Als ich junge Mutter im Referendariat war – mit drei kleinen Kindern an und zwischen den Beinen und Armen – da dachte ich oft, es müsse einen Ort geben, wo man Luft bekommt, wo die Uhren langsamer tickten und wo das Leben entspannter sein könnte. Die drei Kinder wurden größer, die Ansprüche und Probleme mit und ich arbeitete mehr. Haushalt nebenher (wieso sollte ich eine gute Hausfrau sein wollen?), und schreiben ging gar nicht. Und überhaupt, wie schafften andere das? Noch irgendwie gut aussehen, Gäste empfangen und Freundschaften pflegen und Hobbys ausbauen? Sport und Gesundheit nicht zu vergessen … Ich managte es immer besser und gleichzeitig wuchsen die Herausforderungen.
Meine Ersttätigkeit „Lehrerin“ beschäftigt mich kognitiv und sozial und emotional so sehr, dass das mit dem Schreiben, den kreativen Tätigkeiten im Allgemeinen immer nur bis zu einem gewissen Grad im neuen Schuljahr klappte. Spätestens wenn das Feld „Gesundheit“ und „Bewegungsmangel“ drückt, wird es eng. Diese verschiedenen Felder, die ich wie im Tanzrausch besuchen muss, die lassen einen kaum zu atmen kommen.
Mein Zweitjob „Kinderpflege und -Versorgung“ hab ich stark reduzieren können, läuft langsam auch ein Nullsummenspiel hinaus. Ich glaube ja, eine gute Mutter zu sein, die ihren Kindern Entwicklungsfreiräume gab. Aber was ist schon wirklich „gut“? Und sind wir am Ende nicht alle gut? oder die Guten? Ich gebe zu, dass das Feld „Bewegungsmangel“ mehr Aufmerksamkeit verlangt, schon um einem weiteren Bandscheibenvorfall vorzubeugen. Doch ehrlich, ich spür die Jahre langsam im Kreuz beim Aufstehen, muss also mehr tun. Das Problem versuch ich mit meinem Lieblingshobby „Tango“ zu erschlagen: Bewegung, Sozialkontakte, Achtsamkeitstraining, im Sommer sogar auch frische Luft. Genügt aber nicht, genügt aber nicht. Also freie Ressourcen auf Sektor „Kinder“ wurde direkt von dem Feld „Gesundheit und Bewegung“ absorbiert.
Nun gesellt sich ein Drittjob mit Platzansprüchen dazu: Verlag und Schreiben. Würde es gern zurückdrängen, sagen, dass gerade nicht so günstig ist, dass ich noch ein bisschen am Erstjob zu tun hab. Mein kleiner etwas pummelig gewordener Liebling „Kalender“ meldet sich zu Wort. Der ist ganz vollgestopft und fühlt sich übersättigt an, meint, er möchte doch auch mal abnehmen. Ich hab’s versprochen wegen Work-Life-Balance und so. Weniger voll. Und ich guck traurig „Kalender“ an und sag fast schon vorwurfsvoll, er möge sich an 2013/14 klammern, da waren wir das ganze Jahr unterwegs und hatten kaum Termindruck. Er jammert und meint, genau das sei sein Punkt, was fühlt es sich hübsch an, wenn man mal nicht weiß, was der nächste Tag bringt. Ich sag, dass wir davon auch einige 2020 hatten. Damit er nicht ganz so trostlos in der Gegend hängt, erklär ich ihm, dass ich gute Aussichten auf nächstes Jahr sehe, wenn wir diesen Erstjob loswerden und dafür einen waschechten Halbtagsjob an Land ziehen, einen, der hält, was er verspricht. „Kalender“ ist aber noch nicht fertig, zeigt mir, dass ich ja schon für nächstes Jahr Ostern, Juli, Pfingsten wenigstens Termine ausgemacht habe. Ach ja, seufze ich.
Damit kann ich mich nicht beschäftigen, weil mir Freund „Gesundheit“ – im Vertrauen, dat ist echte Hassliebe – gerade erklärt, dass wir aufgehört haben zu atmen, zu meditieren und Yoga vernachlässigen. Der ist so dicke mit „schlechtem Gewissen“, dass ich manchmal das Gefühl habe, gegen zwei Verbündete zu stehen, die wie eine Mauer keine Gnade kennen, so wie die Eltern früher. Und alles ja nur zu meinem Besten. Freund „Gesundheit“ erklärt mir außerdem, dass ich gerade einen Infekt ausbrüte. Viel Trinken – schon wegen der Haut. Und lass die Chips weg. Vitamin C brauchst du und Ruhe.
Und ich? Was ist mit mir?
Ich sitze am Rechner, dicken Kopf, Schniefnase und krieg mich nicht hochgewuchtet, um mich zu pflegen, muss noch eben: die KA 7 vorbereiten, die Telefonnummern für die Jugendherberge sowie die Telefonzeiten heraussuchen, noch die Zahnarztnummer vorbereiten, mir die Steuererklärung auf die To-Do-Liste legen, die Postkarte vorbereiten und die Lesungstermine sichten … Im Kopf hämmert gegen die Schädeldecke der Satz:
Hab ich was vergessen?
Hab ich was vergessen?
Ach ja, ich hab ein neues Hobby angefangen: Cello spielen.
Tango bedeutet: es gibt einen Führenden und einen Folgenden – geschlechtlich in allen Kombinationen denkbar, denn nach dem Mythos seiner Entstehung lernten Männer von Männern in Hinterhöfen die Tangoschritte, während Frauen es Frauen beibrachten, wie man so richtig auf die Schritte reagierte. Der oder die Führende bietet dabei den nächsten Schritt an, der oder die Folgende folgt der Einladung, so, wie er sie eben versteht! Es gibt Regeln, damit die oder der Folgende versteht, was der oder die Führende anbietet. Ein Dialog wird es, wenn eine Person auf die andere reagiert, wenn beide dafür sorgen, dass es sich gut anfühlt.
Wichtig dafür sind folgende Regeln. Bitte beachten Sie:
Lektion 1: es gibt keine falschen Schritte, es gibt nur welche, die vielleicht nicht intendiert waren.
Lektion 2: die Musik gibt den Rhythmus vor, das vertanzen erfolgt durch das Paar.
Lektion 3: Die geführte Person macht mit: sie geht selbst, dreht selbst. Und die führende Person schubst, schiebt oder drückt nicht.
Das Führen beinhaltet die anstrengende Dimension von Planung und Verwirklichung im Raum. Wenn noch ganz viele andere dasselbe mehr oder weniger berechenbar tun, lässt sich das Gestalten des Dialogs schwerer realisieren. Gestalten kann ich es allerdings nur, wenn es mir „erlaubt“ wird, wenn ich dafür nicht bestraft werde. Natürlich merke ich, wenn es mein Gegenüber aus dem Konzept bringt. Doch wie geht er damit um? Von Schweißausbruch bis Unterbrechung des Tanzes ist alles möglich, wie ich festgestellt habe. Spielereien, gewagte Verzierungen, Unterbrechungen der Schrittfolge und Übernahme der Führung bringe ich in unseren Dialog erst ein, wenn ich einmal oder ein paar Mal mit demselben getanzt habe.
Führen – auf zwei Arten
Zwei Arten von Tangueros bevölkern die Tanzfläche, dazwischen gibt es weiche und harte Konturen, selbstredend. Schon lange gehe ich davon aus, dass die Art, wie wir tanzen, oder präziser, wie wir uns tänzerisch ausdrücken, viel über uns selbst aussagt. Paare und einzelne Menschen könnte man über das Tangotanzen therapieren, vielleicht sogar heilen! Natürlich erfahre ich einiges über den Herren mit dem offenen oder geschlossenen Knopfloch, schließlich starre ich auf seine halb unter dem Hemd verschwundene Kette oder jenen Anhänger, starre auf seine kleinen grauen Haare auf der Brust, die sich mühselig am Hemd vorbei hervorschieben, oder auf kleine Dinosaurier auf dem Hemd, um ordentlich bei ihm zu bleiben, vor ihm zu bleiben, mit ihm zu sein. Es gibt Tänzer, die haben eine Führung wie ein Stakkato, ruckartig und zackig, kraftvoll, schwungvoll und manchmal auch unbarmherzig. Hier ist Führung haben ganz wichtig. Zack, hängst du an der Brust des Fremden und er führt. Es gibt aber auch die weiche, zarte Führung, die kaum zu bemerken ist, wo ich mich frage, was ich machen soll. Das Ideal ist die Führung, die ganz weich bleibt und doch fühlt man sich so sicher wie auf einem Schiff auf offener See. Der Herr macht fast unsichtbare Bewegungen, aber eindeutige, die genau interpretierbar sind. Leicht wie eine Feder, jede Bewegung ist kontrolliert. Wenn man eng mit diesem Herren tanzt, dann ist es die eigene Entscheidung und fügt sich dynamisch als Angebot in den Tanz ein. Und dann gibt es die Führung, bei der man weiß, dass man sich auf offener See befindet, vermutlich ist da der Herr der Rettungsring …
Meine schönsten Tango-Momente in diesem Jahr in Krummendeich
1. Ein Tanz mit meinem Angstgegner, den ich nicht nur souverän meisterte, sondern dem ich viel Freude und experimentellen Spaß abgewinnen konnte. Bis zu dem Moment, als ich sagen durfte: „Das hab ich gar nicht geführt!“ 2. Mehrere sehr experimentelle Tänze, die nicht nur uns beiden Spaß gemacht haben, sondern auch ohne Achsbruch oder Achsverlust (für die nicht-tangoaffinen Lesenden) verliefen. 3. Das Kompliment eines Tänzers nach der Woche, dass er nicht nur genossen hat, mit mir zu tanzen (wie ich im übrigen auch mit ihm), sondern dass er etwas mitnimmt insbesondere aus den Tänzen mit mir, nämlich die Experimentierfreude. Außerdem hat er erklärt, dass ihm besonders gefällt, dass ich so dabei bin beim Tanz, dass ich ihn vor Karambolage mit anderen Paaren bewahrte, dass ich gezielt und dezent die Führung übernahm und ihn das nicht störte. 4. Mit vielen wirklich guten Tänzern sehr häufig getanzt zu haben. Ich tanze auch mit Tanguero Nr. 1, den es verrückt macht, wenn ich Zwischenschritte setze, wenn ich verziere und er es mitbekommt, wenn ich die Barridas nutze, um Taktspielchen zu machen, etc. und beherrsche mich dann. Freude, Tangospaß und Lust am Tanzen macht mit Tanguero Nr. 2: Raum für Spielereien, Geduld und Mitspiel, Grenzen ausloten im Rahmen der Regeln und schauen, was sich gut anfühlt. Davon gab es diesmal richtig viele, acht würde ich meinen.
