich schneller und intensiver versorgt. Gleichzeitig macht mich dieses System marode, es zersplintert mich regelrecht (Danke für diesen Ausdruck, J.K. Rowling).

Wenn ich auf meinen Job gucke, was ich zu tun habe, welche Aufgaben und Pflichten, dann erscheint alles ganz einfach und geordnet: Noten geben, Zeugnisse ausstellen, dazwischen ein bisschen Stoff vermitteln. Vermische ich das Ganze mit den gut durchgeschüttelten Vorurteilen von faulen Schülys, von unverschämten Erwartungen, von verwahrlosten, sich selbst überlassenen und misshandelten Kindern, dann habe ich vor allem immer Recht. Hinterfrage ich dieses Bildungssystem, schaue ich mir real an, wie wir Kinder von all dem abhalten, was sie selbst wollen, wie wir sie entmündigen, ihnen absprechen, dass sie selbst wissen, was sie lernen wollen, dass wir ihnen nur immerzu vorschreiben, was sie zu welcher Zeit zu tun und zu lassen haben, sehe ich mir und meinen Kollegys dabei zu, wie wir diese Gefangenschaft minutiös aufrecht erhalten, Regeln dazu konzipieren und uns selbst wie auch die Kinder und Jugendlichen beschneiden, dann kann ich diesen Job nicht erledigen. Zwischen diesen beiden Sichtweisen hänge ich gefangen und kämpfe mit meinem Pflichtbewusstsein gegenüber meinem Auftraggeber ebenso wie mit meinem Wunsch nach Rebellion für die Kinder und Jugendlichen. Der Preis ist die Gesundheit.

Sicher, ich bekomme auch bei der Frauenärztin noch einen Termin, obwohl sie keine neuen Patienten annimmt. Der Augenarzt lässt mich nicht erst drei Monate stehen und ich brauche keine Zuzahlung für Medikamente leisten. Ist es nicht wünschenswerter, keinen Arzt zu brauchen, für den ich meist nur eine Melkkuh bin?

Ein anderer: All die Dinge, die mich erwarten – in Freiheit

Die Verbeamtung ermöglicht, dass ich rein hypothetisch aus Krankheitsgründen ausfallen kann. Damit will ich nicht sagen, dass viele nur eingebildet krank sind (siehe oben)? Aber will ich denn selbst so krank werden? Wenn unser Schulsystem anders werden würde, mehr Personal einstellen würde, die Verbeamtung auflösen würde (ja, was spricht bloß dagegen), wenn das System an sich überholt werden würde, wenn man ehrlich Geld anfassen würde … Ich träume. Ich bitte um Verzeihung.

Was ich will, ist Freiheit (obwohl ich gar nicht an selbstbestimmte Freiheit glaube). Jedem Menschen wohnt inne, dass er sich im Laufe seines Lebens auch noch einmal umentscheiden kann. Nur, weil ich in jungen Jahren entschieden habe, diesen Weg als Lehrer zu gehen, heißt das nicht, dass das für immer sein muss. Im Gegenteil, meine Entscheidung für diesen Beruf hatte zwei Motivationen: Veränderung des Systems von Innen zu bewirken; meinen Mann zu entlasten und Geld verdienen, bis meine Kinder erwachsen sind. Letzteres ist geschehen, ersteres funktioniert nicht. Spätestens seit Corona – eine unendlich verpatzte Chance, das System neu zu booten – wissen wir, dass die Gesellschaft genau dieses kaputte System will; Eltern wollen es, weil sie damit entlastet werden, weil Familienleben dann eine Struktur hat, weil sie glauben, dass die Kinder nur so etwas lernen. Arbeitgeber wollen es, weil sie glauben, dass nur so Jugendliche sozialisiert werden können, um sie überhaupt für den Arbeitsmarkt tauglich zu machen. Dieses System ist faszinierend stabil mit all seinen Paradoxien von Noten, von Stundentafeln, von Ausfallzeiten, von Abschlüssen. Bevor ich aber ausufere, kehren wir zurück zum Thema.

Ich bin Lehrerin geworden – nicht wider Willen -, weil das ein Beruf ist, der Spaß macht; der mich bereichert; der dazu führte, dass mein Ex-Mann ein Gefühl von Sicherheit bekam; der immer wieder anders und damit durchaus spannend ist. Mit dem Ticket der Sicherheit in der Hand versprach ich mir 2007 selbst, dass ich jeder Zeit aussteigen kann, spätestens aber, wenn meine Kinder aus der Schule sind. 2024 ist es soweit.

Was sind die Sachen, die wie Kinder in mir rütteln und mich um Aufmerksamkeit ersuchen?

  • Die Welt in meinem Tempo bereisen.
  • Schreiben.
  • Theater machen, am liebsten sogar Film; beim Theater pocht jedoch die Pädagogin in mir laut an die Scheibe der Aufmerksamkeit. Film wäre mehr zu meinem Vergnügen, zu meiner Lust.
  • Und dann möchte ich so reisen, dass es meinem Lernvergnügen dient.
  • Eine Sprache erwerben. Arbeiten. Gelegenheitsjobs.

Ich will etwas bewegen. Schreiben, was andere bewegt. Ich möchte Theater machen, um zu sehen, wenn sich in den anderen was bewegt. Meine Möglichkeit, zur Heilung der Menschheit beizutragen. Für unsere Kinder, für unsere Umwelt, für unser Miteinander. Ja, ich bin nicht falsch in meinem Beruf gewesen. Ich bin sogar eine ganz gute Lehrerin, falls ich das überhaupt selbst beurteilen darf. Und doch macht mich das System krank, weil ich mehr Schaden anrichten muss, als ich Gutes bewirken kann. Alles andere ist Selbstleugnung, Beschönigung, Lüge.

Ich stecke im Dazwischen

Ich stecke im Dazwischen, noch bin ich in der Schule, bin aber bereits vor dem Absprung. Wie ein Sportler gehe ich im Geiste durch, was ich beachten muss, wie welcher Schritt sein wird, bevor ich den letzten Schritt auf dem Brett mache und abhebe.

Ich habe keine Ahnung, was danach sein wird, welches Danach es sein wird, wo dieses Danach beginnt. Im Moment weiß ich nur, ich habe jede Heftzwecke in den Fingern gehabt, mir den Staub von jedem Stück Papier, Buch und Regal abgewaschen und ich habe Kratzer auf der Seele, weil ich viele meiner Sachen hergegeben habe, weil ich 25 Jahre alte Schubladen verkauft, verschenkt, weggegeben habe. Ich habe Muskelkater von diesen vielen kleinen Schritten quer durch mein Leben, um alles zu sortieren, was war und alles zu sortieren, was kommt. Ich habe mich aufgehalten in diesen Erinnerungen, alles bis zur Unkenntlichkeit getragen und ausgehalten und zum Schluss habe ich Tango getanzt, weil das Leben muss man tanzen, sonst reitet es einen.

