Eine Woche Tango-Flow, Tango-Gedanken, Tango-Takte in Krummendeich – ohne Ablenkung

Tango bedeutet: es gibt einen Führenden und einen Folgenden – geschlechtlich in allen Kombinationen denkbar, denn nach dem Mythos seiner Entstehung lernten Männer von Männern in Hinterhöfen die Tangoschritte, während Frauen es Frauen beibrachten, wie man so richtig auf die Schritte reagierte. Der oder die Führende bietet dabei den nächsten Schritt an, der oder die Folgende folgt der Einladung, so, wie er sie eben versteht! Es gibt Regeln, damit die oder der Folgende versteht, was der oder die Führende anbietet. Ein Dialog wird es, wenn eine Person auf die andere reagiert, wenn beide dafür sorgen, dass es sich gut anfühlt.

Wichtig dafür sind folgende Regeln. Bitte beachten Sie:

  • Lektion 1: es gibt keine falschen Schritte, es gibt nur welche, die vielleicht nicht intendiert waren.
  • Lektion 2: die Musik gibt den Rhythmus vor, das vertanzen erfolgt durch das Paar.
  • Lektion 3: Die geführte Person macht mit: sie geht selbst, dreht selbst. Und die führende Person schubst, schiebt oder drückt nicht.

Das Führen beinhaltet die anstrengende Dimension von Planung und Verwirklichung im Raum. Wenn noch ganz viele andere dasselbe mehr oder weniger berechenbar tun, lässt sich das Gestalten des Dialogs schwerer realisieren. Gestalten kann ich es allerdings nur, wenn es mir „erlaubt“ wird, wenn ich dafür nicht bestraft werde. Natürlich merke ich, wenn es mein Gegenüber aus dem Konzept bringt. Doch wie geht er damit um? Von Schweißausbruch bis Unterbrechung des Tanzes ist alles möglich, wie ich festgestellt habe. Spielereien, gewagte Verzierungen, Unterbrechungen der Schrittfolge und Übernahme der Führung bringe ich in unseren Dialog erst ein, wenn ich einmal oder ein paar Mal mit demselben getanzt habe.

Führen – auf zwei Arten

Tangotanzpaar aus Argentinien in Werl zu Gast (2024)

Zwei Arten von Tangueros bevölkern die Tanzfläche, dazwischen gibt es weiche und harte Konturen, selbstredend. Schon lange gehe ich davon aus, dass die Art, wie wir tanzen, oder präziser, wie wir uns tänzerisch ausdrücken, viel über uns selbst aussagt. Paare und einzelne Menschen könnte man über das Tangotanzen therapieren, vielleicht sogar heilen! Natürlich erfahre ich einiges über den Herren mit dem offenen oder geschlossenen Knopfloch, schließlich starre ich auf seine halb unter dem Hemd verschwundene Kette oder jenen Anhänger, starre auf seine kleinen grauen Haare auf der Brust, die sich mühselig am Hemd vorbei hervorschieben, oder auf kleine Dinosaurier auf dem Hemd, um ordentlich bei ihm zu bleiben, vor ihm zu bleiben, mit ihm zu sein.
Es gibt Tänzer, die haben eine Führung wie ein Stakkato, ruckartig und zackig, kraftvoll, schwungvoll und manchmal auch unbarmherzig. Hier ist Führung haben ganz wichtig. Zack, hängst du an der Brust des Fremden und er führt. Es gibt aber auch die weiche, zarte Führung, die kaum zu bemerken ist, wo ich mich frage, was ich machen soll. Das Ideal ist die Führung, die ganz weich bleibt und doch fühlt man sich so sicher wie auf einem Schiff auf offener See. Der Herr macht fast unsichtbare Bewegungen, aber eindeutige, die genau interpretierbar sind. Leicht wie eine Feder, jede Bewegung ist kontrolliert. Wenn man eng mit diesem Herren tanzt, dann ist es die eigene Entscheidung und fügt sich dynamisch als Angebot in den Tanz ein. Und dann gibt es die Führung, bei der man weiß, dass man sich auf offener See befindet, vermutlich ist da der Herr der Rettungsring …