Resümee zu Krummendeich 2024
Im Tanzkurs übt man das Ideal, auf der Tanzfläche bei einer Milonga ist alles möglich. Es ist ein Dialog. Wieso sollte ein Dialog etwas sein, wobei der eine immer nur eine Frage stellt, und der andere nur mit vorgegebenen Antworten reagiert? Tango, dass ist ein improvisierter Tanz nach Regeln der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Vor einem Jahr tanzte ich mit R. zum ersten Mal in Krummendeich bei Isabella und Ivan. Anfänger hörte ich. Ich ahnte Schlimmes, doch mein Tanzpartner hatte die Lust am Tango entdeckt wie ein staunendes Kind. Er probierte aus und schaute, was passierte, wenn man den Schritt so oder so machte. Und ich probierte mit. Ich schaute, was ich alles machen kann, ohne das Folgen ganz zu lassen. Es war eine Befreiung, die sich über ein Jahr hinzog. Auf Spiekeroog tanzten wir zum Jahresbeginn erneut zusammen. Mein neuer Erkenntnisgewinn: ich muss nicht nach der Führungsabsicht suchen und im Trüben herumstochern, es genügt, wenn ich tanze, was ich verstehe. Klingt ganz leicht, ist aber mental mehr Arbeit, als der Herr vielleicht denkt. Zurück in diesem Jahr Krummendeich stellte ich fest – solange ich nicht darüber nachdachte und meinen Kopf verbog, was jetzt wieder mein Problem sei – dass mir viel egaler als sonst war, ob der Führende sich vollends verstanden sah, solange wir nur beide unseren Spaß hatten.
Was ist denn nun Krummendeich und Spiekeroog (vermutlich auch Proitzer Mühle)?
Krummendeich ist ein sehr familiäres Tangoerleben, mit wenig Ablenkung konzentriert auf den Tangofortschritt. Täglich tanzen wir ca. 6 Stunden Tango, mit einem Ruhetag dazwischen. Leckeres Essen (vegetarisch und urgesund) gibt es zwischendurch. Alles vor Ort mit einem schönen Tanzraum und toller Akustik. Diesmal waren wir ca. 40 Personen, die sich nach den sechs Tagen richtig gut kennengelernt haben. Sport und Körper stehen im Fokus: morgens Wachwerdbewegungen mit Yoga, um 10 Uhr ein Warm-up für den Körper zur Bewegungsvorbereitung, dann 1,5 Stunden Kurs, um 16.30 nochmals zwei Stunden Praktika und abends ab 21 Uhr Milonga bis niemand mehr tanzt. Spiekeroog hat ein ähnliches Konzept: Schwerpunkt Tango ohne Ablenkung, viel Ruhe und Natur, doch das ist im Vergleich die selbstversorgende XXXL-Version, denn die auch täglichen Milongas erlauben höchstens das Briefmarkentangotanzen. Und: Ivan legt bessere Musik auf.
Wieder hin? Ja, nächstes Jahr im Juli 2025 hab ich die Termine schon gebucht. Wer weiß, was sich bis dahin bewegt hat.
Tagträumereien, wie ich mir meine Zukunft denke oder – Schrägstrich – wünsche, das kennt jede und jeder. Doch in diesem Jahr wird sich erweisen, ob dieses Träume Konturen bekommen, die sich in die Realität heben lassen. Mein erster Schritt „Lösen von Materie“ har ja schon mal geklappt, hat Schmerzen verursacht und ich habe das überlebt. Mein zweiter Schritt „Zähne in Ordnung bringen“ ist ebenfalls sehr sehr schmerzhaft, konfrontiert mich auch mit meinen Urängsten, aber in einer ganz anderen Weise. Jeder diese Schritte schafft das Relief einer neuen Zukunft. Doch wie wird es sein?
Damals, als ich das erste Mal schwanger war, als ich erlebte, wie sich das Unbekannte meiner Zukunft im Bauch bewegte und anfühlte, da dachte ich so vieles, was sich nicht ereignete und ich dachte an so wenig, was sich ereignete. Was lustige Vorstellungen hatte ich bis zur Realität davon, wie das Zusammenleben mit eigenen kleinen Kindern sein könnte und wie Erziehung funktionierte. Dies war meine einschneidenste Erfahrung und hat eine lange Lebensphase umfasst.
Jetzt stehe ich vor den Toren einer neuen Lebensphase; ich bin erfahrener, toleranter und sogar geduldiger geworden, wobei schon ein Anteil meiner großen Ungeduld dazu führte, dass ich besser nicht weiter an dieser Schule Lehrerin sein sollte. Diese Phase geht jetzt zu Ende.
Im August kommt er – meine erste Veröffentlichung
Was ich mir vornehme, plane und woran ich arbeite, scheint sich doch umzusetzen. Ich benötige dafür eine Deadline, etwas Zeit und meine Träumerei, die mir ausmalt, wie ein Plan entstehen kann. Nachdem ich nun meinen Roman zum x-ten Mal selbst zur Korrektur gelesen habe (einmal rückwärst), kann ich sagen, dass ich die meisten kleinen Fehlerchen mit der Löschtaste erwischt und aufgespießt habe. Aktuell will ich ihn noch einmal durchlesen, zwei oder drei kleine sehr flüchtige Biester ausmerzen und dann ist es getan. Im August kommt er dann raus, offiziell.
Ganz offiziell ist das nicht meine erste Veröffentlichung. Ich hatte schon das Vergnügen der ein oder anderen Kursgeschichte, siehe meine Vita. Anders ist es allerdings dennoch. über 650 Seiten (normal beschriebene, nicht in MS-Format) sind so umfangreich in den Details, dass ich erstaunt bin, welche interessanten Symbole ich gefunden habe, welche eigenartigen Metaphern sich wiederholen und wie dicht insgesamt der Text geworden ist. Das ein oder andere vergesse ich tatsächlich immer mal wieder, habe es zwei Mal gesagt und muss mich dann entscheiden, wo ich es wegstreiche. Ich stelle fest, dass ich nach sechs oder acht Mal Lesen trotzdem nicht genau weiß, wo ich das hingeschrieben habe. Und immer wieder stelle ich mir die Frage, ob 60 Tage tatsächlich genügen, eine solche Veränderung in der Gesellschaft zu bewirken. Ist das glaubwürdig? Dann beruhige ich mich und denke, dass Corona uns genau das gezeigt hat. 60 Tage für einen gesellschaftlichen Totalschock würden genügen.
Wenn ich es verfilmen würde, würde ich die Dauer der Gefangenschaft allerdings offen lassen. Ich würde nicht darüber nachdenken, ob es nun 50 oder 60 Tage sind. Hier diente es meiner Einteilung.
Und wozu ich eine Menge Phantasie und einen langen Atem brauchen: WERBUNG. Ich muss meinen Roman selbst bewerben, über sämtliche Kanäle, die mir zur Verfügung stehen. Ich muss die Y-Chroniken beatmen, mit Leben füllen. Hier kleine Zusatzgeschichten, dort ein kleines Hörspiel und alles, was es für eine schöne Fanseite benötigt. Lesungen wollen organisiert, Texte rangeschafft und der zweite Teil nachgelegt werden. Ja, der hat schon einiges an Volumen, doch muss ich mich bezähmen, denn im zweiten Teil wird nicht alles auf einmal gesagt.
Werbung und Vermarktung, da braucht es mehr als nur ein paar Träumereien von Radiobeiträgen, Auftritten in TV-Talkrunden oder ähnliches mehr. Ja, das wäre schon sehr nett, wenn es jedoch zu Auftritten in Talkrunden kommt, dann bin ich bereits erfolgreich. Soweit darf man das nicht vergessen.
Wie isst man einen Elefanten?
Ich weiß, was ich schreiben will, ich weiß, worauf die Geschichte hinausläuft und ich weiß, dass mein Endziel eine Serie ist, an der ich zumindest mitschreibe. Hielt ich meinen Gedanken für besonders, dass es sich um einen Welt-Plot handelt, bei dem in jedem einzelnen Teil eine andere Figur im Fokus steht? Ja, dachte ich. Ich habe mich im langen Prozess damit auseinandergesetzt, ob Paul und Bianca bleiben, als zentrales Antagonisten-Gestirn. Ja, die anderen Figuren sollten am Rande schon weiter mitlaufen, sozusagen mitwachsen, ihre Beweggründe, ihre Entscheidungen, ihre Wünsche und Ängste sollten jedoch kein zentrales Thema umranken. Ich wollte – und werde es so auch machen – die Welt durch verschiedene Blickwinkel betrachten. Vor allem finde ich spannend, unterschiedliche Genres zu kreuzen und durch diese Wechsel hindurch einen ganz leisen, klaren Faden einer Tonalität wirken zu lassen. Der Stoff erhält so einen Schimmer, den nicht alle erkennen können. Soweit das Ideal.
Und ich dachte, das sei eines meiner Alleinstellungsmerkmale, denn alle anderen Serien drehen sich in der Regel um eine Hauptfigur. Im Prinzip arbeitet Julia Quinn mit ihren Schmachtschinken Bridgerton in ähnlicher Weise. Sie widmet jeden Band ihrer Saga einem anderen Familienmitglied und arbeitet sich durch, so dass die anderen Familienmitglieder zwar auftreten, auch mal was zu sagen haben, sich auch weiterentwickeln, aber ihre Geschichte ist erzählt und nun folgt eine andere leidenschaftliche Liebesgeschichte. Der Rote Faden bei den Bridgertons ist Lady Whistledown bzw. Penelope Featherington und wie sie sich langsam von einer Raupe zum Falter hin entwickelt. Andererseits bleibt die Autorin Collins in einem Genre und das will ich selbst überwinden.
Eine weitere Parallelität ist die Anzahl der Figuren. Auch in meinen Geschichten (eigentlich schon immer) treten viele viele Figuren in Erscheinung. Der einzige Roman, der das nicht hat, ist die Nietzsche-Frau, das sind drei Figuren. Sollte ich zu Lebzeiten gefragt genug werden, würde ich diese Geschichte final korrigieren und publizieren. Doch das ist eine andere Geschichte. Das Zeitmedaillon bräuchte ebenfalls nicht mehr viel Schliff – andererseits, heute schreibe ich anders. Man wird sehen. Die Chaotologie wäre ein Liebhaberstück. 🙂
Der schwierigste Teil, der vermutlich wenig begeisterte Fans finden wird, ist der erste. Ich weiß das. Dafür gibt es zahllose Gründe: sehr langatmig erzählt, sehr komplexe Sprache, anspruchsvolle Wechsel mit zahllosen Lücken, die sich der oder die Lesende selbst füllen muss, viele Figuren, als Genre ist eine Liebesgeschichte in einem Science Fiction sehr anspruchsvoll (entweder lesen Männer SiFi oder Frauen Liebesgeschichten, der Mix gelingt dann selten). Und da es noch sehr lang ist – für ein Debüt viel zu lang, würde mich wundern, wenn ich in den ersten Jahren mehr als 150 Exemplare verkauft bekäme. Sollte ich es deswegen nicht so aufwendig und (für mich) teuer veröffentlichen? Nein, ich denke genau das Gegenteil. Inzwischen liebe ich diese Geschichte besonders: diese bunte Männermischung im Stollen, die vielen Dinge, die nebenher passieren und wie sich daraus eine neue Welt erschaffen hat. Ich darf nur nicht vergessen, dass die Gummipuppen in Teil II noch ein Comeback brauchen. Auf jeden Fall werden die Sektkorken knallen, wenn ich die Marke von 150 verkauften Exemplaren erreicht habe. Und eine Chance habe ich, wenn es im ersten Jahr der Veröffentlichung passiert.
Was bei all meiner Planung wichtig ist:
einen Arbeitstag pro Woche für das Schreiben
einen für all die Korrespondenz und Werbung
drei Tage, um richtiges Geld zu verdienen;
einen für Theaterseminare, Tangolektionen oder ähnliche Projekte
einen Tag für mich und die Küche oder den Garten.