Tangoabschluss in meiner leeren Wohnung am Donnerstag, März 2024

Das Tangotanzen mit Freunden in der leeren Wohnung war vermutlich eine meiner genialeren Ideen. In der leeren Wohnung, die ich so sehr geliebt habe, blutete ich langsam innerlich aus. Was, zum Henker, hatte mich nur dazu gebraucht, alles herzugeben und alles auf ein Zimmer zu reduzieren? Ich weiß, warum ich es tue. Ich weiß, dass ich es will und dennoch tut es weh. Ich spüre mich Angst umwehen, Unsicherheit mich zersetzen und Zweifel sich auftürmen. Mein Schreiben, mein Reisen, mein zweites Leben erscheinen mir während all dem einer Fatamorgana zu gleichen. Dem setzte ich Tango entgegen. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, doch liegt in diesem improvisierten Tanz so viel Lebendigkeit, dass dagegen das Gefühl der Angst nicht bestehen kann. Ich weiß, viele werden von ihrer Angst umklammert, eingesperrt und beherrscht. Aus diesem Klammergriff kann man sich nur schwer herauswinden. Ich will mich aber nicht beherrschen lassen von dieser Angst.

Das Dazwischen hält viele Gefühle bereit, mit denen man sich auseinandersetzen sollte. Die gesammelte Materie ist nicht bloß eine Anhäufung zufälliger Dinge, die wir in unserem Leben hinter uns herziehen. Diese Materie ist mit Bedeutung aufgeladen. Das sollten wir als Verursacher dieser Materie, die wir hinter uns her ziehen quer durchs ganze Leben, nicht vergessen.

In meinem aktuellen Dazwischen wird mir bewusst, wie viele Gefühle Raum brauchen, gefühlt und ausagiert zu werden. Mein Dazwischen ist unfertig. Da liegt noch vieles, was bearbeitet werden will. So viel Unsicherheit, so viel Angst, so viel Wunsch nach Anerkennung, Verständnis und so viel Wartezeit.

Proben, Ideen und weitere Proben

Fast hatte ich vergessen, wie viel Spaß Theatermachen wirklich bedeutet. Ja, als Schauspiely ist es schon fein, doch als Regisseury1 ist es deutlich spannender. Was kann ich für Ideen entwickeln!

Erste Festigungen des Ensembles

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Am Anfang hatten wir viele Schülys, die mal kamen, mal nicht, die mal dabei waren und dann wieder nicht. Spaß hatten alle immer, würde ich zumindest behaupten. Etliche Schülys haben nach kurzer Zeit aufgehört, weil ihnen das eine zu hohe Belastung neben der Schule sei. Einige haben die Proben dafür verantwortlich gemacht, dass sie Noteneinbrüche hatten, obwohl sie maximal ein Mal im zwei Mal im Monat in derselben Doppelstunde gefehlt haben – wenn überhaupt. Andere wurden durch die lange Arbeitsphase abgeschreckt. Andere glaubten, nie eingesetzt zu werden oder wollten eine wichtigere Rolle haben. Was genau die Motive für und gegen das Mitmachen letztlich bestimmte, können wir gar nicht genau sagen. Jetzt haben wir eine relativ stabile Gruppe, die sich aufeinander freuen und miteinander Spaß haben. Ca. 25 Schülys sind es, darunter sogar fünf Jungen – freiwillig.

Unbekannter Künstly – gesehen auf Spiekeroog 2024

Nach einer Samstagprobe in der Schule zeigte sich schnell, wer wirklich interessiert an dem Musical und der Gruppe war und wer nicht. Vier Stunden waren wir in der Aula und haben eine Probe gehabt, die tatsächlich unseren Prozess vorangeführt hatte. Unser aktuelles Hauptproblem ist nämlich, dass die 1 1/2 Stunden Unterricht eigentlich für intensive Proben zu kurz sind, um auch noch an den Szenen zu arbeiten, denn nie sind alle für eine Szene da. Was bleibt, ist die Klarheit des Ziels und gegebenenfalls die Modifikation der Hinführung vor Augen zu behalten – auch im Nebel.

Zu spüren ist jedoch eine große Lust bei jenen, die jetzt mitmachen. Das arbeiten ist ein Vergnügen und geht ganz leicht von der Hand.

Wir wollen diesem Problem durch mehrere Intensivproben am Wochenende begegnen und so sehen, dass wir bis zu den Sommerferien ein bisschen von dem Theaterprogramm aktiv entwickelt haben. Die Gruppe will als Kostüme die 80er Jahre feiern und aufleben lassen. Das wird ein Spaß.

Zusammenspiel mit anderen Gewerken

Eine Kunstkollegin arbeitet mit ihren Schülys zum Thema Müll für das Musical und baut einen Leuchtturm aus Müll. Ausgestellt wird dieser Turm dann bereits zum Sommerfest und bekommt eine Leuchte. Wenn das Objekt für die Bühne nicht mehr gebraucht wird, wird es dennoch als Ausstellungsobjekt weiter für das Musical einen Ehrenplatz in der Eingangshalle erhalten.

Ein Technikkollege bildet eine Schülygruppe aus, die dann für die Licht- und Ton-Technik bereitstehen, gleichzeitig hoffe ich auch die Videoeinspieler an diese Gruppe abgeben zu können. Mein Musical-Co selbst will eine Fortbildung in dem Bereich machen, schon damit er sich auch auskennt.

Mein Musical-Co orchestriert das Musical natürlich, leitet die Schulband und ist insgesamt sehr daran interessiert, dass musikalisch das Stück auf der Höhe ist. Außerdem erstellen wir zusammen das Video für die Werbung, damit wir beim Fest schon ein paar Spendengelder dafür eintreiben können.

Ein paar Ideen für das Stück

Meine erste Idee: Videoeinspieler Vandalismus durch Graffitis wird mit Live-Musik begleitet, dann Wechsel auf die Bühne, Breakdance-Einlage als Überleitung und in Pantomime die Verfolgung und Stellung des Sprayers – unsere Hauptperson; dabei läuft die Musik von Band. Die Verschränkung von Illusion und Realität. Das Video wird in Comicstil überblendet, so dass es zu der Pantomime – als Cartoonstil – passt.