Meine schönsten Tango-Momente in diesem Jahr in Krummendeich

1. Ein Tanz mit meinem Angstgegner, den ich nicht nur souverän meisterte, sondern dem ich viel Freude und experimentellen Spaß abgewinnen konnte. Bis zu dem Moment, als ich sagen durfte: „Das hab ich gar nicht geführt!“
2. Mehrere sehr experimentelle Tänze, die nicht nur uns beiden Spaß gemacht haben, sondern auch ohne Achsbruch oder Achsverlust (für die nicht-tangoaffinen Lesenden) verliefen.
3. Das Kompliment eines Tänzers nach der Woche, dass er nicht nur genossen hat, mit mir zu tanzen (wie ich im übrigen auch mit ihm), sondern dass er etwas mitnimmt insbesondere aus den Tänzen mit mir, nämlich die Experimentierfreude. Außerdem hat er erklärt, dass ihm besonders gefällt, dass ich so dabei bin beim Tanz, dass ich ihn vor Karambolage mit anderen Paaren bewahrte, dass ich gezielt und dezent die Führung übernahm und ihn das nicht störte.
4. Mit vielen wirklich guten Tänzern sehr häufig getanzt zu haben. Ich tanze auch mit Tanguero Nr. 1, den es verrückt macht, wenn ich Zwischenschritte setze, wenn ich verziere und er es mitbekommt, wenn ich die Barridas nutze, um Taktspielchen zu machen, etc. und beherrsche mich dann. Freude, Tangospaß und Lust am Tanzen macht mit Tanguero Nr. 2: Raum für Spielereien, Geduld und Mitspiel, Grenzen ausloten im Rahmen der Regeln und schauen, was sich gut anfühlt. Davon gab es diesmal richtig viele, acht würde ich meinen.

Resümee zu Krummendeich 2024

Im Tanzkurs übt man das Ideal, auf der Tanzfläche bei einer Milonga ist alles möglich. Es ist ein Dialog. Wieso sollte ein Dialog etwas sein, wobei der eine immer nur eine Frage stellt, und der andere nur mit vorgegebenen Antworten reagiert? Tango, dass ist ein improvisierter Tanz nach Regeln der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Vor einem Jahr tanzte ich mit R. zum ersten Mal in Krummendeich bei Isabella und Ivan. Anfänger hörte ich. Ich ahnte Schlimmes, doch mein Tanzpartner hatte die Lust am Tango entdeckt wie ein staunendes Kind. Er probierte aus und schaute, was passierte, wenn man den Schritt so oder so machte. Und ich probierte mit. Ich schaute, was ich alles machen kann, ohne das Folgen ganz zu lassen. Es war eine Befreiung, die sich über ein Jahr hinzog. Auf Spiekeroog tanzten wir zum Jahresbeginn erneut zusammen. Mein neuer Erkenntnisgewinn: ich muss nicht nach der Führungsabsicht suchen und im Trüben herumstochern, es genügt, wenn ich tanze, was ich verstehe. Klingt ganz leicht, ist aber mental mehr Arbeit, als der Herr vielleicht denkt. Zurück in diesem Jahr Krummendeich stellte ich fest – solange ich nicht darüber nachdachte und meinen Kopf verbog, was jetzt wieder mein Problem sei – dass mir viel egaler als sonst war, ob der Führende sich vollends verstanden sah, solange wir nur beide unseren Spaß hatten.

Was ist denn nun Krummendeich und Spiekeroog (vermutlich auch Proitzer Mühle)?