Mehr als sieben Tage hat die Woche nicht. Das will also genau überlegt und entschieden werden. Drei Tageswoche, da wird wenig für meine Rente hängen bleiben. Ich brauche also für die Rente einen Plan B: Erbschaft, reiche Heirat, Mäzen, Ruhm. Ich weiß, der Ruhm ist mir ja gewiss, aber macht der satt? Vor allem brauche ich eine Lösung, falls ich so alt werde, dass ich gepflegt werden muss. Was, wenn ich das alte Altsein nicht verhindern kann oder verhindern will? Will ich auch in diese Falle tappen zu glauben, dass ich nur älter werde, nicht gebrechlich, unbeweglich, krank, vergessend, hilfsbedürftig? Das alles will ich nicht werden, aber schützt mich der Wille davor?
Bevor wir dahin schauen, schauen wir auf die nächste Lebensphase, meine totale Freiheit. Womit ich mir beweise, dass der Mensch doch mehr Freiheit hat, als die meisten sich zugestehen, wenn ich das wirklich realisiert bekomme. Die kleinen Schritte hin in eine andere Wirklichkeit:
Jetzt zu Ende bringen, was ich begonnen habe: Musical, Finanzamt, Autoumbau, Jobsuche
Kündigen meiner Lehrtätigkeit und einen neuen Vertrag für sechs bis acht Monate unterschreiben
Filmfestivals, BUT-Seminare belegen bis zum Abschluss, Tangolehrerausbildung, Universität besuchen
Umherreisen, dazwischen online Geld verdienen oder auf dem Weg (Housesitting, Oma-Nanny, Gelegenheitsjobs, auf der Straße Theater oder Singen)
Die Romanteile 3, 4, 5, evtl. 6 schreiben, mich weiter an Drehbucharbeiten begeben und die verkaufen
Beenden der Lebensphase mit 57 oder 58 Jahren, indem ich sesshaft in einer schönen Stadt (Potsdam, Freiburg, o woanders) werde.
Eine schöne Liste. Das Hausprojekt schließt diese Lebensphase des Reisens und Treibens. Das ist dann meine Abschlussphase und da möchte ich dann ankommen und all das machen, was noch in mir ist, wie auch Oma-sein, bevor dann mein Körper den Rückzug anstrebt. Am liebsten möchte ich so eine alte Lady werden, wie es M.’s Mutter ist, doch wer weiß, was der Lebensweg bereithält.
Yoga ist die Lehre vom Hier und vom Jetzt – eine sehr praktische bzw. praxisnahe Lehre. Ich übe mich darin mit minder oder mehr Erfolg. Doch kaum mehr kann man im Dazwischen sein, als ich es aktuell bin.
Mein Umzug steht symptomatisch für diesen Zustand. Irgendwie stimmen beide Adressen und keine richtig. Meist will man an dem einen Punkt nicht mehr sein und kann sich doch nicht richtig lösen, der neue Punkt zieht bereits hartnäckig. Klebrig und zäh muss man immer wieder hin und noch und noch ein paar Sachen einpacken, sortieren oder wegwerfen. Jedes Blatt, jede Heftzwecke und jedes Buch verlangt eine Entscheidung. Nicht nur für oder gegen es, sondern in meinem speziellen Falle auch: welche Kategorie? Kategorie „Langfristig“, „Mittelfristig“ oder „Kurzfristig“ oder vielleicht langfristig. Zu meiner Schwester, zu meiner Tochter, zu meinem Ex-Mann, zu meinem neuen Zuhause?
Mein spezieller Fall
Was ist mein spezieller Fall? Ich will aussteigen aus meinem Beruf, was für die meisten Menschen reinster Irrsinn ist, denn ich hab doch den besten, nein den sichersten Beruf überhaupt: gute Bezahlung, unkündbar, traumhafte Pension. Wieso sollte ich den denn kündigen? Die Gründe sind wirklich erdrückend und mich rausschleichen durch eine Krankheit (vorgetäuscht oder wahrhaftig) will ich nicht. Die wichtigsten drei Gründe sind vermutlich die: Das Schulsystem ist falsch und macht die Menschen (Kinder voran, aber auch die Erwachsenen) darin kaputt; meine Gesundheit ist mir mehr Wert als Geld; ich brauche meine Zeit für viele andere Dinge, die ich noch auf meiner Bucketliste habe und die Zeit nach der Schule ist mir nicht gewiss genug.
Allerdings muss das gut vorbereitet sein und ich halte auch meine Versprechen mir selbst gegenüber gerne ein: Ich möchte erst noch das Musical auf die Bühne bringen. Ich möchte noch in dem Jazzkeller aus meiner ersten Veröffentlichung des Romans lesen. Ich möchte finanziell ein bisschen Vorsorge treffen, bevor ich in das Nichts von Phantasien trete. Ich möchte meine Zähne, meine Steuern, meine Finanzen, meine Gesundheit soweit auf dem Weg haben, dass ich ohne Bedauern aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden kann. Ich möchte meine Kinder noch ein wenig begleiten, zumindest ein bisschen beobachten. Ich möchte die ersten Schritte in Freiheit planen können.
Ein Grund – meine Gesundheit
Ambivalent und wie ein Dazwischen erscheint mir, dass ich die beste Versorgung meiner Gesundheit als Beamte finanziert bekomme. Natürlich nicht wirklich, denn mein Arbeitgeber bezahlt lange nicht alles, um mich wirklich gesund zu machen. Doch durch die private Versorgung bin ich schneller und intensiver versorgt. Gleichzeitig macht mich dieses System marode, es zersplintert mich regelrecht (Danke für diesen Ausdruck, J.K. Rowling).
Wenn ich auf meinen Job gucke, was ich zu tun habe, welche Aufgaben und Pflichten, dann erscheint alles ganz einfach und geordnet: Noten geben, Zeugnisse ausstellen, dazwischen ein bisschen Stoff vermitteln. Vermische ich das Ganze mit den gut durchgeschüttelten Vorurteilen von faulen Schülys, von unverschämten Erwartungen, von verwahrlosten, sich selbst überlassenen und misshandelten Kindern, dann habe ich vor allem immer Recht. Hinterfrage ich dieses Bildungssystem, schaue ich mir real an, wie wir Kinder von all dem abhalten, was sie selbst wollen, wie wir sie entmündigen, ihnen absprechen, dass sie selbst wissen, was sie lernen wollen, dass wir ihnen nur immerzu vorschreiben, was sie zu welcher Zeit zu tun und zu lassen haben, sehe ich mir und meinen Kollegys dabei zu, wie wir diese Gefangenschaft minutiös aufrecht erhalten, Regeln dazu konzipieren und uns selbst wie auch die Kinder und Jugendlichen beschneiden, dann kann ich diesen Job nicht erledigen. Zwischen diesen beiden Sichtweisen hänge ich gefangen und kämpfe mit meinem Pflichtbewusstsein gegenüber meinem Auftraggeber ebenso wie mit meinem Wunsch nach Rebellion für die Kinder und Jugendlichen. Der Preis ist die Gesundheit.
Sicher, ich bekomme auch bei der Frauenärztin noch einen Termin, obwohl sie keine neuen Patienten annimmt. Der Augenarzt lässt mich nicht erst drei Monate stehen und ich brauche keine Zuzahlung für Medikamente leisten. Ist es nicht wünschenswerter, keinen Arzt zu brauchen, für den ich meist nur eine Melkkuh bin?
Ein anderer: All die Dinge, die mich erwarten – in Freiheit
Die Verbeamtung ermöglicht, dass ich rein hypothetisch aus Krankheitsgründen ausfallen kann. Damit will ich nicht sagen, dass viele nur eingebildet krank sind (siehe oben)? Aber will ich denn selbst so krank werden? Wenn unser Schulsystem anders werden würde, mehr Personal einstellen würde, die Verbeamtung auflösen würde (ja, was spricht bloß dagegen), wenn das System an sich überholt werden würde, wenn man ehrlich Geld anfassen würde … Ich träume. Ich bitte um Verzeihung.
Was ich will, ist Freiheit (obwohl ich gar nicht an selbstbestimmte Freiheit glaube). Jedem Menschen wohnt inne, dass er sich im Laufe seines Lebens auch noch einmal umentscheiden kann. Nur, weil ich in jungen Jahren entschieden habe, diesen Weg als Lehrer zu gehen, heißt das nicht, dass das für immer sein muss. Im Gegenteil, meine Entscheidung für diesen Beruf hatte zwei Motivationen: Veränderung des Systems von Innen zu bewirken; meinen Mann zu entlasten und Geld verdienen, bis meine Kinder erwachsen sind. Letzteres ist geschehen, ersteres funktioniert nicht. Spätestens seit Corona – eine unendlich verpatzte Chance, das System neu zu booten – wissen wir, dass die Gesellschaft genau dieses kaputte System will; Eltern wollen es, weil sie damit entlastet werden, weil Familienleben dann eine Struktur hat, weil sie glauben, dass die Kinder nur so etwas lernen. Arbeitgeber wollen es, weil sie glauben, dass nur so Jugendliche sozialisiert werden können, um sie überhaupt für den Arbeitsmarkt tauglich zu machen. Dieses System ist faszinierend stabil mit all seinen Paradoxien von Noten, von Stundentafeln, von Ausfallzeiten, von Abschlüssen. Bevor ich aber ausufere, kehren wir zurück zum Thema.
Ich bin Lehrerin geworden – nicht wider Willen -, weil das ein Beruf ist, der Spaß macht; der mich bereichert; der dazu führte, dass mein Ex-Mann ein Gefühl von Sicherheit bekam; der immer wieder anders und damit durchaus spannend ist. Mit dem Ticket der Sicherheit in der Hand versprach ich mir 2007 selbst, dass ich jeder Zeit aussteigen kann, spätestens aber, wenn meine Kinder aus der Schule sind. 2024 ist es soweit.
Was sind die Sachen, die wie Kinder in mir rütteln und mich um Aufmerksamkeit ersuchen?
Die Welt in meinem Tempo bereisen.
Schreiben.
Theater machen, am liebsten sogar Film; beim Theater pocht jedoch die Pädagogin in mir laut an die Scheibe der Aufmerksamkeit. Film wäre mehr zu meinem Vergnügen, zu meiner Lust.
Und dann möchte ich so reisen, dass es meinem Lernvergnügen dient.
Eine Sprache erwerben. Arbeiten. Gelegenheitsjobs.
Ich will etwas bewegen. Schreiben, was andere bewegt. Ich möchte Theater machen, um zu sehen, wenn sich in den anderen was bewegt. Meine Möglichkeit, zur Heilung der Menschheit beizutragen. Für unsere Kinder, für unsere Umwelt, für unser Miteinander. Ja, ich bin nicht falsch in meinem Beruf gewesen. Ich bin sogar eine ganz gute Lehrerin, falls ich das überhaupt selbst beurteilen darf. Und doch macht mich das System krank, weil ich mehr Schaden anrichten muss, als ich Gutes bewirken kann. Alles andere ist Selbstleugnung, Beschönigung, Lüge.