Meine zweite Idee – die davon lebt, wie sie umgesetzt wird: Der 2. Akt beginnt mit einer Bonbon-Leuchtreklame-Las-Vegas-Straße, die so schrill und schreiend ist, dass jede Ecke vor Konsumlust nur so strotzt, dass jeder einkaufen will. Am liebsten mit einem realen Kaffeebike, das Kaffeeduft verbreitet und einem Popcornstand, weil der verbreitete Duft die Illusion verstärkt. Diese Illusion soll natürlich durch Pappaufsteller erzeugt werden. Die sind beweglich und sollen in dem Akt zunehmend mehr und mehr Raum wegnehmen, also die Rückseite der Straßenfront dient der Raumverkleinerung bis zur letzten Szene, die dann den Raum aufbricht. Der Gedanke dahinter: Wir sind nicht wirklich frei in unserem Handeln, gesellschaftlich nehmen uns der Andere, die Werbung, die Regeln den Raum so zu sein, wie wir wollen. Doch es gibt Hoffnung – eventuell.

Die 3. Idee für das Abschlussbild: Damit auch a) alles noch einmal verbunden ist und b) das Edikt des MUSICALS voll erfüllt ist, gibt es ein bonbonreifes Abschlussbild. Den vorletzten Auftritt hat mein Nazi, der dann wie ein freier Radikaler von der Gruppe eingefangen und integriert wird. Nach der Gerichtsverhandlung gehen die Hauptpersonen ab und die Bühne wird schwarz (wir haben keinen Vorhang); Sascha kommt von der Seite, gekleidet wie ein Nazi. Während dessen ziehen alle im Dunkeln ihre Oberbekleidung aus und sind darunter einfarbig bunt (rot, blau, gelb, lila, rosa, grün), Licht geht an. Einer aus der Gruppe geht zu Sascha – Fokus setzen – und zieht ihm die Lederjacke aus, das einfarbig bunte T-Shirt (grün für die Hoffnung) an und nimmt ihn mit an die Position des Regenbogens, wo die Farbe hingehört. Zu sehen ist dann inzwischen ein Regenbogen aus Menschen und wir singen das letzte Lied: An irgendeinem Tag geht die Welt unter.

Idee 4: Die Gerichtsverhandlung ist mit umgedrehten Rollen, die kleinen Kinder machen auf Erwachsene und alle, die Erwachsen aussehen, spielen die Kinderrollen – die wir zwar nicht in der Menge brauchen, aber ich will ganz viele Schaulustige auf der Bühne sehen. Am liebsten würde ich die Kindererwachsenen in Kleidung aus dem Siedler-Amerika kleiden oder mit Zylinder und Gehstock, das wäre nur zu den 80er ein harter Stilbruch.

Ich bin gespannt, was sich davon umsetzen lässt. Im ersten Akt sind viel häufiger unterstützende Tanz- oder Performance-Einlagen geplant, dafür wird das Bühnenbild im zweite Akt üppiger und präsenter. Auch mit dem Make-up will ich was machen, so soll der Maiseltanz wirklich mit schöngemalten Gesichtern getanzt werden, doch ansonsten hätte ich gern die Gesichter mehr Schwarz-weiß … Auch braucht es noch ein paar Dinge für das Video und dafür müssen wir Zeiten haben, damit wir das machen können. Also nach der Schule – weil er natürlich nachts gestellt wird.

  1. Bereits in einem anderen Artikel („Du bist mir schon eine Marke!“ – Als Autory, oder was?) habe ich erklärt, wieso das Gendern nicht immer brauchbar ist, weil das geschlechtsbezogene Unterscheiden oft irreführend ist und nicht in jedem Kontext hilft. Ich habe mich für das neutrale „y“ entschieden, dass nicht ein versteckter Hinweis auf XY-Chromosomen ist. Ich möchte nicht darüber nachdenken, ob es mehr weibliche oder mehr männliche Schauspieler gibt, es gibt Menschen, die schauspielen und die singen und die schreiben. Das tun sie sehr sehr selten mit ihren Geschlechtsorganen. ↩︎

Lehrkräfte in Anwärterschaft – Ausbildung oder Ablenkung?

Was würden Sie erwarten, wenn Sie für den Lehrerberuf ausgebildet werden würden?

Wie standardgemäß bewertet und korrigiert wird? Welche Aufgaben zu Ihrem Arbeitsfeld gehören? Würden Sie erwarten, dass man Ihnen erklärt und es Ihnen unter Umständen beibringt, wie man mit großen Gruppen und kleinen Gruppen, wie man mit heterogenen Gruppen umgeht? Vielleicht auch, was Sie beachten müssen, wenn Sie im Besonderen mit Jugendlichen und damit mit Pubertierenden umgehen? Vielleicht geht Ihr Gedankengang soweit, sogar zu denken, dass eine Rechtsgrundlage im Umgang mit Schülern und Schülerinnen, mit Erziehungsberechtigte zu den notwendigen Werkzeugen gehört, die Sie kennen sollten? Oder denken Sie, dass eine Lehrkraft wissen sollte, wie man im Falle eines Schülers mit plötzlichen Zuckerschock (Diabetes) umgehen müsste? Grundkenntnisse in psychologischer Hinsicht wie zum Beispiel Panikattacken und ihre Verläufe, Auswirkungen von Schlafstörungen, Erkennen von jugendgefährdenden Symptomen zum Beispiel häusliche oder schulische Misshandlungen? Sollte man als Lehrkraft wissen, wie man bei Mobbing gezielt vorgehen kann? Wie man gegebenenfalls Opfer schützt? All diese Dinge sind mir in meinen Berufsjahren begegnet, zu nichts von dem wurde ich geschult.

Das alles hat mit einer Ausbildung zu einer Lehrkraft in Deutschland nichts zu tun. Als Referendar oder Lehrkraft in Anwärterschaft haben Sie schließlich ein sehr interessantes breitaufgestelltes Fachstudium mit einem Ergänzungsstudiengang (Klein „e“ genannt) erfolgreich abgeschlossen. Alles, wirklich alles, was Sie dort gelernt haben, können Sie getrost ablegen, denn jeder Wissensinhalt ist für die Köpfe Ihres Klientels zu mächtig und jedes wissenschaftliche Arbeiten unbrauchbar für Schulzwecke. Sie haben einen großen Überblick, erkennen Zusammenhänge und vielleicht Notwendigkeiten, davon lässt sich jedoch vielleicht eine Messerspitze vermitteln, an Gymnasien eventuell auch ein Fingerhut. Ihr Kopf ist vielleicht randvoll mit allen möglichen Theorien zur guten Erziehung, zu Schulsystemen, doch Sie werden noch erfahren, dass Theorien eben sind, was sie sind: Theorien. Theorien verhalten sich zur Realität wie Mythen zur Wahrheit; irgendwas ist dran, aber was genau, bleibt nebulös und erfahrungsabhängig. Sie haben Hintergrundwissen, wie Lernen funktioniert? Schön und unbrauchbar, weil das System Schule, in dem Sie förderhin Mitglied sind, diese Strategien nicht nur unbrauchbar macht, sondern ihnen entgegenwirken. Die Schule als System tötet nach und nach jede Lernlust ab.