Erfurt: Straßeneck-Graffiti

Krummendeich ist ein sehr familiäres Tangoerleben, mit wenig Ablenkung konzentriert auf den Tangofortschritt. Täglich tanzen wir ca. 6 Stunden Tango, mit einem Ruhetag dazwischen. Leckeres Essen (vegetarisch und urgesund) gibt es zwischendurch. Alles vor Ort mit einem schönen Tanzraum und toller Akustik. Diesmal waren wir ca. 40 Personen, die sich nach den sechs Tagen richtig gut kennengelernt haben. Sport und Körper stehen im Fokus: morgens Wachwerdbewegungen mit Yoga, um 10 Uhr ein Warm-up für den Körper zur Bewegungsvorbereitung, dann 1,5 Stunden Kurs, um 16.30 nochmals zwei Stunden Praktika und abends ab 21 Uhr Milonga bis niemand mehr tanzt.
Spiekeroog hat ein ähnliches Konzept: Schwerpunkt Tango ohne Ablenkung, viel Ruhe und Natur, doch das ist im Vergleich die selbstversorgende XXXL-Version, denn die auch täglichen Milongas erlauben höchstens das Briefmarkentangotanzen. Und: Ivan legt bessere Musik auf.

Wieder hin? Ja, nächstes Jahr im Juli 2025 hab ich die Termine schon gebucht. Wer weiß, was sich bis dahin bewegt hat.

Die sechsstündige Vorstellungsrunde von acht Persönlichkeiten mit innovativen Projekten – Treffen der Drehbuchwerkstatt Berlin im Literaturhaus

Worüber spricht man, wenn man sich aus einem Onlineseminar – genauer aus einem von Aleksandra Kumoreks Drehbuchwerkstattseminaren – kennt und sich zum Netzwerken trifft? Natürlich über das Verbindende. Wie naheliegend. Wenn man die Vorstellungsrunde jedoch zelebriert, bei der alle zuhören und nachfragen, dann wird aus einer sonst meist langweiligen, trägen Vorstellung ein Ereignis bunter Vielfalt; dann entsteht eine synergetische Mischung von Erfahrung, Tipps und Spannung.

  • Nummer eins der Teilnehmenden erzählte von seinem Betreuungsprojekt von Iranern in Berlin.
  • Nummer zwei erzählte von einem Filmprojekt zu den trojanischen Geräten einer Firma in der Schweiz und über sein Projekt zum Thema „Dialekt“.
  • Ich als Nummer 3 berichtete von meinem Roman und der Idee, in drei Jahren auszusteigen, um weiterzuschreiben.
  • Nummer vier erzählte von seinem PC-Spiel, an dem er arbeitet, obwohl er gar kein Gamer ist.
  • Nummer fünf erzählte von einem Filmprojekt in der Antarktis, das sie begleitet hat und nun ein Film zum Thema „Schnee“ plant.
  • Nummer sechs berichtete von einem Filmprojekt in Ecuador, wohin sie möglichst bald wieder möchte, weil sie das Dreh- und Schauspielteam zusammenstellen möchte und internationale Fördergelder aufgebraucht werden müssen.
  • Sieben pries eine neu entdeckte Online-Marketing-Strategie an; durch eine gut gefütterte und gewachsene Community ließen sich mehr Interessierte erreichen als durch konventionelle Möglichkeiten – also statt analog.
  • Acht führte ihren Plan aus, einen besonderen Tag ihres Leben als Drehbuch zu verwirklichen.

Ein Projekt spannender als das andere, ein Thema informativer als das andere. Wie eine duftende bunte Blumenwiese mit Schmetterlingen. Zwischendurch haben wir gegessen. Und ich hatte mir eine kleine Pinkelpause genehmigt. Eine. Es war so spannend.

Making of (m)eines Traums – erste Anzeichen von Bewegung

Aleksandra ermunterte mich, doch weniger auf die konventionelle Vermarktungsstrategien meines Romans zu setzen, sondern mir eine Community zu zulegen und diese stärker für mein Projekt „Roman“ zu begeistern, als ich gerade ausgeführt hatte, dass ich erste positive Reaktionen auf meinen Roman erhalten hätte. Sie berichtete von einem Vertag für ein Lehrwerk, den sie letztlich nicht unterschrieben hat, weil sie nicht nur sehr wenig daran verdient hätte, sondern weil sie zudem alle Recht an ihrem Text und an die Verbreitung sowie Nutzung des Inhalts verloren hätte und weil der Verlag letztlich damit hätte machen können, was er gewollt hätte.