Ich stecke im Dazwischen
Ich stecke im Dazwischen, noch bin ich in der Schule, bin aber bereits vor dem Absprung. Wie ein Sportler gehe ich im Geiste durch, was ich beachten muss, wie welcher Schritt sein wird, bevor ich den letzten Schritt auf dem Brett mache und abhebe.
Ich habe keine Ahnung, was danach sein wird, welches Danach es sein wird, wo dieses Danach beginnt. Im Moment weiß ich nur, ich habe jede Heftzwecke in den Fingern gehabt, mir den Staub von jedem Stück Papier, Buch und Regal abgewaschen und ich habe Kratzer auf der Seele, weil ich viele meiner Sachen hergegeben habe, weil ich 25 Jahre alte Schubladen verkauft, verschenkt, weggegeben habe. Ich habe Muskelkater von diesen vielen kleinen Schritten quer durch mein Leben, um alles zu sortieren, was war und alles zu sortieren, was kommt. Ich habe mich aufgehalten in diesen Erinnerungen, alles bis zur Unkenntlichkeit getragen und ausgehalten und zum Schluss habe ich Tango getanzt, weil das Leben muss man tanzen, sonst reitet es einen.
Das Tangotanzen mit Freunden in der leeren Wohnung war vermutlich eine meiner genialeren Ideen. In der leeren Wohnung, die ich so sehr geliebt habe, blutete ich langsam innerlich aus. Was, zum Henker, hatte mich nur dazu gebraucht, alles herzugeben und alles auf ein Zimmer zu reduzieren? Ich weiß, warum ich es tue. Ich weiß, dass ich es will und dennoch tut es weh. Ich spüre mich Angst umwehen, Unsicherheit mich zersetzen und Zweifel sich auftürmen. Mein Schreiben, mein Reisen, mein zweites Leben erscheinen mir während all dem einer Fatamorgana zu gleichen. Dem setzte ich Tango entgegen. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, doch liegt in diesem improvisierten Tanz so viel Lebendigkeit, dass dagegen das Gefühl der Angst nicht bestehen kann. Ich weiß, viele werden von ihrer Angst umklammert, eingesperrt und beherrscht. Aus diesem Klammergriff kann man sich nur schwer herauswinden. Ich will mich aber nicht beherrschen lassen von dieser Angst.
Das Dazwischen hält viele Gefühle bereit, mit denen man sich auseinandersetzen sollte. Die gesammelte Materie ist nicht bloß eine Anhäufung zufälliger Dinge, die wir in unserem Leben hinter uns herziehen. Diese Materie ist mit Bedeutung aufgeladen. Das sollten wir als Verursacher dieser Materie, die wir hinter uns her ziehen quer durchs ganze Leben, nicht vergessen.
In meinem aktuellen Dazwischen wird mir bewusst, wie viele Gefühle Raum brauchen, gefühlt und ausagiert zu werden. Mein Dazwischen ist unfertig. Da liegt noch vieles, was bearbeitet werden will. So viel Unsicherheit, so viel Angst, so viel Wunsch nach Anerkennung, Verständnis und so viel Wartezeit.
Ankommen und keine Unterkunft haben könnte mit anderen Menschen anstrengend sein. Wir hatten freundliche Unterstützung von dem Menschen, bei dem wir zwar gebucht hatten, aber systemisch bedingt storniert wurden. Es dauerte etwas länger und knabberte den halben Tag weg. Schließlich hatten wir einen Ersatz, der zumindest die notwendigen Bedürfnisse gestillt hat. Da wir in dem Objekt unserer Wahl saßen und beratschlagten, wohin es denn nun gehen konnte, sahen wir auch die unerreichbaren Trauben. Wir hätten schöner wohnen können. Gut, dass dieses Ereignis nicht unsere Laune trübte.
12. Juli 2023 (Mittwoch) Am nächsten Tag Schach Matt durch Migräne. Auch unschön. Den ganzen Tag schlafen und schlafen. Abends erst ausgehungert los. Der Mann hatte schon seinen ersten Sonnenbrand und ich Nachholbedarf. Versprochen, dass wird trotzdem ein schöner Urlaub.
13. Juli 2023 (Donnerstag) Tag 3 dann gemeinsam Verona abgelaufen, alle Ecken bei Tage ein zweites Mal.
14. Juli 2023 (Freitag): Fein machen für die Oper „La Traviata“. In der Stadt strömen andere Menschen in schicken Kleidern Richtung Arena.
Eine besondere Atmosphäre war es allemale, doch teuer, weil man dort Getränke abnehmen musste, wenn man durstig war. Natürlich konnten wir die große Wasserflasche nicht mit hineinnehmen. Allerdings war die Akustik nicht so gut, wie gewünscht und man konnte auch ohne Operngläser gar nichts sehen. Zwar war die Kulisse für die Arena gemacht, nicht aber die Handlung, nicht aber die Inszenierung. Und da wäre sicher mehr gegangen – technisch gesehen.
Elemente einer anderen InszenierungKulissenelemente werden mit dem Kran bewegt… und vor der Arena zur Besichtigung ausgestellt.
15. Juli 2023 (Samstag) Doppeldisziplin: Vicenza und Venezia
Pferde im Brunnen des ParksBrunnen – der zum Spielen einlädtmännliches figürliches HalbreliefHandarbeit eines Reisendenmännliches figürliches HalbreliefAm Kanal
Wir fuhren mit dem Zug nach Vicenza. Ein Stückchen weiter – soweit war es uns klar – beginnt dann Venedig. So groß und so wahnsinnig spannend war Vicenza nicht. Ob uns Venedig für mehr als ein paar Stunden reizen würde, wussten wir auch nicht. Zwei Städte an einem Tag, Steine, Fotos, weiter. Unterschiedliche Bedürfnisse wurden hier zur Deckung gebracht. Venedig hätte Zeit und leere Gassen gebraucht – zumindest für mich. Sicherlich eine sehr reizvolle Stadt, doch in diesem Tempo, mit diesen Massen sättigte meinen Bedarf dann vollständig. Vielleicht eine wirklich reizvolle Stadt, doch es braucht für mich einen anderen Rahmen.
Meter für Meter liefen wir durch die beiden Städte, so dass ich dann wegen der Hitze und wegen der Unruhe irgendwann am Kanal pausieren musste, mir Pistazien knabberte und dem Treiben zuschaute. In Vicenza hatte ich diese Phase auch gebracht und mit einem Pizzaessen verbracht. Ich brauche in der Hitze meine Phasen der Ruhe und sowieso sitze ich gerne irgendwo, nehme die Atmosphäre in mir auf und beobachte mich in diese Welt hinein.
16. Juli 2023 (Sonntag) ausschlafen und neue Ecken in Verona suchen – irgendwohin fahren mit dem Bus, weil es darin kühl war. Am Schluss bekommen wir doch wieder eine Kilometerpauschale und wir machen Meter. Wir haben uns Zeit genommen für einen Kaffee getrunken und Tiramisu dazu gegessen.
17. Juli 2023 (Montag) zum Gardasee: Peschiera dell Garda, Sirmione
Einen Tag lang keine Städtetour, keine Steine fotografieren, lieber einmal in einen Park oder sowas erbettelte ich mir. Deswegen fuhren wir nach Peschiera (gesprochen: Peski-era) dell Garda, um nach Malcesine (gesprochen: Maltschesine mit Betonung auf der zweiten Silbe) zu fahren. Direkt vor Ort warteten wir auf den Bus, der immer verspätet fährt (wie ich später feststellte) und entschieden uns, lieber mit der Fähre nach Sirmione zu fahren. Dafür saßen wir erstmal in diesem nichtssagenden Peschiera fest.
Dann fuhren wir mit der Fähre nach Sirmione. Die Halbinsel lässt sich leicht laufend erkunden, was wir trotz der Hitze auch taten. Erfrischende Abwechslung gab mir, dass wir teilweise wir durch den See waten mussten, denn der feste trockene Untergrund hatte an der Spitze der Halbinsel Lücken. Meine Sandalen waren seetauglich, die Turnschuhe nicht, so dass er deutlich vorsichtiger sein musste. Im See schwammen viele kleine Fischlein und Moos bedeckte die Steine. Ja, man hätte sich wie all die anderen einfach an den Strand legen und das Leben genießen können, doch wir sind weiter – zurück mit der Fähre und zurück nach Verona.
18. Juli 2023 (Dienstag) Abreisetag für meinen Reisegefährten. Nach einer Woche fiel ihm das schwer. Mir auch. Einen letzten Cappuccino, ein letztes Croissants und da steht der Bus schon bereit. In der Stadt fuhr der Mann zum Bahnhof, ich hingegen ging zu meiner nächsten Unterkunft. 9 Kilometer außerhalb der Stadt und ich wollte komplett zu Fuß hingehen.
Zwei Wochen allein weiterreisen – was kommt auf mich zu?
Passieren, so viel ist sicher, kann mir ja nix: zivilisierte, europäische Welt und ich bin mit einem universalen Wissenskoffer im handlichen Taschenformat (Smartphone) und dem universellen Verständnishelfer hauptsächlich bestehend aus Plastik (Kreditkarte) unterwegs. Außerdem bin ich weit aus dem riskanten Frauenalter raus, bald beginnt die Zeit, da ich froh sein muss, wenn ich als attraktiv genug gelte, damit man mir nachschaut. Alles Sorgenmachen fällt also bei Licht betrachtet sehr schwer. Langeweile habe ich auch wenig mit mir, aber vielleicht gibt es ja Dinge, die in meinem Kopf auftauchen, die ich ungern aushalte. Aber auch das ist nicht weiter lebensgefährdend.
Bin ich allein unterwegs, dann nehme ich mir sehr viel Zeit für die Wege und schau, was sich mir zeigt und was seine Aufmerksamkeit will. Einen Plan, was genau ich sehen muss, wohin ich gehen muss und dergleichen, fehlt mir oft. Einer meiner letzten Ex hat das auf unseren Touren immerzu heftig kritisiert, hat mir vorgeworfen, nicht richtig zu reisen und schon gar nicht zu wissen, was ich will. Er hat zumindest mit letzterem ein bisschen Recht, nicht insgesamt, aber ein bisschen. Das richtige Reisen ist ja so, wie das falsche Reisen oder Fehlschritte beim Tango zu machen. Das geht letztlich nicht. Es gibt nur eine eigene Tonalität vom Reisen und wenn die mit dem Reisepartner nicht übereinstimmt, dann findet man vielleicht eine Schnittmenge oder man stellt das gemeinsame Reisen schlicht ein. Mein Allein-Reisen hat mir allerdings erst gezeigt, was ich mir von meinen Reisen erhoffe und außerdem, wie anpassungsfähig an meine Reisebegleiter bin. Ich bin bereit, viele Abstriche von dem zu machen, was mir selbst Vergnügen bereitet. Jetzt bin ich NULL vorbereitet. Ist auch nicht schlimm, Wege entstehen ja beim Gehen.
Ich laufe also meine erste Schlafstätte ohne Mann an. 9 Kilometer raus aus Verona durch 34 Grad Hitze meist ohne Schatten und zunächst auch ohne Wasser. Völlig verrückt. In einem kleinen Supermarkt erstehe ich zwei Nektarinen und eine Flasche Wasser, die ich bis zum Ziel auch leere. Ich werde von einer lieben Gastwirtin in Empfang genommen, auch eine Reiseseele und bekomme als erste ein Wasser. Ihr Haus gleicht einem Museum, alles liebevoll zusammengetragen und arrangiert, wie man an dem Bild und dem Hut auf dem Ständer sehen kann. Wir kommen ins Gespräch.