Die Ausbildung zu einem Lehrer beginnt nackt und oft mit Frostbeulen. Sie bekommen gesagt, dass Sie sich bei Fragen an Ihre Seminarleiter wenden können, doch da diese „brutal“ das Spiel „der Richter und sein Henker“ spielen, sind Sie gut beraten, besser nicht zu zeigen, dass Sie kein/e geborene/r Montessouri sind. Wagt man Fragen wie „Was mache ich denn, wenn …?“, bekommt man eine diffuse Antwort, die auf alles passt: „Sie werden merken, dass jeder Lehrer und jede Lehrerin eine eigene Strategie entwickelt und Sie im Laufe der Zeit, Techniken erwerben, mit denen Sie damit umgehen können!“

Beispielfall Egon

Ja, wenn der kleine Egon eben bockt oder zickt, dann rufen Sie die Eltern an, weinen sich bei denen aus und verlangen, dass sie ihren Egon mal wieder in die Spur setzen. Egon, das ist ein Name auf einer Notenliste und auf jeden Fall ein Problem anderer Leute. Die Klassenlehrkräfte zum Beispiel, die wissen alles über Egon. Wieso er einnässt, dass er nur noch bei Papa wohnt und dass ein Psychologe eingeschaltet ist. Ein ganz schlimmer Fall, Egon kann man verstehen. Tja, aber in Ihrem Unterricht muss er dennoch das Spiel „braver Schüler“ mitspielen. Schließlich können Sie sich wirklich nicht um die privaten Probleme von Egon kümmern (denn da sind schon all die anderen schulischen sozialen Themen), haben einen Stoff durchzubringen und neben Egon noch wenigstens 25 andere Kinder, die alle ein Recht haben, dass man sich um sie kümmert. Natürlich geht das nicht, denn dann werden Sie einfach nicht fertig und mehr als ein paar Einheiten 45 Minuten haben Sie nicht, da müssen Sie knausern mit der Zeit.

Egon ist ein Individuum in der Entwicklung und der hat Schwierigkeiten sich in seinem Umfeld zu orientieren, er hat Schwierigkeiten mit sich selbst, weil seine Welt zusammengebrochen ist und weil er sich selbst auch gerade nicht versteht. Er soll aber verstehen, dass hat man ihm gesagt. Daneben ist Egon ein ganz normaler Junge, der ebenfalls dafür sorgt, dass andere Kinder Respekt vor ihm haben, seine Gefühlslage nicht durchschauen und er Tom und Mohammed zeigen will, dass er sich nicht unterkriegen lässt; dann sind da die Mädchen, die er nicht versteht und dann kann er auch Lehrer X und Lehrerin Y nicht leiden. Egon kommt schlecht aus dem Bett, träumt gerne lange und will sich morgens nicht hetzen lassen. Hunger hat er morgens nicht und all diese Unruhe führen oft zu Übelkeit. Merkt Egon kaum, weil er sich schon daran gewöhnt hat.

Egon muss in der Klasse seine Position herausfinden. Als Junge bedeutet das auch, sein Verhältnis zu den anderen Jungen zu ermitteln, stark sein und dafür Sorgen, dass über die anderen gelacht wird.

Für Sie ist Egon jemand, der hinten in der Klasse neben Tom und Mohammed sitzt, der wie ein Echo für Unruhe sorgt, sobald Tom als erster einen blöden Witz macht. Egon ist der, dem Sie drei Mal sagen müssen, er solle endlich sein Heft aufschlagen und die Tafel abschreiben. Er verweigert, er ist langsam und er holt sich bei Mohammed und Tom die Bestätigung dafür. Für Sie ist Egon ein Problemfall, weil er zusätzliche Aufmerksamkeit braucht und sein Vater nicht erreichbar ist.

Wenn Sie Egon ansehen, losgelöst von Ihrem Job, für die nächste Klassenarbeit den Stoff durchzubringen, losgelöst von den Aufgaben, alle Fehlenden und Störenden ins Klassenbuch einzutragen und noch die Hausaufgaben zu kontrollieren, losgelöst von all Ihren Zielen, so könnten Sie doch nichts für Egon tun, außer zu sagen, dass dieses Schulsystem ihm nicht gerecht wird. Natürlich kann man auch den Lehrkräften generalisiert die Schuld an etwas geben, was systemisch bedingt ist, wie es zum Beispiel Sigrid Wagner tut, wenn sie den Unterricht diagnostisch beurteilt und über die Kolleginnen und Kollegen ihr Urteil fällt, wenngleich meist der Unterricht hinter verschlossenen Türen verläuft. Letztlich ließe sich Egons Problem und natürlich auch das von Sigrid Wagner nur lösen, wenn wir anfingen, Schulen als Bildungszentren neu zu denken.

Die Schulenge der Zeit – das ORGA-MONSTER

Was Sie als Referendar bislang noch am Rande tangiert, ist die Enge im Kalender. Als Frischling wollen Sie die nächste Stunde bestehen, müssen Ihre Stunden vorbereiten, die Sie als perfekter Vorführung zeigen. Und das lernen Sie auch sehr schnell: Es gilt wie früher in der Schule jenen zu gefallen, die Sie Stunde um Stunde bewerten werden: dem Kurslehrer, dem Fachleiter, der Hauptseminarleitung, der Schulleitung … einmal alle durch. Hier brauchen Sie Gutachten, dort brauchen Sie eine Note, da ein gutes Feedback. Und wie Sie selbst später als Lehrkraft ausweichen, wenn ein Kind vor Ihnen steht und eine Note haben will, weil ja eine Note gar nicht alles und weil eine Note überhaupt keine wirkliche Aussage trifft, so geschieht es Ihnen, wenn Sie den Fachleiter fragen. Sie bekommen eine Tendenz genannt, vielleicht, eine mit Luft zur Entwicklung. Und später wissen Sie auch, wie Ihre Note zustande gekommen ist: Nadine, die andere Referendarin an Ihrer Schule oder in Ihrem Seminar, hat schon in Jugendcamps gearbeitet und ist pädagogisch vorgeschult, jede Stunde sitzt und wird besser als Ihre bewertet und Sie werden natürlich an ihr gemessen. Vom Haloeffekt will ich gar nicht erst reden (googeln Sie mal, ist spannend), auch nicht von dem unbewussten Sexismus, der natürlich vorkommt wie Mineralwasser im Gebirge. Menschen mit Macht haben Macht und benutzen sie zumeist auch, so wie Sie später als Lehrkraft. Also die Luft zur Entwicklung Ihrer Note ist oft sehr luftig.