Ich halte mich hier zurück, Auszüge meines Romans zu veröffentlichen, um nicht das Risiko einzugehen, dass deswegen kein konventioneller Verlag den Roman übernimmt. Doch ist das nicht eigentlich idiotisch? Aleksandra rät zu Selbstermächtigung – lieber Selbstverlag oder Selfpublishing als mit diesem Knebel in die Öffentlichkeit.

Dann die entscheidende Ergänzung: Ich fragte, ob nicht jemand der Anwesenden als Filmemacher Lust hätte, meine Geschichte von jetzt bis zum Aufbruch, um Schreiben zu können, zu verarbeiten und zu publizieren. Vivien erklärte, dass ich doch besser ein Videotagebuch führen sollte, in dem ich selbst das Making of nach und nach einem Publikum erzähle, dass sich dafür interessiert. Ich solle erzählen:

  • wie es dazu kam, dass ich die Geschichte geschrieben habe,
  • wieso ich die Schule verlassen will und was das mit dem Text zu tun hat,
  • was an dem Thema so reizvoll ist,
  • wie ich zu den einzelnen Themen recherchiert habe,
  • welche Fragen mich noch beschäftigen,
  • wie verschiedene Reaktionen sind, etc.

Dialogisch, die Zuschauenden mitnehmen, Rahmenhandlungen dazu erzählen, Up and Down`s ergänzen. Keine künstliche Autorenmarke, keine aufgespritzte Story, statt dessen das, wofür ich brenne. Am besten auf zwei Kanälen: YouTube und Instagram. Selbstermächtigung statt Bittstellerhaltung. Bettina meinte, ich hätte was zu erzählen, ich wüsste, wovon ich spreche. Das Polarisierende als Element des dialogischen verwandeln und Kampf vermeiden. Handwerk, Technik, Persönliches, Philosophie, Story. Das lässt sich verknüpfen.
Aleksandra erklärte, dass das Ganze eine Dramaturgie benötigt und diese Dramaturgie sei planbar.

Frauen – Frauenthemen – Feminismus

Natürlich ein Roman für Frauen – hab ich auch immer gedacht. Ist er aber nicht eher ein Roman für Männer? Schon mein erstes Thema für einen Videoblog? Vielleicht nicht der günstigste Einstieg. Aleksandra Kumorek berichtete von ihrer bald an den Start gehenden Idee der #Medienmacherinnen über Instagram. Ultrabegeistert. Begründete, wieso sie ein kleines „i“ in ihrem Wort hat, wieso sie sich ausgerechnet an Frauen wendet und nicht an Männer und Frauen. Weiter folgte, was sie plant, wie sie vorgehen wird, weil sie schon vor vielen Jahren die Diskrepanz zwischen Frauenfähigkeiten und Frauenumsetzung gesehen hat. Wie war es zu erklären, weshalb Frauen trotz ihrer Kompetenzen deutlich weniger daraus Gewinn schöpfen können, als Männer? Dann erzählte Aleksandra ausführlich, dass sie ganz sicher auch auf diesen Knebelvertrag des großen Verlags hereingefallen wäre, wenn bestimmte Parameter anders gewesen wären: Angewiesenheit auf die Publikation, mangelnde Sachkenntnis und Sachverstand, keinen anderen Erfolg, Selbstwertschöpfung, Akzeptanz von Gegebenheiten. Die Betreuerin des Verlags hatte ihr versichert, es handelte sich um einen gewöhnlichen Standardvertag. Mindsetting als neues Zauberwort. Den Frauen fehlt es nicht an Kompetenz, sondern an der richtigen Mischung der Selbstdarstellung, dem passenden Selbstbewusstsein und der Lust, nicht passend, lieb und gefällig zu sein, wenn es darauf ankommt.

Statt Manspreading anzuprangern, sich als Frau selbst im Raum behaupten. Statt die Männer Krähen lassen wie Gockel, einmischen und selbst Krähen und zwar selbst dann, wenn man glaubt, es sei nicht wichtig. Dann erst recht.

Und statt Kampf und Konfrontation besser Selbstermächtigung, Vernetzung und neue Territorien. In diesem Sinne – auf in die Gleichberechtigung des Internets?