Bussolengo: 5 Via Emilia Romagna, 37012 Italia
Maggie bringt mich aus reiner Freundlichkeit am nächsten Tag nach Garda. Sie plaudert über die Gegend und erzählt mir, dass es bei Borghetto einen sehr schönen Park gibt, den ich mir unbedingt ansehen soll. Außerdem muss ich dort Tortellini essen. Hätten wir das früher gewusst, wären ich und mein Freund sicher dorthin gefahren. Also eine Idee, die wir noch einmal aufgreifen werden, denn wir sind uns einig, wir müssen nochmals herkommen – nur zu einer anderen Jahreszeit (März, April).
Malcesine (19. – 22.7.23) – pittoreskes Dörfchen
Malerischer kann eine Gegend kaum sein. Berge um den See, klares Wasser und Sonnenschein. Wäre nicht überall nur Deutsche, wäre es wirklich fantastisch. Nein, man spricht mich überall auf Deutsch an, sobald ich Buongiorno gesagt habe. Als ich aus dem Bus gestiegen bin, falle ich förmlich in mein gebuchtes Hotel direkt am See. Das Zimmer sei noch nicht fertig, erklärt mir der Hotelier auf Deutsch. Ich könnte bei einem Kaffee als Willkommensgruß warten oder das Gepäck stehen lassen. Ich wähle den Kaffee mit dieser Aussicht.
Es ist so entspannend, dass ich den ganzen Tag dort sitzen könnte und schon in dem Moment überlegte, ob ich eine Nacht anhängen solle oder nicht. Malcesine als touristischer Ort ist auf jeden Fall niedlich. Sehr viele Restaurants, kleine Gässchen, Geschäftchen, alles schön.
Zwei Ausflüge plus ein bisschen Ausruhen bei der Hitze und schreiben erlaubte ich mir an diesem Ort. Erstens besuchte ich den Berg, was ganz sicher eine schöne Idee war, wie die Bilder beweisen. Auf Monte Baldo begegnete ich dem ehemaligen Klassenlehrer von Lucy, Herrn Diedrich. Ich kam von Toilette, er wollte hin, auf der Treppe kam es zu einer unausweichlichen Begegnung. Es war eine sehr freundliche Steh-im-Weg-Begegnung. Außerdem hatte ich eine interessante langandauernde Falterbegegnung, denn der kleine Falter setzte sich auf meinen Finger und schlürfte genüsslich meinen salzigen Schweiß von der Hand.
Zweitens besuchte ich von dort aus Limone, was auch eine gute Idee war. Ich dachte, was für ein superorigineller Name für eine Touristenstadt, doch es hat seine Bewandtnis damit. Als Laie weiß man natürlich nicht, dass die Stadt wegen ihrer Zitronengärten, die über Winter mit Glas und Holzbauten geschützt wurden, einzigartig im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert waren, so dass von dort aus die Limonen und Zitronen und alle Unterarten in die westliche Welt geliefert wurden. Ja, auch mein Wissen wurde durch das Museum erweitert. Jeder Text dort natürlich auch auf Deutsch.
Die Stelen im letzten Bild erinnern noch an die Vergangenheit, dass nämlich überall diese terrassenartig angelegten Limonengärten das Bild prägten. Heute prägt das Stadtbild die Touristen, die in kleinen Lädchen, Limonen aus Stoff, auf Papier gedruckt oder gestickt kaufen.
Paderno (22.7.23) nur für eine Tangonacht.
Wehmütig verließ ich Malcesine, lief ein bisschen durch Garda und dachte mir, dass das zwar auch ein schnuckeliges Örtchen sei, aber doch bei weitem nicht vergleichbar mit Malcesine war. Es wirkte für mich nicht so einladend und verträumt zugleich. Von da aus dann auf der Fähre nach Desenzano und dann mit dem Zug das letzte Stück nach Bresia und weiter mit dem Zug bis zum Hotel.
Von Brescia hab ich nichts nennenswertes zu berichten, denn Paderno ist doch ein sehr uninteressanter Vorort, der nur für mich der Tangounterhaltung diente. Die Anmeldung lief per SMS vorab mit Bestätigung, gebucht inklusive Praktika. Da es soweit entfernt von mir war und ein Bus nicht hinfuhr, dachte ich mir ein Taxi zu gönnen. Die Dame an der Rezeption lachte. Am Wochenende müsse man ein Taxi reservieren. Sie probierte es dennoch bei drei Unternehmen. Fehlanzeige. Dann brachte sie mich freundlicherweise. Ich war begeistert, sonst wäre aus der Praktika nichts mehr geworden. Bei der Praktika trainierten wir die Verzierung für Herr und Dame. Die Praktika habe ich mit zwei Männern durchgeführt, weil zu wenig Damen anwesend waren. Der eine war ein deutschsprechender Mann Names Massimo, der sich immer wieder versicherte, dass er nicht zu stark führte; der andere ein roher, blutiger Anfänger, der noch schlechter Englisch sprach als ich. Ich wollte tanzen und ich tanzte auch mit diesen beiden Exemplaren. In Italien fordert die Frau nicht auf. In Italien sitzt man auf dem angewiesenen Platz. In Italien spreche ich die Sprache nicht. Ich war ein Exot, aber nicht exotisch genug, damit die Herren neugierig waren. Auf Massimos Wunsch hin zeigte mir der Tanzlehrer, wie die Figur geführt wird und erklärte Massimo, dass ich das könne. Im Laufe der Milonga erkannte dann auch Massimo, dass ich deutlich über seinem Niveau tanzte. Leider wurde ich von anderen Männern wenig aufgefordert, obwohl ich den Herren ein Loch in ihre Gesichter guckte. Schlussendlich hatte ich ein paar wirklich schöne Tänze und ein paar nette Gespräche mit Massimo. Am Schluss bedankte er sich, dass ich überhaupt mit ihm getanzt hätte. Ich erklärte, dass wir Damen in Deutschland uns selten verweigern, schließlich sind wir alle nur auf dem Weg und jeder oder jede kann es nur lernen, wenn man auch mit besseren tanzt.
Und als ich nach einer wirklich schönen Abschlusstanda zum Hotel laufen will, werde ich nach einem Kilometer von einem Tangotanzpaar aufgegriffen und zum Hotel gefahren. Ich war dankbar.
Bergamo (23.7.23) – eine Stadt aus Mauern.
Warum genau ich hierher wollte, weiß ich gar nicht, aber jetzt, da ich sie gesehen habe, denke ich, ich würde gern mal mehr Zeit dort verbringen. Eine wirklich interessante Stadt, geprägt durch viele viele Mauern. Sicher auch dem geschuldet, dass es eine Ober- und eine Unterstadt gibt – verbunden durch eine Funicolare (Seilbahn) – , aber das ist es nicht allein. Ich finde sie sehr reizvoll und kann nur sagen, dass ich mich auf einen zweiten Besuch freue und fahre dann auch mit der Seilbahn.
Mailand (24. – 27.7.23) – direkt am Bahnhof liegt das Hotel.
Aus dem Italienisch-Unterricht wusste ich vom Dom, von dem großen Platz, den Modegeschäften und natürlich auch von der Madonnina, damit wusste ich mehr von dieser Stadt als von allen anderen Städten, die ich bisher gesehen hatte. Zwiespältig war ich, ob ich hier sein wollte, nach Malcesine und dem schönen Gardasee oder nach Bergamo. Diese Stadt jedoch hat was ganz besonders.
Am ersten Tag lief ich zunächst nur zur Orientierung herum. Dachte mir, dass ich am nächsten Tag mit den alten Trams fahren könnte, bewahrte mir das San Franzisco-Flair auf. Wollte auch Chinatown, Parks und andere Stadtteile erst später erkunden. Ich freute mich schon auf den dritten Tag, an dem ich mit meinem Rechner, einem kleinen Picknick in einem Park auf meiner bunten Decke sitzen würde, um dann zu schreiben. So waren meine Ideen.
In der Nacht kam es zu einem gewaltigen Sturmböen, Hagel und Regenfällen, die noch am nächsten Tag überall deutlich ihre Spuren hinterließen. Die Tram fuhr nicht, die Parkanlagen waren alle geschlossen, überall sah man umgeknickte Verkehrsschilder, entwurzelte und gebrochene Bäume.
Eine nicht-fotogene Chinatown zum Beispiel, in der ich eine der besten Pediküren hatte, die ich je im Leben genießen durfte; günstig war sie zudem. Die Fußmassage dauerte allein eine Stunde bestimmt. Es war sehr angenehm. Wenn ich meinem Geld nicht böse bin, geh ich morgen hin und lass mich massieren, bevor ich heimreise (habe ich doch nicht getan, war anders beschäftigt). Ich habe in dem Stadtteil auch Dumblings gegessen, die waren ganz gut.
Cimitero Monumentale (seit 1866)
Dann bin ich auf einen Friedhof zu gestolpert; das Gebäude sah von Ferne interessant aus. Das Castello hatte ich einen Tag vorher schon gesehen (umrundet), aber das Gebäude erinnerte auch an eine Burg oder Festung. Nein, es war aber ein Friedhof. Sehr spannend, wie reiche oder adlige Familien ihre Toten bestatten, mit welchen Phantasien sie dieses ins Jenseits schicken. Zwei Stunden bin ich dort spazieren gegangen und hatte nicht genug von den vielen verschiedenen Gruften, Grabskulpturen und Bildchen auf den Urnenplätzen bekommen. Die Gruften und Gräber sind so interessant und kunstvoll gestaltet, dass sie Geschichten erzählen. Ich hatte das Gefühl, hier könnten nach Mitternacht doch die Toten aus ihren Gräbern steigen und tanzen.
Dieser Friedhof ist eine traumschöne Kulisse für Filme, egal ob für eine Horrorkomödie oder einen Fantasiefilm. Man kann sich gar nicht satt sehen an all den Darstellungen. Da ist das Grab mit einer demütigen, geschwächten Prometheusfigur (zumindest würde ich sie so interpretieren) einer Familie, in der zwei Männer den Vornamen Cesare trugen, daneben eine abgewandte Figur aus de letzten Jahrhundert mit abgestelltem Gewehr. Allein diese Kombination, die mir sehr zufällig erscheint, erzählt eine Geschichte. Dann ist dort zentral ausgestellt eine Familiengruft, die wie ein christliches Denkmal aussieht und die Leiden Jesus als Erzählband auf einer sich verjüngenden Säule erzählt. Eine mehrere Meter hohe Gruft, ästhetisch schön gemacht und doch erzählt sie nur vom Leid. Auf einem Grab sitzt zurückgelehnt und jovial ein junger Lebemann, als würde ihn das Treiben um ihn herum amüsieren. Wieder ein anders Familiengrab zeigt zwei Männer, Schulter an Schulter auf einem Bein knieend vor einem Säulengang. Sieht man von der anderen Seite, so haben beide Männer die Köpfe mit geschlossenen Augen aneinander gelehnt. Ihre Mimik in stummer Trauer. So kunstfertig sind manche Gräber, dass sie für sich stehen können würden und doch im Rahmen all der anderen Skulpturen und architektonischen Bauten kaum mehr zur Wirkung kommen. Es ist, als wetteiferten die künstlerischen Arbeiten miteinander.