Aber zurück zum Kalender: Der Jahresplan ist nicht nur für Ihre Prüfungen wichtig, nein, dieser Jahresplan jagt die Lehrkräfte über die Korridore, hetzt sie über den Schulhof und lässt sie zusammengekauert in irgendwelchen Lehrerzimmernischen hinter Rotstiftbarrikaden zurück. Alle Kreativität, alle Selbständigkeit des Lernens (was Zeit braucht, wie Sie theoretisch wissen), alle Lust an der Arbeit ist dem Edikt des Jahresplans unterworfen: Quartalsnoten, Notenkonferenzen, Klassenarbeiten, Parallelarbeiten, mündliche Prüfungen, Elterngespräche, Zeugnisnoten, Halbjahresabschluss, Schulabschluss, Vorbereitung des Elternabends, Konferenzen, Abiturprüfungen, Verschriftlichung des Schulcurriculums, Lehrplanänderung, Schulbuchinspektion, Fortbildungstage und zwischendurch Fehlstunden zählen, Klausuren erstellen mit Erwartungshorizont sowie mindestens zwei Ersatzarbeiten für Nachschreiblinge, Elternbriefe aufsetzen und den Tag der offenen Tür planen. Mal wieder einen Ausflug planen? Ja, das ist eine Idee, aber wohin nur damit, wohin? Wann kann sowas möglich sein? Alles wird zu einem organisatorischen Monster, dem man besser aus dem Weg geht. Wird eine Klassenarbeit geschrieben, ist es vielleicht die letzte Stunde vor einer geplanten Arbeit? Wie viele Kolleginnen und Kollegen müssen dafür abgestellt werden? Welche Stunden fallen aus? Wie können die vertreten werden? Ist Vertretungsmaterial an die entsprechende Lehrkraft gereicht? Der Referendar oder die Referendarin erfahren davon wenig bis kaum etwas, aber dieses Monster, das Orgamonster, ist gefräßig und es ernährt sich vom Stress, den es selbst auslöst.

Natürlich müssen Sie Rücksicht auf das Abitur oder einen Jahrgangsausflug nehmen, doch im Prinzip sind Sie im Schonraum. Wie in einer Blase tanzen Sie einen ganz wundersam anzuschauenden anderen Tanz nebenan, der mit Seminararbeit, Referate, Stundenausarbeitung und Stoffreduzierung zu tun hat. Gleichzeitig haben Sie natürlich auch schon „richtigen“, weil eigenständigen Unterricht, doch irgendwie ist das anders.

Wäre es nicht schön, Sie würden die Zusammenhänge erklärt bekommen und einen Einblick während Ihre Ausbildung erhalten, woher dieser Wahnsinn kommt und wie zum Beispiel Stundenpläne und Stundenraster entstehen? Und dann noch Spielräume? Schon das Wort ist eine Melodie in Dur, Hoffnung.

Erfahrungen aus meiner Referendarszeit – vielleicht überholt?

Wie sieht Ihre Ausbildung zur Fachlehrkraft aus? An einem theoretischen Seminartag, erhalten Sie durch sich und Ihre Mitreferendare Input, wie eine Reihe bis zur Klassenarbeit geplant und aufgebaut wird. Sie erfahren, woher Sie passendes Stundenmaterial bekommen, wie Sie das vorhandene Unterrichtsbegleitwerk plus den Lehrerband dazu sinnvoll nutzen können und Sie fragen sich, wie Sie wohl den Stoff in die Schüler und Schülerinnen reinbekommen können, so dass es der Seminarleitung gefällt. Und natürlich mit Rezepten guter Unterrichtsführung. Die wichtigste Frage für Sie und all Ihre Lehrerkollegen lautet: Gibt es dazu ein Buch? Ein Deutschbuch, ein Spanischbuch, ein Übungsbuch, ein Lehrerbuch? Das Buch ist der Tod des lebendigen Unterrichts. Als in der Fachkonferenz für Darstellen und Gestalten die Anschaffung eines Lehrwerks diskutiert wurde, habe ich innerlich geweint. Als nächstes folgten Klassenarbeiten und theoretisches Lernen von praktischem Wissen.

Simulationsunterricht? Nein, den haben Sie doch schon all die Jahre ausführlich genossen, daran muss man nichts verbessern. Simulationsgespräche führen? So tun, als hätte man wirkliche Probleme im Schulalltag zu lösen und nicht bloß die Frage zu stellen, welche Novelle eignet sich für Jahrgang acht als Gemeinschaftslektüre? Müssen wir die anschaffen oder kauft sich jedes Schüly selbst sein/ihr Buch

Ideen einer anderen Lehrerausbildung

Stellen wir uns vor, ich müsste 15 neue Kollegys auf ihren Unterricht vorbereiten und sie ausbilden: Fangen wir damit an, was ich meinen Referendaren sagen würde: Ich kann dir inhaltlich nichts beibringen, weil ich mein inhaltliches Material fast ausschließlich kurzfristig nach Bedarf auswähle, was grob zum Thema passt. Ich weiß sowieso viel mehr als meine Schützlinge und wenn die Lerngruppe stärker ist, bereite ich mehr Material vor. Was ich dir beibringen kann: Wie bestehe ich vor der Gruppe? Was sind gruppendynamische Prozesse? Woran erkenne ich, welche Rolle wer in der Gruppe spielt? Wie kann ich die Teamfähigkeit (Teambuilding: 27 Übungen für besseren Teamgeist (lecturio.de) Nicht alle diese Übungen sind hilfreich, es muss eine Auswahl nach Belastbarkeit der Gruppe getroffen werden) trotz Konkurrenzdruck fördern? Was braucht die Gruppe, um sich zusammengehörig zu fühlen? Was braucht die Gruppe, damit sie mich als Leader akzeptiert? Alles Inhalte, die ich im Rahmen meiner Theaterpädagogischen Ausbildung gelernt habe, denn im Theater kann ich einem Regisseur schlecht sagen, dass er mal ausprobieren soll, wie er mit der Gruppe klar kommt. Das war übrigens mein erster AHA-Moment in der Ausbildung als Theaterpädagoge.