Auch hier waren die Spuren des Sturms deutlich, einige Gräber waren dadurch sogar beschädigt. Manche Spuren erschienen mir allerdings älteren Ursprungs zu sein.
Auch an meine letzten Tag hatte ich keine Gelegenheit, mit der Tram zu fahren. Die Parkanlangen waren noch immer geschlossen, so dass ich mit meine Laptop unterm Arm weit herumrannte, nichts zu finden, wohin ich mich setzen und arbeiten konnte. Manchmal ist ziellos auch einfach genau das: ziellos. Auf diesem Nicht-Weg kam ich wieder an der Modewelt vorbei und wunderte mich einmal mehr, was Menschen sich so ausdenken konnten. Ich stolperte in ein Museum, das sowohl Bilder als auf den Raum (als altes Herrenhaus) präsentierte. Die Bilder waren sehr reizvoll, denn sie handelten nicht (ausschließlich) von wichtigen Menschen in großen Portraits, sondern zeigten Szenen des Alltags. Nachgestellte Szenen, die wie eine Momentaufnahme wirkten und in stilisierter Form die Mode dieser Zeit (ungefähr um 1850) wiedergab. Amüsant war für mich, dass ich als Betrachter(in) natürlich wusste, dass es keine echten „Fotos“ waren, die wir machen können, um einen Moment festzuhalten, doch auch unsere vielen Fotos sind oft gestellte Momentaufnahmen. Es scheint also ein Trieb des Menschen zu sein, den Moment nachstellen zu wollen und als „wahr-so“ zu kennzeichnen.
Abends besuchte ich eine Ausstellung zu Leonardo da Vinci, wozu ich keine Fotos machen durfte. Ich habe mich etwas geärgert, weil die Audioführung nicht im Eintrittspreis enthalten war und die Texttafel ausschließlich italienische Erklärungen aufwiesen. Es gab einige interaktive Ausstellungsexponate. Lohnend erwiesen sich die Erklärungen zum „letzten Abendmahl“ und die Anzeige, wie es tatsächlich mal ausgehen haben sollte. Allerdings find ich jedes Mal befremdlich, dass das Abendmahl wie ein Zeitdokument behandelt wird, so als hätte Da Vinci die Geschichte selbst erlebt. Ich würde vermuten, dass Da Vinci eben auch nur die Bibelstelle interpretiert hat, wenn auch sehr anschaulich.
Die Sprache – gesteigerte Fähigkeiten
Es ist erstaunlich, wie viel ich doch verstehe – also wenn es geschrieben steht. Wenn jemand mir etwas erzählt, gerade einfach so heraus, dann verstehe ich selten, was der andere sagt, es sei denn, er pronunziert überdeutlich. Je länger ich allerdings hier bin, desto mehr Grammatikregeln kommen zurück. Un und una habe ich noch einmal nachgelesen und mich versucht zu erinnern, welche Endungen wofür stehen. Ich weiß, dass ich manche Vokabeln kennen sollte, weiß aber deren Bedeutung dann doch nicht.
Blöd ist es, dass ich noch immer jeden Satz bauen muss. Ich hab kein zugängliches Konstrukt. Und noch blöder finde ich, dass ich mich zwar bemühe, die Sprache einzusetzen und mir über die korrekte Aussprache viele Gedanken mache, aber dass ich selten wirklich verstanden werde. Häufig, weil ich das „r“ falsch betone. Wenn es denn dann angekommen ist, dann ist doch meine Aussprache nicht so richtig falsch, nur eben nicht italienisch genug. Vor allem am Gardasee verriet sie mich immer als Deutsche. Ich sagte „Guten Tag“ auf italienisch und bekam eine deutsche Antwort.
Fazit: Ich werde besser, sammle neue Vokabeln, aber ich habe weniger gelernt als erhofft – zumindest erscheint es mir im Moment so. Außerdem bleibt auch immer die Erleichterung, wenn ich mit Deutsch oder Englisch verstanden werde, dass ich mich nicht so abkämpfen muss.
Plötzlich ist es soweit. Rückenschmerzen, hochgelagerte Beine und kaum beweglich. Das ist ein guter Start. Gut, ich fliege trotzdem. Meine WetterApp sagt mir, dass ich lieber für warme Sachen sorgen sollte. Im Anfall von Sparwahn hatte ich auch noch ein vier-Mann-Zimmer gebucht. Das soll sich ja ändern lassen, prophezeie ich mir möglichst gelassen. Bis dahin dachte ich mehr an die möglichen Nachtattacken durch betrunkene Polen als an deren Geruchsentwicklung.
TAG 1: Samstag 21-10-2017
Am Flughafen begegne ich Rolf und Guido, die mit mir im gleichen Flieger nach Polen sitzen. Sie hatten Priority gebucht und können schneller durch die Bordingkontrolle. Bereits am Flughafen in Krakau sorgt Rolf dafür, dass wir zwei weitere deutsche Gäste im Taxi mitnehmen, die uns später auf einer Milonga wiederbegegnen werden. Mit dem Sammeltaxi geht es dann ins jüdische Viertel. Ein Termin ist bereits für alle Frühankommer in der ZARA-Bar gesetzt. Nachdem ich das Momotown-Hostel im Hinterhof fand, scheitert der Versuch einer Umbuchung und ich stelle fest, dass ich mit drei Männern ein Zimmer für die Nacht zu teilen habe. Der Gedanke beschäftigt mich überraschend intensiv, obwohl Scott – der Amerikaner – einen sehr freundlichen Eindruck macht. jetzt aber doch was essen. An einem Platz stehen einige Imbisswagen, dazwischen Stühle und Tische. Hatte ich nicht eine Falaffeltasche bestellt? Aber was ich esse, ist eine sehr polnische XXL-Version mit vielen Essiggurken. Sehr lecker, aber verdammt viel. Und Roy ist gar nicht da.
Dank Google finde ich mich echt schnell in dem Viertel zurecht. Ein paar Eckdaten und schon findet Googlemaps die richtige Adresse. In der ersten Bar gilt es sich zu sammeln, später werden hier die kommenden Übungsstunden stattfinden. Überraschend viele sind vorzeitig gelandet. Wiebke, Peter und Jürgen hatten bereits eine Milonga ausgekundschaftet, zu der wir nach einem ersten Bier aufbrechen. Guido und Rolf setzen sich ab und wollen erst einmal speisen gehen. Nach ausgiebiger Suche und einem ersten Eindruck der Stadt, landen wir gar nicht mehr auf einem Tanzabend sondern in den Katakomben einer Kellerbar. Lecker Bier gibt es hier und mächtiges Ambiente.
Uneingeschränkt kann ich zugeben, dass mir ein bisserl bang wegen der Nacht mit den drei fremden Männern ist. Bis auf den sympathischen Scott (62 Jahre) sind die anderen dieser und zwei weiteren Nächten stumme oder schnarchende Gesellen ohne kommunikativen Grundfertigkeiten. Ich klettere also in mein Hochbett und schlafe trotz Lärm und Gesäge ziemlich fix ein.
TAG 2: Sonntag 22-10-17
Blick aus dem 4Bett-Zimmer des MOMOTOWN-Hostel auf eine Synagoge
Nach einer mutigen Nacht stelle ich meinen Mut auf eine weitere Probe und besuche den Frühstücksraum. Breakfast auf Papptellern mit Plastikgeschirr. Ich trinke dann mal Tee. Ich versuche einen Toast und gebe mir eine Schale Cornflakes als Start in den Tag. Nach so viel Tapferkeit suche ich das Jüdisches Viertel bei Tag auf und wandere Richtung Marktplatz und Trompeterkirche.
Dabei geniesse ich die freie Zeit bis zur ersten Unterrichtseinheit, obwohl das Wetter verregnet ist. Vorher denke ich daran, meinen Rücken zu schonen, lege mich vorsichtshalber in das 4-Mann-Zimmer und spreche noch ein wenig mit Scott aus den USA, der mich mit dem deutschen „Jawohl, Fräulein!“ erheitern will.
Roy bucht einen Flug nach Krakau und kommt nach. Da wäre eine Umbuchung in ein Doppelzimmer von Vorteil. Ich leite alles in die Wege und tatsächlich: ab Dienstag nur noch ein Mann im Raum.
Sonntag gibt es noch kein Training, so kann ich wirklich ein paar Stunden schlafen, bis wir uns zum ersten gemeinsamen Essen in einer Bar treffen. Nach und nach tröpfeln alle ein, zwei sind noch nicht gelandet. Das Essen ist nicht das beste, es erinnert an Kneipen-Fast-Food. Ich bin ein wenig enttäuscht, dass es nicht mal ein gutes Dessert gibt – das hätte mich entschädigt. Anschließend ziehen wir noch durch die Bars, die wir in der Ecke so finden und von denen Rolf und Guido denken, dass sie für die Masse an Leuten genug Raum böten. Rolf zeigt sich als Eisbrecher, der ständig neue Leute anspricht und interessante Gespräche eröffnet. Auch in dieser Nacht klettere ich nicht früh und nicht nüchtern ins Bett – und es gilt diese Leiter nach oben zu überwinden.
TAG 3: Montag 23-10-17
Direkt ins Café, Toasts mit Ei und Marmelade am verregneten Tag zum Frühstück. Nicht rumlaufen. Schreiben. Kaffee trinken, Tee trinken und später im Zimmer ausruhen vor den Tangostunden. Was für schöne Cafés in dem jüdischen Viertel zu finden sind, was für tolle Bars. Kein Ort der Welt beherbergt mehr Cafés, Restaurants und Bars.
Dann kommen wir zum Tango zusammen. Peter macht das Aufwärmtraining mit uns, dann Piroetten drehen und an der Technik feilen. Den ersten Teil der Figur gibt es als erstes Technikübungsfeld: der Mann führt eine Moulinette. Daran feilen, feilen, feilen wir ohne zu bemerken, dass 2,5 Stunden verflogen sind – ganz ohne Pause.
Anschließend gehen Elke, Rolf, Guido und ich Essen vom Feinsten. Zwar wollten wir in das Restaurant, von dem Rolf und Guido so schwärmen, doch da bekommen wir keinen Tisch. Direkt nebenan gibt es dafür noch etwas Platz und wir essen ganz fürstlich mit einem auf den Punkt gebratenem Fleisch, leckerer Beilage und einem unglaublich leckerem Dessert.
Für die erste Milonga in Krakau machen wir uns dann alle wieder frisch und sorgen uns mit selbstkritischen Gedanken, ob wir denn wenigstens zum Tanzen kämen. Spät am Abend tanze ich dann mit einem Kursfremden – einem Ungarn.
Ein letztes Mal klettere ich – diesmal mit Fußschmerzen – in mein Hochbett.
TAG 4: Dienstag 24-10-17
Ich nehme Abschied von Scott und wechsle gleich auch das Gebäude. Roy beantworte ich dann mit Fotos alle Fragen zur Raumausstattung und kaufe sogar für gemeinsame Frühstücke ein – ich bin guter Hoffnung, das alles zu verzehren.
Anschließend fahren wir mit dem Touristenwägelchen durch das jüdische Viertel bis zum Juden-Getto der Nazizeit. Rolf hat das bereits klargemacht, als ich zur Gruppe dazustoße. Ich steige hinten auf und quatsche munter mit Elke, weil wir kaum was verstehen. Guido fragt uns anschließend ab, ob wir überhaupt etwas mitbekommen haben.
Nach den Tangostunden habe ich etwas Zeit, bis Roy eintrifft und wir Essen gehen. In dem kleinen Resstaurant, welches Rolf und Guido ausgeguckt haben, tauchen mit Abschluss unseres Desserts nach und nach immer mehr Leute unserer Tangotruppe auf. Da an dem Abend keine Milonga stattfindet, gehen wir statt dessen von Bar zu Bar.
TAG 5: Mittwoch 25-10-2017
Frisch ans Werk wechseln wir die Uferseite und begeben uns in gewachsener Runde (Rolf, Elke, Guido, Roy, Volker, Petra und ich) zum Schindler-Museum nahe dem ehemaligen Getto. Der didaktische Ansatz des Museums verfehlt durch die Gestaltung von Raum und Ton nicht die intendierte Wirkung. Mich macht all der Tod von den Soldaten und den Juden gleichermaßen betroffen, die Gewalt und vor allem das Mechanisierte daran wirken bedrückend. Mir kommen die Tränen, als ich denke, dass das nie aufhören wird, so lange Männer in führenden Positionen sind – außerhalb vom Tango natürlich. Lustig ist das keineswegs, eher traurig, dass wir nach so vielen Jahrtausenden nicht weiter sind und uns noch immer für ein Stück Land oder einen Liter Wasser oder ein Laib Brot bereit sind zu erschlagen, statt zu teilen. Daran gibt es auch nichts zu beschönigen, letztlich sind es diese Dinge – für Gott zu töten ist in der Sache selbst absurd.
Nach den Tangolektionen folgt das Essen, wonach die Milonga folgt…
Zum Tango lässt sich sagen, dass das Feilen an den kleinen technischen Details wirklich sehr gut war. Rolf und ich entspannten uns zusammen immer mehr. Vor allem als ich Roy versorgt und konzentriert sah, ging es mir auch besser. An dem Nachmittag hatte ich jedoch Probleme mich zu fangen – mir ging der Museumsbesuch doch noch recht nahe.
Essen: so billig und so lecker haben wir selten gegessen. Mehr als genug Essen war es und so lecker – die Kohlrouladen und auch das Boef Stroganof. So gut und viel. Nach so viel Essen tat Bewegung gut, deswegen gingen wir noch zur Milonga – wenigstens gucken. Ein Foto vielleicht.
Getanzt hab ich nicht, bin doch sehr angeschlagen inzwischen und schone mich für den Folgetag. Der Ort der Milonga ist jedoch besonders. Es war die Bar, in der wir schon am ersten Abend in den Katakomben gestrandet und getrunken hatten. Das Ambiente ist großartig.
TAG 6: Donnerstag 26-10-2017
Hätten wir gedacht, dass wir so müde sind? Sicher nicht, denn wir hatten ja Pläne. So haben wir es gerade mal so geschafft, pünktlich zum Ausgangspunkt des Tanzspaziergangs zu kommen. 13 Uhr, Treffpunkt „Kopf“. Ein Kaffee hat vorher noch geklappt. Hier die Route zu unserem Spaziergang: Karte zu unserem Tangospaziergang
Wir starten mit vier oder fünf Tänzen auf der „Kopf“-Seite bei den Tuchhallen. Im Hintergrund rauschten die Straßenarbeitermaschinen. Jacken in der Mitte, drumherum die Tanzfläche, Jürgens leise Musikbox lag irgendwo dazwischen. Wir ahnen die Musik mehr, als dass wir sie hören. Roy filmt.
Vor der St. Peter und Pauls Kirche halten wir uns strikt an drei Tänze – also nur eine Tanda – , auch, damit es nicht zum Ärger kommt. Für den Waveler Schlossplatz haben wir dank Perin die Erlaubnis erhalten, dort zu tanzen. Perin singt zu ihrer Guitarre, Peter teilt ein Duett mit ihr. Die Stunde ist günstig mit Sonnenlicht erhellt. Passanten bleiben stehen, manche gesellen sich zu uns und tanzen mit. Nach einem kurzen Kaffee mit einem Stück Kremowska eilen wir zur nächsten Tangoeinheit. Roy bemüht sich wiederholt sehr, alle Anweisungen von Jürgen, von Wiebke und Peter umzusetzen und übt sich im Gehen. Wir versuchen uns an dem letzten Teil unserer Figur – einen Wickelgancho. Zu gern würde ich ein Video davon zeigen, denn es sieht – bei Wiebke und Peter – sehr elegant aus, aber das Videoformat ist hier nicht zulässig.
Roy bekundet danach, dass er noch gar nicht genug hungrig sei, da er noch vom VORabend gesättigt sei. Wir haben für 19 Uhr einen Tisch reserviert. Die Gruppe ist gewachsen und zählt nun zehn Personen, als wir alle in der Bonbonierka sitzen. (Wiebke, Peter, Jürgen, Perin, Guido, Elke, Roy, Pierre und Rolf) Das Essen – so versicherten Dagmar und Carsten – lohne sich. Wir warten und warten, eine Stunde lang, bis endlich das Essen serviert wird. Roy bekundet, dass er nun doch hungrig sei. Anschließend geht’s zur – letzten – Milonga im 2. Stock. Jürgen eilt schon vorzeitig und unruhig davon, denn er will noch „mit dem Essigläppchen durch den Schritt“. Wiebke und Peter rennen ebenfalls schnell noch nach Hause, um sich umzuziehen und letztlich verfolgen Roy und ich Perin durch das vernieselte Krakau, denn sie marschiert schnellen Schrittes voran. Auf der Milonga bleibt Roy nur kurz und verschwindet, als ich auf einen Mojito warte, den ich fast selber machen will, damit es voran geht.
Aufgebaut ist die Lokalität wie eine Wohnung: die Bar in der Küche, im Essraum der Sammelplatz für alle, im Wohnraum das Tanzen, im Vorraumbereich die Toiletta. Nach und nach versammelen sich auch alle aus unserem Kurs dort, so dass wir zumindest unter uns tanzen können. An diesem Abend tanze ich dann auch mal mit Polen. Ein Erfolg, so denke ich – doch unsere Kursleute können mehr.
TAG 7: Freitag 27-10-2017
Eigentlich wollen Roy und ich blau machen. Ja, so richtig faul sein. So viel Bewegung trotz Rückenschmerzen. Und dann noch so abwechslungsreich. Jetzt ist eine Pause dran – eigentlich. Vor allem Tango hat heute eine halbe Stunde Verlängerung bekommen. Als wir aber nachrechnen, dass wir sonst für das Mittelalter-Marktplatz-Museum unter Tage keine Zeit mehr hätten, da nehmen wir es, wie es sein muss und stiegen in die Bahn. Mich hat nachhaltig am meisten die Geschwindigkeit, mit der dieses Museum erschaffen wurde, beeindruckt. 2005 begannen die Ausgrabungen vor den Tuchhallen im großen Stil. Dann haben sie alles ausgewertet und pädagogisch-didaktisch so aufbereitet, wie die Dokumentation es heute zeigt. Das ging sehr schnell. Am Schluss noch nen Kaffee und ein Croissant und dann ist es schon wieder Zeit, zum Unterricht zu kommen.
Heute ab 15 Uhr wird alles wiederholt. Danach tanzen wir einen Durchgang mit jedem ähnlich der Berliner Runde, auch Roy muss durch alle Damenhände. Kleine Stärkung mit Torte und Kaffee zwischendrin. Und dann ist plötzlich und auch erfreulicherweise 18 Uhr. Die letzte Runde bedurfte viel Konzentration, denn so 10 Tänzen hintereinander immer eine neue Führung ist anstrengend.
Anschließend durchgeschwitzt und hungrig geht es zum Abschlussessen in das jüdisches Restaurant HAMSA für alle, einmal die Straße kreuzen. Logistisch hinterher die Rechnung für jeden wohlgefällig zu trennen, ist eine Meisterleistung von Elke im Team mit Roy, denn in Polen geht ja alles auf eine Rechnung. Anschließend ohne Milonga finden wir uns in einer Rockerbar wieder, in der Karaokeabend ist und ein Irish Pub sein will. Anfangs singt Perin mit ihrer Giutarre, zwischendurch von Peter begleitet, später machen sich auch andere schöne Stimmen auf und singen bunt gemischt ein lustiges Repertoire. Wir haben alle viel Spaß daran, singen feuchtfröhlich mit. Eine runde Sache, solch eine schöne Woche zu beenden. Manche nämlich fliegen bereits Samstag zurück.
TAG 8: Samstag 28-10-2017
Wieder kaum Kraft für ein frühes Aufstehen. Also dann nur im Camelot-Café zum Frühstück, bevor wir zum Treffpunkt um 14.30 Uhr für die Fahrt zur Salzmine eilen. Die letzten sind wir nicht, doch Perin verpasst dann leider den Ausflug gänzlich. Die Salzmine hält zunächste einmal freundliches Treppenabsteigen für uns bereit, der Rückweg erfolgt zu aller Erleichterung mit dem Aufzug.
Ein Ausflug, der sich lohnt, auch wenn die Gruppenleiterin viel zu leise sprach, so sind manche Dinge auch ohne Worte beeindruckend, wie diese Abendmahlkopie von Da Vinci aus Salz.
Zurück bin ich schon wieder müde, hungrig und will keinen langen Abend. Also gehen wir zusammen mit Elke und Rolf Essen. Jeder schlägt die erste Wahl der anderen aus und so platzieren wir uns in ein Restaurant mit Livemusik im Wohnzimmerstil.
Und obwohl ich müde bin, kann ich das ein Vivaldi-KOnzert in der St. Peter und Pauls Kirche dennoch als schönen Abschluss nicht ausschlagen. Wir beeilen uns und kommen doch zu spät. Dadurch erhalten wir einen Nachlass von 20%. Wir setzen uns leise in die Kirche dazu und lauschen der Musik, in der mir dünkt, auch Bach und Mozart zu entdecken.
TAG 9: Sonntag 29-10-2017
Wecker um vier – Regen. Schlüssel abgeben – zum Taxi eilen – Flughafen – Regen – letzten Mücken äh Sloti an den Taxifahrer abtreten und einchecken. Am Flufghafen fliegen wir mit Wiebke, Peter, Jürgen, Rolf und Guido zurück. Guido sieht nicht so gut aus, übersteht zu meiner Überraschung den Flug. Dann trennen wir uns.
Gestern sitze ich zusammen mit einer Freundin im Café „Zeitlos“ und rede wie immer und wie gern über Ideen der Zukunft. Sie erinnerte mich an das Projekt ihrer Tante: der Beginenhof in Essen. Aus dem alten Finanzamt haben sie ein Kultur-Frauen-Zentrum gemacht. Beginen ist abgeleitet von der mittelalterlichen Beginenbewegung, wonach Frauen nach religiöser und wirtschaftlicher Unabhängigkeit strebten, ohne eine Ehe eingehen zu müssen.