Ich beruhige meine Referendare, weil die Schüler und Schülerinnen bei einer verkackten Stunde nicht in ein Dummheitskoma versinken, es richtet wirklich kein Schaden an, inhaltlich wird der meiste Lernstoff vergessen, dient nur als Material, formale und soziale Aspekte zu erlernen. Ich erkläre meinen Referendaren, dass ich sie zunächst beobachte und ihnen dann zu ihrer Körpersprache, zu ihrer Aussprache und zu ihrer Wortwahl ein Feedback gebe, nicht im Sinne von Wertung, sondern im Sinne einer Achtsamkeitsübung. Kinder und Jugendliche sind wie junge Hunde oder Pferde, sie sind sehr sensibel für Schwächen.

Dann stellt sich endlich die Frage, was Jugendliche eigentlich in der Schule sollen. Sind sie da, um Wissen aus dem Angebot zu schöpfen? Sind sie da, um bestimmte Softskills zu lernen? Sollen sie überhaupt etwas lernen?

Ich behaupte, vielleicht! Die Inhalte sind Stellvertreter für die Softskills, die sie mitnehmen können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, doch ist eher die Absicht, dass die Schüler und Schülerinnen im geschützten Rahmen aufbewahrt werden und das möglichst preiswert. Wenn außerdem etwas dabei rauskommt, gut. Wenn nicht, nicht schlimm, muss dann die Wirtschaft auffangen. Dahinter steckt keine Verschwörung von dunklen Mächten, sondern eher das Ziel, möglichst wenig zu investieren und es so lange so laufen zu lassen, wie es geht. (Lesen Sie hierzu über das unsichtbare Handphänomen von Rudi Kellers „Sprachwandel“ und den Roman von Peter Hoeg „der Plan von der Abschaffung des Dunkels“. ) Wird an dem Konzept gerührt, dann kostet es viel Geld. Solange alle glauben (Lehrkräfte, Eltern, Kinder und Jugendliche) es seien alles individuelle Probleme, individuelle Systemschwierigkeiten, Standortphänomene, fehlende Ressourcen (was dem Hauptproblem grundsätzlich nahe kommt) oder ein Werteproblem (meine Lieblingslüge), so lange wird diese kaputte, nicht-zielführende Maschine Schule weiterbetrieben.  Wir wissen aus unserem Klein-e-Studium, dass Kinder und Jugendliche mit ihren STÖRUNGEN immer auf die Probleme aufmerksam machen. Wir wissen aus der Psychologie, dass Störungen Hinweise sind, denen man nachgehen muss, wenn man das zugrundeliegende Problem beheben will. Und es wird schlimmer, wenn man es ignoriert. Wir wissen auch, dass sich die Schule nicht wirklich verändert hat, seit wir in der Schule waren, seit unsere Eltern in der Schule waren und seit deren Eltern in der Schule waren. Medien haben sich geändert, die Stundentafel nicht, sie ist lediglich länger geworden, nur besser ist es nicht.

Wie geht es dann weiter? Ich würde meine Referendare zunächst einmal in Körpersprache schulen, sie zu Leitfiguren für die Schülys heranbilden. Anschließend stellt sich die Frage, was für Lehrkräfte sie sein wollen und wie die Zukunft unserer Schulen aussehen kann.

Also, lieber Referendar, liebe Referendarin: Was für Lehrkräfte wollen Sie werden?

Drum bedenke: Dein Weg ist weit und dein Erbe schwer.

Mein Musical – es geht los. Step one ist bekanntlich der schwerste

Wie ein langer Hürdenlauf erscheint mir der Weg bis zur Aufführung meines Musicals zu sein. (Mein Cursor ist weg, das irritiert.) Erst brauchten wir, mein Kollege für die musikalische Leitung und ich grünes Licht von oben. Endlich konnten wir genug Überzeugungsarbeit und Übernahme aller Verantwortung und Arbeit leisten, dass wir überhaupt nach einem Ensemble Ausschau halten durften. Dann mussten wir nach Schülerscharen suchen, die überhaupt willig sind, mitzumachen. Von 1300 Schülerinnen und Schülern haben wir jetzt 40 abgeschöpft, die jedoch von den Lehrkräften direkt als erstes mitgeteilt bekommen, dass sie auch ja immer gucken, dass sie alles nacharbeiten. Also haben einige meiner 40 Findlinge bereits wieder tapfer die Schulkarte gezogen und sind ausgestiegen …

Und dennoch, es sind so viele Schülys, dass wir die Rollen doppelt besetzen können, dass wir eine eigene Performancegruppe habe und dass wir einen Chor aus der Schülerschar stellen können. Alle Rollen doppelt vergeben, zwei mal zwei Inszenierungen und trotzdem die Sicherheit, dass nichts schief gehen kann. Wie cool.

Und dann ist da die Organisation: Klausurpläne im Blick behalten, säuerlichen Kollegen noch zwei mal mündlich erklären, wozu es schon Info-Mails gab, aus allen Listen die Kollegen zusammensuchen, bei denen die Schauspieler und die Sänger Unterricht haben, die Regeln kommunizieren, mehrfach auf verschiedenen Kanälen, Listen herumschicken, abgleichen, Probenpläne erstellen, alle Bedürfnisse der Künstler berücksichtigen, da dazwischen? Dazwischen wieder eine Mail von irgendwelchen Kolleginnen und Kollegen, die ja das Projekt an sich ganz toll finden, aber muss es denn wirklich so sein, dass man dafür probt – also generell? Dann fällt wirklich ständig Unterricht aus. Ich erkläre also das zehnte Mal, dass es einen Probenplan geben wird, dass die Schülys nur dann fehlen und dass jetzt etwas geballt ist, weil wir erst festlegen müssen, wer welche Rolle spielen kann und ein bisschen entnervt erkläre ich, dass bislang alle Schülys maximal zwei Mal bei uns waren, wir sie in kleineren Gruppen eingeladen haben und viele überhaupt nur einmal bei uns waren. Ist aber schon viel, was die jetzt fehlen werden. Ich bitte um eine Versuchszeit bis zu den Weihnachtsferien, danach könne man nochmals ins Gespräch gehen und schauen, wie viel der Schüler oder die Schülerin (unsere meisten Ensemblemitglieder sind natürlich weiblich) tatsächlich fehlt.

Jetzt kann es los gehen.

Mail: Hauptfigur Tom 1 verlässt die Schule.

Äh, woher nehme ich den Ersatz? Mist.

Wenn ich mich allerdings in die Beobachterposition begebe, fällt mir auf, wie reizvoll dennoch das Planen und Organisieren ist. Noch ist alles möglich. Jungfäulich offen und unversehrt. Die Rollen sind verteilt, der Text steht und in meiner Phantasie gibt es eine wundervolle Inszenierung mit Videoeinspielern, mit einem anpassungsfähigen Bühnenbild, bunten Showelementen, mit einer musical-würdigen Abschlussszene, mit einem passenden Rahmen, einer super Anmoderation und einer punktgenauen Technik, mit Händeschütteln, Verträge für ein großes Opernhaus, mit den Ärzten als Gäste, die dieses Musical kaufen wollen, mit dem Bundesverdienstorden und einer Schulleiterin, die mich anfleht, nicht zu kündigen, damit alle zwei Jahre an ihrer Schule ein so großartiges Musical stattfinden kann. Ich bekomme das Angebot, dass ich nur noch Theater mache, junge Referendare mit Theaterpädagogischen Elementen auf das Leben im Unterricht vorbereite, dass ich an diversen Schulen dafür gerufen werde, Theaterprojekte bis zum Erfolg zu führen und dafür muss ich keine Noten geben, nicht mehr an Notenkonferenzen teilnehmen, nicht mehr an Schulkonferenzen teilnehmen und überhaupt …

… dann kann ich aus einer Toilette trinken ohne Ausschlag zu bekommen.

Schule – warum brennt sie denn nicht endlich? Lehrerausbildung

Im Prinzip wissen wir es alle, zumindest diejenigen von uns, die in dem Betrieb tätig sind:

  1. ist die Ausbildung zu Lehrkraft gelinde gesagt „am Thema vorbei“;
  2. bereitet weder das Studium noch das Referendariat darauf vor, was dann kommt und
  3. ist es absolut unwichtig für die Einstellung als Lehrkraft, ob man mit Kindern und Jugendlichen umgehen mag oder nicht.

Wieso ist das so? Die Ausbildung – falls man das so nennen will – ist völlig verknöchert und alt. Wie eben auch niemand wirklich die Schule reformieren will, so traut sich auch niemand ernstlich an diese fragwürdige Lehrerausbildung.

Referendariat – der Ist-Zustand

Wenn ich jemanden haben möchte, der mir einen Tisch schreinern kann, wieso sag ich ihm dann nicht: „Probier mal dein Glück – und ich sag dir dann, wie dicht du dran warst! Du hast ja schon so Tische gesehen in deinem Leben, weißt ja, dass die vier Beine haben.“ So aber ist die Lehrerausbildung.

Der Referendar bereitet 45 Minuten phasierten Unterricht vor, der davon losgelöst ist, dass er ein ganzes Jahr durchhalten muss, dass es ein aufbauendes Curriculum gibt und dass es immer wieder aktuelle Themen gibt, die den Unterricht vom Lerngegenstand abhalten. Materialvorbereitung, Sätze vorbereitet, Tafelbild vorgeplant. Und in den Seminaren behandelt man Lerntheorien von Piaget und Co.

Nach meinem Referendariat wusste ich nicht, wie ich Gruppen steuere, wie Gruppendynamik zu bremsen ist. „Da hat ja jeder Lehrer sein eigenes Rezept!“ Und das steht sogar in den Standardtheorien von Guru Hilbert Meyer. So ein Quatsch. Natürlich gibt es Regeln. Keine Hundeschule würde sagen, dass da so jeder Halter so sein eigenes Konzept fahren müsste. Ich wusste nicht mal, wie ich einzelne Teile der Gruppe benenne. Wie ich mit Gruppen umgehe, wie ich einzelne Bestandteile der Gruppe identifiziere und was ich dann tun kann, habe ich durch meine theaterpädagogische Ausbildung gelernt. Verrückt. Und das ist das, was ich vermitteln möchte.

Wieso gibt es Nachwuchsmangel?

Meine Kollegin – sehr engagiert, sehr motiviert – erklärte mir, dass sie doch für diesen Stress, für diese Art Arbeit, für diesen Mangel an Erfolg, an Wertschätzung und an Voraussetzungen für gute Arbeit nicht studiert habe. Richtig. Dafür studiert man nicht. Auch nicht für die Ferienzeit, um das mal gesagt zu haben.

Wer also in der Lage ist, mit seinem Studium etwas Sinnvolles zu tun, der tut das auch. Gerade die NW-Fächer – Mangel an der Schule – bieten Spielraum für Großes. Während man nicht so genau weiß, was eigentlich Germanistik sinnvoll machen kann, kann ich mir sofort Spitzenjobs im Bereich Chemie, Mathematik und Physik vorstellen. Also nur um es gesagt zu haben: NICHTS von dem, was ich in meinem Studium gemacht bzw. gelernt habe, wende ich im Unterricht oder meinem schulischen Alltag an. NICHTS. Als Zahl? 0,0. ZERO. Der Inhalt meines Studiums hat mich definitiv nicht zum Lehrer ausgebildet. Er hat mir eine Grundlage für selbständiges Arbeiten vermittelt, was ich immer noch anwende. Doch ehrlich gesagt, hätte es Inhalte gegeben, die ich wirklich nutzen hätte können. Mein Studium hat meine Art zu denken, meine Art Probleme zu lösen, beeinflusst. Hinzukommt eine gute Allgemeinbildung, die ich im Alltag nutze, doch inhaltlich hat mein Studium zu meinem Beruf keinen Bezug. Mit meinem Studium hätte ich ebenso in einer Redaktion oder in einem Museum tätig werden können und genauso sehr oder genauso wenig wäre ich für diese Berufsfelder vorbereitet gewesen.

Aus dieser Ratlosigkeit vieler Gesellschaftsstudiengänge wie Romanistik, Geschichte, Germanistik, Philosophie, Sozialwissenschaften, etc. münden die Studierten und Examinierten in der Schule. Mein Weg war automatisiert, eine Einladung zum 2. Staatsexamen, mit Gehalt und Job. Meinen ersten Fuß in die Schule als Referendarin hab ich nur gesetzt, weil ich nicht genau wusste, wohin ich mit meiner Ausbildung sonst hinsollte. Geblieben bin ich, weil ich gedacht habe, ich könnte – wie arrogant und egozentrisch – was verändern für die Schülerschaft.

Lässt sich nicht Frust und Zeit sparen, wenn man tatsächlich zu diesem BERUF ausbildet? Also los: Was braucht es?

Lernen, was man hinterher im Unterricht braucht

Vorbereitend auf das Fach lerne ich allgemeine Inhalte der Curricula. Bleiben wir im Fach Deutsch, dann würde sich daraus ergeben, dass ich grundsätzlich überlege, wie man Lyrik vom Beginn bis zum Abitur gestaffelt vermittelt, wie binnendifferenziert der Aufbau von Gedichten erarbeitet werden kann. Dann Sachtexte, Theaterstücke, Filme, lange Prosatexte. Das könnte man jeweils vorbereitend für den Unterricht vorwegnehmen.

Wozu wird eine Klassenarbeit geschrieben? Wie sieht der Erwartungshorizont aus? Wie viel Zeit brauche ich für die Korrektur? Wie sieht ein vernünftiges Zeitmanagement aus? Okay, hier hätten wir die Problematik, dass dann seitens des Staates mal gesehen werden müsste, wie viel Arbeitszeit tatsächlich anfällt. Es müsste Zeit eingeräumt werden, für nicht-inhaltliche Unterrichtsaspekte: Anwesenheitsliste prüfen, Entschuldigungen eintragen, abhaken und nachverfolgen, Einsammeln von Geldern sowie der Nachverfolgung der unpünktlichen Zahlenden, Prüfung von Hausaufgaben, von Unterschriften der Eltern, des Schreibens von Notizen für die Eltern oder den anderen Lehrkräften, Eintragungen im Klassenbuch, etc. Das für jedes Fach, wäre ein wertvoller Schritt. Man hat ja zwei Fächer, das ließe sich dann vielleicht auch für drei Fächer verwirklichen.

Und provokant könnte man die fachgerichtete Ausbildung im Grundstudium mit der Frage schließen, wieso zu Kuckuck die jungen Köpfe mit Balladen, Novellen, Romanen, Zeitungsartikeln und ähnlichem vollgestopft werden müssen, wieso sie daran gehindert werden, ihre Finger in Dreck zu wühlen und Fundsachen hervorzubringen, die wie ein Wunder vor ihnen liegen. Wofür nur, wofür braucht es dieses Zeug?

Lernen, was man für den Berufsalltag braucht

Neben den Unterrichtsfächern bestimmt aber vieles andere mein Schulleben und mein Arbeitsleben. Zu glauben, der Unterricht ist der Löwenanteil meines beruflichen Arbeitens, der wird hoffentlich nicht enttäuscht sein, wenn ich ihm jetzt die Wirklichkeit vorführe: Organisieren von Klassenarbeiten, von zusätzlichen Diensten, vom Erstellen von Kopien, von Sich-Informieren über das, was sonst noch wichtig ist, Planen einer Infoveranstaltung zum Thema Facharbeiten-Schreiben, Vertretungsmaterial von einer Lehrkraft besorgen, Aufsichten übernehmen, Vertretungspläne und Mails lesen, Anträge für Unterrichtsgänge stellen, Verkehrswege heraussuchen, Elternbriefe als Information schreiben, sich über Theaterstücke informieren, Arbeitsblätter und Klassenarbeiten und Erwartungshorizonte selbst erstellen, Absprachen mit Kollegys treffen, Curricula implementieren, Listen für irgendwas erstellen, Noten in Listen eintragen und aus Listen übertragen in den Rechner, Klassenarbeitsnoten in einen Ordner der jeweiligen Abteilung eintragen, Minitexte für eine Fächerbeschreibung verfassen, Bücher bestellen, Bücher in Listen eintragen, Bücher mit Schülys holen oder wegbringen, Artikel für die Homepage, Mitteilung über Schülys schreiben oder Kollegys machen, Zuständigkeiten klären, Ausflug organisieren, Projektwochen und Klassenfahrten planen, etc.

Für das Studium könnte das bedeuten, dass Gruppendynamik, Organisation und Struktur, langfristige Planungen, Bewertungsmerkmale, Problematik von Inklusionsklassen, weitere Ämter an der Schule, etc. zu Bestandteilen des Studiums-Curriculums werden. DAS, was gebraucht wird: Deeskalationstraining, Theaterübungen für das Auftreten in der Klasse, Selbstmanagement, Schulrecht, Selbstmanagement Schule, Jugendpsychologie, Grundlagen von Psychosomatik, Medizin und erste Hilfe. Ganz nebenbei könnte man die jungen dynamischen Studierende mit der Frage der Optimierung beschäftigen, so dass sie frischen Wind in die Schulen tragen, wenn sie völlig benetzt von neuen Ideen die alteingesessenen Lehrys überzeugen wollen, von einer Schule ohne Noten, ohne Schulglocke, ohne Fächervorgabe, ohne Raumzwang, ohne irgendwas …

Der Vorteil eines solchen Studiums skizziert gleich auch den Nachteil: Mit dieser Ausbildung wird man tatsächlich und ausschließlich auf die Lehrtätigkeit vorbereitet und die zukünftige Lehrkraft muss schon während der Ausbildung wissen, dass sie das tun will und tun wird, weil sonst das gesamte Studium unbrauchbar für irgendwas anderes ist. Böse wäre jetzt zu unterstellen, dass das vielleicht viele Lehrys abhalten würde, überhaupt Lehrkraft zu werden. Zurzeit scheinen sich in den Beruf nur jene zu verirren, die vielleicht irgendwann falsch abgebogen sind oder die nicht das Rüstzeug für mehr als diesen Weg hatten. Außerdem: Sicher ist sicher. Dieser Job packt die Ängstlichen bei der Lebensangst.

Aber nehmen wir den klassischen Typus, der gerne Lehrkraft wird: kinderlieb, Helfersyndrom, überzeugt davon, die Gesellschaft verbessern zu können, familienorientiert, Wunsch nach Autonomie und Sicherheit, rechtschaffen, leidensfähig, hohes Allgemeinwissen, regelorientiert, sozial, mag keine Veränderungen. Dieser Typus will gar nicht lange studieren und schon gar nicht großartig Karriere machen, möchte aber einen gewissen Status erreichen. Das Studium wäre also maßgeschneidert als Mix zwischen autonomer Selbstfindungskreativität und Rechtsbildung. Bieten wir einen nine-to-five-Job an, bei dem die Lehrys in den Ferien im Büro abarbeiten, was sie noch nicht abgeschlossen haben (Klausurkorrektur und CO), werden Lehrkraftwillige den Universitäten bzw. den Schulen die Türen einrennen.

Utopia Schule

Wo wir uns schon im Land UTOPIA befinden: Es wäre ein Traum, wenn eine jede Lehrkraft einen eigenen echten Arbeitsplatz hätte sowie EINE bezahlte Stunde für Beratungsgespräche, die von Schülys wahrgenommen werden kann. Und wieso nicht auch Lehrkräfte, die keine Lust mehr auf Pubertiere oder Kinder haben (also nach einem ersten vollen Durchgang), an die Universitäten zurücklassen, die dann die nächste Rutsche Lehrys ausbilden – so richtig mit Echtheitszertifikat?

Ach, dann würd ich mir ja den Wechsel überlegen … ehrlich, aber so …