Sie übten handwerkliche und pflegerische Berufe aus und kümmerten sich um die Ausbildung und Unterrichtung von Mädchen und jungen Frauen. In einigen Handwerksbetrieben, wie der Tuchmacher- oder der Wappenstickerei, erwarben sich die Beginen mit der Qualität ihrer Arbeit hohes Ansehen und erzielten beträchtliche finanzielle Erfolge.
Die Erlöse flossen in die Gemeinschaft, in die Armenversorgung und Krankenpflege oder wurden in neue Wohn- und Werkstätten investiert. Die vermögenden Konvente verliehen sogar Geld an die Stadträte, und sicherten sich damit die Unterstützung der Kommunen. Mittelalterliche Beginenkultur – Brigitte
Das Zusammenleben der Frauen sollte demokratisch sein; sie organisierten sich durch Versammlungen und niedrige Hierarchiestrukturen. Soweit klingt das ja sehr passend für ein gemeinsame Wohnkultur. In Essen ging es den Frauen, die das gegründet haben und dort leben vor allem um die gegenseitige Unterstützung bei gleichzeitig bestehender Autarkie für Frauen und durch Frauen. Altenversorgung, Kindererziehung, Lebensgemeinschaften. Reizvoll. Doch der Einwand meiner Freundin ist auch direkt schon meiner – ohne Männer? Ohne Männer, weil Männer Frauen mit Kindern allein zurückließen. Ohne Männer, weil sie im Alter wegstarben, ohne Männer, weil manche Frau lieber mit Frauen lebt, sprich Verpartnerung – wie ich gelernt habe.
Ich erkenne – wie viele andere inzwischen auch -, dass in unserem Kleinfamiliendasein, in der Seperierung der Alten und Andersartigen und der Versingelung Probleme erwachsen, die nun schon einige Generationen lang sich auftürmen und Lösungen wollen. Keine kann es sein, den Mann als Bestandteil davon auszugrenzen. Ich glaube durchaus, dass der Mann an sich anders funktioniert/läuft/ist als die Frau. Männer meinen, sie seien bescheidenere und leichter zurfriedenzustellen; Frauen meinen, sie seien aktiver, lebendiger und deutlich mehr an Selbstentwicklung interessiert. Dadurch ist ein Zusammenleben in einer Paarbeziehung häufig das Aufgeben von etwas, was dem Wesen des Geschlechts entspricht. Wie viele Frauen leben jetzt auf, wenn ihre Männer sterben, können endlich tun, was sie wollen und müssen sich nicht mehr so quälen mit dem Schweigen – so geht es meiner Ex-Schwiegermutter gerade sehr. Wie viele Männer leben auf, wenn die Frau vor ihnen stirbt, endlich zehrt und zieht niemand mehr an ihnen, nörgelt herum und will etwas, was sie nicht geben wollen. Endlich können sie in Ruhe vor dem Fernsehgerät dahindämmern oder ein Mal die Woche mit den zwei Kumpels Skat spielen. Das ist nicht sarkastisch gemeint. In dem Punkt sind andere Kulturen nur ehrlicher als wir. Wir wollen in einer Liebesbeziehung das Glück finden und übersehen, dass es mehrere Splitter dafür gibt.
Ich hätte gerne einen Partner an der Seite, der alles mit mir teilen kann und will, aber vielleicht gibt es nur ein paar Sonderexemplare von Männern und die anderen können das einfach nicht. Mein Ex fand mich besonders anstrengend. Klar – wenn ich zusätzlich zu dem So-sein das auch noch hinterfrage.
Der Grundgedange des Beginenhofs ist gut. Wenn ich allerdings nur alleinerziehende Frauen aufnehme, kann ich gesellschaftlich das Problem nicht lösen. So richtig lösen werde ich es vermutlich auch nicht, doch ich kann mich an der Lösung beteiligen. Selbst eine Ehe im Lebenslauf würde ich sagen, dass dieses Konstrukt zu viel leisten muss nebst Beruf, Kinder und Selbstverwirklichung. Bei moslimischen Familien sind Frauen und Männer getrennt – sogar beim Essen – wodurch Frauen so sein können, wie sie wollen, wenn sie unter sich sind und die Männer umgekehrt. Das ist ein anderes Extrem. Kann man so voneinander lernen? Vorurteile abbauen? Vielleicht sich näherkommen – so ganz geschlechtlich gesehen?
Mehrgenerationenprojekte
Ich würde sagen, dass weder A noch B die perfekte Lösung ist. Die Idee des Mehrgenerationenhauses ist schon mal eine gute Idee, die auch immer mehr Nachahmung findet, so wie auch die Claudius-Höfe in Bochum zeigen. Diese Projekte werden sogar gefördert, weil sie doch letztlich das Gesundheitswesen entlasten könnten. Der Mensch ist auch kein Einzelgänger, er braucht die Herde.
Meine Herde ist allerdings ganz schön verstreut: Elke in Duisburg, Valeria in Oberhausen, meine Mutter in Varel, 2 Schwestern in Iserlohn samt Lieblingsschwiegermutter und eine Schwester in Wiesbaden, mein Sohn, meine große Tochter und mein Ex in Bochum sowie Stefanie, Sean in Hagen und so weiter. Das fühlt sich sehr falsch für mich an. Ich hätte das gern anders.
Grundsätzlich müssten Frauen und Männer in der Herde mit ihren Bedürfnissen Platz haben. Für mich bedeutet das, dass ein Mann in eine gesellige Runde dazukommen darf, aber nicht muss, dass aber eine gesellige Runde keine Ausnahme sein muss, weil dafür extra eingeladen wird. Mehrere kleine Einheiten unter einem gemeinsamen Dach mit gemeinsamen Nutzräumen – weil ich eine große Küche und einen schönen großen Ess-Wohnraum einfach lebenswert finde – wäre Ideal: ein oder zwei kleine Familien, Single, Paare, Wohngemeinschaften, alles aus verschiedenen Generationen. Religion darf sein, muss aber nicht – was mich neben der Einschränkung des Geschlechts zusätzlich im Beginenhof behinern würde. Meine Freundin Stefanie ist sehr gläubig, die christliche Spiritualität gibt ihr etwas. Ich finde das in Ordnung. Ich persönlich komme an der Geschichte weder links noch rechts vorbei, um mich als Christin irgendwie anzunehmen. Auch die Geschichte mit dem GOTT, der einen SOHN hatte usw. Diese ganze extrem männliche Sicht der Spiritualität lässt mich schaudern und verbaut mir jeden Weg zum Christentum. Das es etwas gibt, das größer und mächtiger ist als das Dasein des Menschen, davon bin ich überzeugt. Ich denke allerdings nicht in Bildern. Für mich ist es ein Muster, das alles verbindet. Es ist Liebe. Wenn ich liebe, bin ich im Göttlichen … vielleicht so. Nun denn, auch die Claudius-Höfe haben den christlichen Gedanken innewohnend. Sonst wäre das doch schon eine vorhandene Lösung. Muss man denn alles selber machen?
Wohnen und Leben
Dieser Absatz hatte mich auf der Homepage des Beginenhofs in Essen besonders berührt:
… lebendig, verbunden und eigenständig zu wohnen und zu arbeiten, fanden wir in der historischen Beginenkultur ein Modell, das uns in seiner Aktualität bis heute begeistert. Beginenhof Essen
Soweit bin ich dabei. Ich möchte eine Lebens- und Wohngemeinschaft mit gemeinsamen Räumen und gemeinsamen Interessen, mit dem Ziel, gemeinsam Kultur zu schaffen und dabei dem jeweils anderen Raum zu geben. So wie das Balou im Stadteil Brackel in Dortmund ein Begegnungsort ist, der für Kultur Raum hat. Das Programm ist mir schon fast zu umfangreich, um dem noch im Kalender recht zu geben, doch vielleicht bekommen sie das monströse Programm ja gestemmt.
WO-LI-BA
Die gemeinsame Nutzfläche, die Gewerbefläche. Die gilt es in einem solchen Unternehmen u bespielen, am besten so, dass jede(r) zum eigenen Recht gelangt. Ich zum Beispiel möchte Kurse anbieten und zwar jene, die mir Spaß machen: Bühnenkampf mit Degen, Stock und Faust – dazu Choreografien ausarbeiten, diese in Perfektion einstudieren und gelegentlich vorführen, vielleicht auch mit Preisen bestücken; langfristige Theaterprojekte mit Menschen allen Alters; Workshops rund ums Schreiben, Theatermachen und Tanzen; Tangosalon mit Ambiente und Stil. Das ist, womit ich die Gewerbefläche füllen will. Ein Plus, Krimidinner in unserem Lokal statt bei anderen Zuhause … langfristig gesehen. Ich weiß, dass ich sie nicht allein so gut ausnutzen kann, das sie ausgelastet ist, dazu brauche ich die anderen. Und wir arbeiten zusammen – wirtschaftlich auch?
Eine erste Überlegung war, dass wir einen Teil aller Einnahmen für die Gemeinschaft für sogenannte Gemeinschaftsprojekte aufwenden: gemeinsame Feste, Übernachtungsraum für Gäste, Restauration der gemeinsamen Räume, der Verkehrsflächen, der Reinigung der gemeinsamen Nutzflächen vor allem der Sanitären Einrichtungen, Werbung für das Haus und die Projekte, Unterstützung im Alter durch äußere Stellen (Pflegedienste), etc. Mir fallen spontan viele Quellen ein, wofür man gemeinsam viel Geld ausgeben kann.
Dann braucht man gute Kommunikationsregeln, so wie in Kaufungen … die tägliche Rolle, damit man auch ohne aktuelle Sitzung auf dem Laufenden bleibt.
Kaum steht es hier, fällt mir mein Besuch in Kaufungen ein, vor Jahren mit Sean zusammen: Kommune Niederkaufungen Da besuchte ich Raymond, der mich eingeladen hatte, zu verstehen, was die Kommune so macht. Ich war für diesen Blick hinter die Kulissen sehr dankbar und wäre am liebsten sofort mit meinen Kindern dorthin gegangen. Ohne meine Kinder wäre das sicher kein Problem gewesen, mit ihnen hätte ich die Prozentzahl der erlaubten Kinder gesprengt.
Ich habe gerade auch mal auf der Seite so rumgeschaut, ich könnte mich sicher sofort in der Küche einbringen. Kochen und Essen – eine Leidenschaft. Aber dazu hab ich ja auch eigene Ideen –> siehe Krimidinner. Die Kommune zu erleben – ein Jahr Ostern für fünf Tage – war damals ein besonderes Erlebnis, denn dort war Alltag, wovon ich träumte: gesunde Lebensmittel für alle, gesunde Gesprächskultur durch Schulung und Praxis von Gewaltfreier Kommunikation (nach Marshall Rosenberg). ein passendes soziales Miteinander für jede Altersphase, ein kulturelles Miteinander und das ohne den zentralen Gedanken an Geld. Damals fühlte ich dieses Prickeln, dass es so eigentlich richtig ist.
Ich möchte gern anfangen mit meinem WOLIBA, anfangen in einem Stadtteil und dann wachsen. Raymond sagte, dass 50 Personen für die Überschaubarkeit der Beziehungen genug sei. Heute leben in der Kommune 80 Menschen. Dort ein Wochenende zu verbringen und sich Anregungen für das eigenen Projekt zu holen, darauf hätte ich Lust. Du auch, meine liebe Freundin? Hier gäbe es die Termine: